In New York wird ab März nächsten Jahres der XXL-Becher für Softdrinks verboten sein, das sind diese knapp einen Liter fassenden Eimer, aus denen die Leute Cola oder Sprite und diese Sachen trinken. Das Verbot gefällt mir, erstens, weil man der Fettsucht Herr werden muss, die in den USA grassiert und langsam zu einer Unwucht auf dem sich drehenden Erdball führt. Amerika wird immer schwerer, die Erdachse leiert aus. Das Schlimmste ist bisher nur verhindert worden, weil die Chinesen an Zahl immer mehr wurden und so die Gewichtszunahme auf der anderen Erdseite ausglichen. Aber so geht’s ja nicht weiter.
Zweitens aber hoffe ich, dass mit diesem Verbot endlich die XXL-Zeiten nicht nur in Schnellimbissen und Kinos zu Ende gehen, sondern auch in unserer Sprache. Ich weiß gar nicht, ob das noch jemand auffällt, aber wir leben in Zeiten, in denen sich sprachlich alles Richtung Übergröße verschoben hat. Nichts ist mehr einfach nur »gut«, selbst »sehr gut« reicht den meisten nicht aus.
Ich sehe Wetten dass ..? mit Markus Lanz und höre den Moderator eine »Ruder-Wette« ankündigen, »auf die ich mich sehr, sehr freue«.
Der Daimler-Chef Zetsche spricht von einem schwierigen Umfeld für die Produkte seines Konzerns: »In Europa haben wir sehr, sehr schwierige Marktbedingungen …«
Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig findet es richtig, Steuer-CDs zu kaufen, »denn das bringt dem Fiskus sehr, sehr viel Geld«.
Der Bayern-Spieler Toni Kroos sagt, Borussia Dortmund sei ein »sehr, sehr gleichwertiger Gegner«.
Sehr, sehr – das ist das sprachliche XXL unserer Zeit, und das ist ja noch nicht alles. Wir leben in wahren Jubelzeiten, überall wird tiriliert und maßlos übertrieben.
Kein Radio-Moderator, der uns einfach nur einen schönen Tag wünscht, nein, ein »wunderschöner Tag« muss es sein. (Wenn nicht gleich »ein megageiles Wochenende«.)
Kein Autor, der sein Buch, kein Chefredakteur, der sein Editorial einfach nur so oder mit »herzlich« – was doch auch schon übertrieben wäre – signierte: Sie schreiben »herzlichst«. (Und das an Leute, die sie kein bisschen kennen!) Keine Callcenter-Angestellte, die etwas einfach nur »gerne« erledigt, nichts da, sie tut es »sehr gerne«. (Bald sicher auch »sehr, sehr gerne«.) Und, ja darf es denn wahr sein!, in dem Moment, in dem ich dies hier schreibe, auf Platz 72 im Wagen 39 des ICE nach Fulda sitzend, verabschiedet sich hinter mir an der Eingangstür eine Frau von einer anderen mit den Worten »ganz, ganz herzlichen Dank«.
Wohin soll das führen? Leser B. schrieb mir aus Berlin dieser Tage, er habe während der Olympischen Spiele in London das Finale im Hockey verfolgt. Die Reporterin habe das Spiel der deutschen Mannschaft »einfach sehr, sehr, sehr, sehr, sehr gut« genannt, er habe mitgezählt. (Und man beachte das einleitende »einfach«.)
Leute, es ist schön, wenn man nett zueinander ist, wenn man die Welt gut findet und positiv denkt, aber so geht es doch nicht weiter. Das ist Sprache auf Koks. Man muss Steigerungsmöglichkeiten behalten, Spielräume. Was soll nach »sehr, sehr, sehr, sehr, sehr« kommen?
Bruno, mein alter Freund, sagt, dazu habe Loriot in Pappa ante Portas das Nötige gesagt, als er Evelyn Hamann den Schriftsteller Lothar Frohwein als den »bedeutendsten lebendsten« Vertreter moderner Lyrik habe vorstellen lassen. Aber das ist es nicht, es geht nicht um falsche Superlative, »den nahegelegensten Supermarkt«, den »vielgelesensten Dichter« oder die »bestmöglichste Geldanlage«.
Es geht nicht um richtig oder falsch. Unsere Sprache muss auf Entzug, dringend, ja, man könnte sagen: sehr dringend.
Illustration: Dirk Schmidt