Kürzlich las ich im Internet einen Artikel über Forschungen, die Wissenschaftler an wild lebenden Orang-Utans (oder heißt es Orang-Utanen?) vornahmen. Ich habe vergessen, was das Ziel dieser Arbeit war, nur weiß ich noch, dass die Forscher für ihre Zwecke Orang-Utan-Urin benötigten, den sie, wenn ich mich recht entsinne, im Dschungel unter den Bäumen, auf denen die Utane saßen, mithilfe großer aufgespannter Plastikplanen aufzufangen suchten; bisweilen lief wohl auch ein Mitarbeiter mit einem Eimer in den Armen einem Urinstrahl hinterher, eine mühevolle und irgendwie auch demütigende Tätigkeit, zumal Primaten-Pipi unter diesen Bedingungen zur Kostbarkeit wird. Man stelle sich vor, man hat am Abend nach einem Tag harten Harn-Haschens und vielleicht auch großzügiger Vergabe von Almdudler an die Affen, auch dem Einsatz von Panflöten und einem Endlos-Band mit WC-Spülungsgeräuschen einen Eimer gefüllt – dann stößt ihn der Praktikant in seinem eifrigen Trotteltum aus Versehen um, und die Flüssigkeit versickert ununtersucht im Dschungelboden.
Jedenfalls ist es bemerkenswert, mit welcher Hingabe der Mensch die Tiere zu verstehen sucht und mit welchem Aufwand er sich ihnen bisweilen widmet. Beim Stöbern im Regal fiel mir das Buch Der Kanarienvogel von Cäsar Rhan in die Hände, ein zerlesenes Werk von 1925, in dem der Autor ausführlich schildert, wie man einem Kanari das Singen beibringt. Das heißt, man muss sich einerseits in der Erziehung besonders jenen eher schwachen Sängern widmen, »die die gefürchteten Locktöne wie: zitt, wiß, schapp oder schirr bringen, ebenso sind die harten Schnattern, die spitzen Pfeifen und die Locktöne ei, ei, auszumerzen«.
Andererseits muss das Tier eine anständige Hohlrolle lernen, »ein Auf- und Niederwallen von Vokalen, und zwar der Vokale i, ü, u und o, und zwar auch meistens in Verbindung mit dem r und h«. In der Hohlrolle, schreibt Rhan, »kommen also sowohl die Silben ru und hu, als auch ein hurr und das einfache u vor. Ferner sind die Silben: ri, ru, ro, rö, ürr, ö, or, hö und horr herauszuhören«. Zu diesem Ziel müsse der Züchter »jede Minute Zeit, die er übrig hat, den Vögeln widmen«. Mich erinnert das an eine Meldung im Wissenschaftsteil: Michael Miller von der Binghamton University im US-
Bundesstaat New York hatte untersucht, unter welchen Bedingungen Wellensittiche gähnen, und dabei festgestellt, dass nur selten ein einzelner Vogel gähnt; dies geschieht fast nur dann, wenn kurz zuvor auch ein anderes Tier den Schnabel aufriss und dabei Flügel und Beine streckte.
Dies lege, las ich, die Vermutung nahe, dass Gähnen bei sozial lebenden Tieren (wozu ja auch der Mensch zählt) dazu dient, das Verhalten in der Gruppe zu koordinieren. Indes sei ein endgültiges Urteil nicht möglich: Es könne ja sein, dass Vögel, die in einer Voliere dem gleichen Tagesrhythmus unterliegen, nur einfach zur selben Zeit ermüden. Weitere Forschungen seien dringend notwendig, hieß es, zumal Wellensittiche insgesamt recht selten gähnten, hier sei die statistische Basis einfach zu gering für ein aussagekräftiges Resultat. Ich finde, man muss die Menschen lieben für all das: Es ist leicht, sich mit dem Großen und Sehrwichtigen zu beschäftigen; man steht im Licht, bekommt seinen Beifall sofort und lebt im Gefühl von Bedeutung.
Aber tief im Dschungel Affenharn zu sammeln; vor einem Käfig zu sitzen und dem hohlen Rollen eines Kanarienvogels nachzulauschen (war da ein schapp oder schirr, ein ürr oder horr?); oder einen Schwarm Wellensittiche beim Gähnen zu beobachten und überhaupt zu wissen, wie es aussieht, wenn ein Vogel gähnt, ja, bereit zu sein, abends beim Essen der eigenen Frau auf die Frage, womit man den Tag verbracht habe, zu erklären, man habe Sittichgähnen analysiert – in all diesem liegt wahre Größe und der Grund, warum wir die Hoffnung auf den Menschen nicht aufgeben sollten.
Illustration: Dirk Schmidt