Der Sprach-Wertstoffhof (XI): Zu den schönsten Momenten, die es im Leben des Sprachfreundes gibt, gehören jene, in denen einem die eigene Sprache zum Rätsel wird. Herr S. aus Stockdorf berichtet von einem solchen, in dem ihm nämlich einst das Wort »Brizidan« begegnete. Es habe für ihn in seiner Kindheit keine geringe Bedeutung gehabt, er habe es benutzt, wie andere das Wort »Amen«, als Redewendung und Schlussformel. Aus. Ende. Vorbei. Brizidan.
Woher kam das? Und wie?
Es hatte mit Wilhelm Busch zu tun, in dessen manchmal (vielleicht nicht ganz zu Unrecht, aber darum geht es hier nicht) unter gewissem Rassismus-Verdacht stehendem Werk Fipps, der Affe (das Herrn S. offenbar hin und wieder vorgelesen wurde) es heißt:
»Es wohnte da ein schwarzer Mann, der Affen fing und Brizidan.«S. rätselte so lange an dem edel seltsamen Begriff herum, bis er eines Tages Busch selbst las und entdeckte, dass es hieß: »Der Affen fing und briet sie dann.«
Lange wusste S. nicht, wohin mit dem schönen, nun sinn- und nutzlos gewordenen Wort. Nun liegt es hier, im Sprach-Wertstoffhof. Wer es braucht, darf es nehmen.
Ganz ähnlich und doch wiederum völlig anders ging es Herrn R. aus Berlin, der im Haushalt seiner Großmutter aufwuchs. Da hing in der Küche über dem Herd ein blütenweißes Ziertuch mit dem blauweiß gestickten Sinnspruch »Trautes Heim – Glück allein«. Das Wort »traut« war dem kleinen R. unbekannt, bis er eines Tages die Tochter des Hausmeisters kennenlernte: »Traute« wurde sie gerufen. Da wurde ihm einerseits dies und jenes klar, andererseits begriff er nie, warum der Satz in Omas Küche hing. Und nicht in der des Hausmeisters.
Mit ganz ähnlichen Sprachproblemen schlug sich übrigens Herr H. aus Ansbach in seiner Kindheit herum. Er saß oft dabei, wenn Besuch kam und Sätze fielen wie »Euer Opa Karl kriegt ja nun schon lange Rente« oder »Unsere Oma Frieda kriegt seit letztem Sommer Rente«. Rente? Der kleine H. kannte das Wort nicht. Aber! Er wuchs auf dem Land auf, seine Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft, seine Mutter buk das Brot noch selbst, mit einer knusprigen Kruste. Wenn sie nicht mehr so frisch war, wurde sie zu Brotsuppe verarbeitet. War sie ganz hart, verfütterte man sie an die Schweine.
Diese Kruste nannte man »Rinde«. Weshalb H. dachte, so sei das also: Die alten Leute müssten sich, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten, von den Brotrinden ernähren. Sah er nicht auch den eigenen Großvater oft mit lückenhaften Zähnen auf einer Brotrinde herumkauen? Ja, so war es, und H. bekümmerte es sehr, wenn er an das eigene Alter dachte, um das es einmal – H. ist Jahrgang 1956 – Gott sei Dank besser bestellt sein wird. Auch wenn gerade erst die Rinde mit 67 eingeführt wurde.
Anderes Wort: Schlempe.
Herr N. aus Marzling schreibt, einer seiner Kollegen habe sich für Informationen zum Thema »Schlempen« interessiert, worunter der Fachmann Rückstände versteht, die bei Destillationen entstehen. Man verwendet sie als Futtermittel, wenn sie bei der Verarbeitung von Getreide anfallen. N.s Kollege interessierte sich besonders für Schlempen, die beim Umgang mit Roggen entstehen, Roggenschlempen also. Als er das Wort aber bei Google eingab: nichts. Stattdessen die Frage: »Meinten Sie Drogenschlampe?«
Der Kollege sei zuerst belustigt gewesen, schreibt N., dann aber habe er sich gefragt, wie es um eine Gesellschaft bestellt sei, zu der so selbstverständlich der Umgang mit dem Wort »Drogenschlampe« gehöre.
Mittlerweile (ein halbes Jahr nach N.s Brief) gibt Google 17 Treffer für »Roggenschlempe« an, aber 249 für »Drogenschlampe«. Was das für unsere Gesellschaft bedeutet, muss jeder selbst wissen.
Was den Sprach-Wertstoffhof angeht: Brizidan, für heute.
Illustration: Dirk Schmidt