Manchmal stelle ich mir eine Kneipe vor, in der sich alle Götter treffen, an die niemand mehr glaubt.
Thor zum Beispiel, der Donnergewaltige der Altnordischen, der einen Hammer namens Mjöllnir besaß, mit dem er Blitze schleuderte und die Erde erbeben ließ; jetzt nagelt er mit Mjöllnir höchstens mal müde ein Bild an die Wand, falls der Wirt es wünscht. Oder Heimdall, der Gott allen Anfangs und damit auch des Morgenlichts, goldene Zähne hatte er und ritt auf einem Ross namens Golltopp. Was für ein Frust muss das sein, am Stammtisch zu sitzen und nichts mehr bestimmen zu können, bloß weil die Leute beschlossen, an wen anders zu glauben oder an gar nüscht mehr. Was ist schon ein Umzug von Schloss Bellevue nach Großburgwedel gegen einen solchen Fall?
Hier sitzt man, trinkt im Götter-Eck sein Götter-Export, hat nicht groß was zu tun und redet von den alten Zeiten. Zeus schaut rein, nimmt einen Ouzo und prahlt mit Frauengeschichten. Täte er das draußen auf der Straße, würde man ihn unter Amtsbetreuung stellen oder auch nur sagen, ach, lass ihn doch, den alten Griechen, kennt ihr ihn nicht mehr aus Gustav Schwabs schönen Geschichten? Er war wirklich ein Großer, fragt Otto Rehhagel. Hier drin ruft Zeus mit schwerer Zunge, wenn von den Leuten noch mal einer über ihn lache, werde er denjenigen an ein Gebirge schmieden wie einst Prometheus an den Kaukasus, und ein Adler werde täglich von seiner Leber fressen.
Entschuldigen Sie, so was stellt man sich eben vor, wenn man hier sitzt, und die Gedanken drehen ihre Runden: Götter, die mal ein Riesenleben hatten,
nur weil andere an sie glaubten, und nun können sie froh sein, wenn einer ihnen noch ein Bier zapft oder eben einen Ouzo hinstellt, und das Geld dafür verdienen sie sich mit Zeitungaustragen oder Pfandflaschensammeln, in alle Ewigkeit, denn Götter sind nun mal unsterblich. Wer weiß schon, ob der Alte, der einem die Werbezettel vom Pizzaservice in den Briefkasten schmeißt, nicht mal im Himmel für den Morgentau zuständig war oder für die Verwaltung der Hagelkörner oder für die Elfenschulungen?!
Aus Kalkutta meldete BBC vor einer Weile, dort gebe es eine alte Brücke, die Rabindra-Brücke: eine Stahlkonstruktion, die seit 1943 in Dienst ist, den Hugli (einen Mündungsarm des Ganges) überspannt und so die Städte Haora und Kalkutta miteinander verbindet. Soweit ich weiß, handelt es sich um eine der am intensivsten frequentierten Brücken der Welt, ein Monument der ausgehenden britischen Kolonialzeit, täglich wird sie von einer halben Million Fußgängern benutzt, von den vielen Autos und Tausenden von Kühen mal ganz abgesehen.
Das Problem aber sind die Fußgänger, denn sie kauen Gutka, eine Mischung aus Betelnüssen, Tabak und Wasweißichnochallem, und wenn sie über die Brücke gehen, spucken sie zur Seite, treffen nicht selten mit ihrem Herausgesprotzelten den Brückenstahl – und der korrodiert unter den steten Tropfen vor sich hin, so sehr, dass innerhalb von drei Jahren die Hälfte des Metalls zu Rost wurde.
Dies meldete, wie gesagt, BBC. Was aber geschieht nun mit der Brücke am Spei? Was fällt Ingenieuren ein, um ein solches Monument zu schützen? Maßnahme eins, sagen die Techniker: Man ummantele die Brücke in ihren rostbedrohten Teilen mit spuckeabweisendem Kunststoff.
Maßnahme zwei (und das ist nun wahrhaft erstaunlich): Man solle, auch dies teilte BBC mit, die Fußgänger darauf hinweisen, dass »die Götter« es nicht gerne sähen, wenn man die Rabindra-Brücke, die übrigens nach dem Dichter, Philosophen und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore benannt wurde, bespucke.
Dazu habe ich zwei Anmerkungen.
Erstens: Gibt es neuerdings im Ingenieurstudium Hauptseminare mit dem Titel »Brückenschutz mit Gottes Hilfe«? Zweitens: Kann sich jemand vorstellen, welches Hallo diese Nachricht auslösen wird, wenn sie erst das Götter-Eck erreicht?
Illustration: Dirk Schmidt