Unter den Haustieren ist die Katze vermutlich jenes, das uns die größten Rätsel aufgibt; das macht die Faszination aus, welche dieses Wesen auf sehr viele Menschen ausübt. Der Hund tritt in unendlich mehr Variationen auf, als komische Figur wie der Mops, als Streber wie der Pudel, als eigenwilliger Kauz wie der Dackel, als Brutalinski wie der Pitbull, als vierschrötiger Kerl wie die Bulldogge, als Dandy wie der Weimaraner, als soldatische Natur wie der Schäferhund. Aber in seinem Rahmen ist er berechenbar, ein letztlich geheimnisloses Tier.
Jedoch: die Katze. Seit sie in unsere Haushalte eingetreten ist und an des Menschen Seite lebt, wird an ihr herumgegrübelt. Zum Beispiel ist von den Katzen bekannt, dass sie Orte mehr lieben als Menschen, dass sie also, verlassen ihre Besitzer ein Haus, um ein anderes zu beziehen, am liebsten im alten Gebäude blieben. »Sie ist ein völliges Ortstier«, schrieb der alte Brehm und dann: »Unbegreiflich ist es, dass sie, stundenlang in einem Sack getragen, ihr Haus, ihre Heimat wiederfindet.«
Stundenlang in einem Sack getragen… Das ist lange her, aber solche Experimente haben Brehm und die Seinen wohl gemacht, wir wollen hier offen sprechen. Aber bis heute ist eben nicht geklärt, wie Katzen das schaffen: ihr Haus immer wiederzufinden, auch wenn sie noch so weit weg waren. Irgendwas müssen sie von ihren wilden großen Brüdern geerbt haben, den Tigern zum Beispiel, die Reviere von 80 Quadratkilometer Größe bewohnen, ohne sich darin je zu verlaufen. Aber was genau?
In der New York Times las ich jetzt die Geschichte der Katze Holly, die ihren Besitzern, dem Ehepaar Richter, Anfang November während einer Reise in Daytona Beach in Florida abhanden kam und am Neujahrstag abends anderthalb Kilometer vom Richter’schen (und eben auch von Hollys) Haus entfernt wieder auftauchte, in West Palm Beach, mehr als dreihundert Kilometer weiter südlich: schwach, erschöpft, abgemagert, die Pfoten wund gelaufen, zu schlapp zum Miauen. Jeder Irrtum war ausgeschlossen, es war Holly, die Richters hatten ihr einen Mikrochip einpflanzen lassen, daran erkannte man sie wieder.
Eine Katze durchwandert Florida. Man hat so was bei Zugvögeln erforscht, auch bei Brieftauben natürlich und Schmetterlingen, selbst von FDP-Wählern weiß man, dass sie ihrer Partei gelegentlich abhanden kommen, aber dann, ganz plötzlich und wenn es darauf ankommt, unverhofft wieder mit dem Stimmzettel in der Hand vor der Tür stehen; niemand weiß, wo sie waren, aber sie sind da. Magnetfelder spielen eine Rolle, der Sonnenstand, uralte Instinkte, auch die CDU.
Bei Felidae weiß man: nichts. Die russische Katze Murka wanderte 1989 rund 500 Kilometer weit von Woronesch nach Moskau; die Amerikanerin Ninja kehrte 1997 nach einem Jahr in Mill Creek/Washington zurück nach Farmington in Utah, von wo ihre Besitzer weggezogen waren, ohne sie zu fragen – das sind 1300 Kilometer auf der Interstate 84; Howie, eine Perserkatze, legte 1978 sogar 1600 Kilometer in Australien zurück, von Verwandten, bei denen man sie untergebracht hatte, zurück zum Haus der Familie.
»Wir haben keine Ahnung, wie sie das machen«, sagt ein Katzenfachmann mit dem herrlichen Namen Jackson Galaxy. »Jeder, der sagt, er weiß es, lügt, und wenn Sie es herausfinden, sagen Sie es bitte mir, um Gottes willen.«
Ich werde tun, was ich kann. Saß nicht gestern vor dem Supermarkt eine Katze, vor sich einen Hut und ein Schild: »Will heim, brauche etwas Reisegeld!«? Hat mich nicht vor ein paar Tagen unten am Stadtbach ein Kater gefragt, wo es hier nach Duisburg gehe? (Nach Duisburg, bitte!) Stand nicht in der Trambahn eine schlohweiße Siamesin ratlos vor dem Fahrkartenautomaten? Mein Gott, man hätte doch mal fragen können, ob man helfen kann. Wie’s so läuft. Wie sie das machen, alles …
Illustration: Dirk Schmidt