Neulich habe ich den Fehler gemacht, vorm Einschlafen eine Spiegel-Titelgeschichte über Donald Trump zu lesen, entsprechend war die Nacht: miserabel der Schlaf, finster die Träume. Bad!, wie Mister T. sagen würde. Frühmorgens hielt ich (aufrecht im Bett sitzend) Paola, meiner Frau, einen Vortrag über den bevorstehenden Weltuntergang, verursacht durch den Donald.
Später standen wir dann in der Küche, Paola, Sophie, die Zwölfjährige, und ich. Luis, unser Sohn, rief an. Paola sprach mit ihm, offenbar erkundigte er sich auch nach meinem Wohlergehen, denn Paola sagte irgendwann (ich glaube sogar: lächelnd): »Papa geht es nicht so gut, er hat heute Morgen schon vom Weltuntergang gesprochen.«
»Weltuntergang?!«, rief da die Sophie erschrocken. »Aber ich hab doch noch gar kein Abitur!«
Später im Büro habe ich dann Joachim Radkaus Buch Geschichte der Zukunft herausgekramt, dessen Untertitel lautet: Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute, auch Johannes Frieds Dies irae: Eine Geschichte des Weltuntergangs, und im Grunde habe ich den ganzen Tag damit verbracht, über die Apokalypse zu lesen, über Vorhersagen, die nicht wahr wurden, Ängste, die umsonst waren, Katastrophen, die nie geschahen.
Wissen Sie, wie tröstlich das ist?! Zu verstehen, dass die wichtigste Konstante in der Geschichte der Menschheit in Tausenden von Jahren der vergebliche Glaube an den Doomsday ist, in immer neu variierten Erzählungen, Prophezeiungen, Weissagungen, Romanen, Sachbüchern, Liedern, Gedichten. Dass wir offensichtlich also gar nicht anders können, als unser eigenes Verschwinden zu ahnen, es steckt uns einfach in den Knochen oder sonst wo. Ich bin, morgens aufrecht im Bett sitzend, nichts anderes als ein Opfer der menschlichen Mentalitätsgeschichte.
»Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
Um die gezackten Türme drohend schleichen.«
So beginnt ein berühmtes Gedicht von Georg Heym von 1912 über die auch in seiner Zeit verbreiteten Weltende-Befürchtungen, und übrigens konnte er die Verse nicht mehr mit einem Titel versehen, weil er nämlich vorher, mit 24 Jahren, beim Schlittschuhlaufen in der Havel ertrank, als er einem ins Eis eingebrochenen Freund helfen wollte. Woraus wir lernen… Nein, wir lernen gar nichts daraus.
Aber ich erinnere mich an einige Schilder, die Radkau in seinem Buch erwähnt; sie stehen »an einer Straße, die in endlosen Haarnadelkurven aus der Gangesebene hoch nach Darjeeling führt«, in den Himalaja also. Auf den Schildern steht: Expect the Unexpected! Erwarte das Unerwartete! Das klingt nach einer Lebensdevise, die nicht schlecht ist: Lebe das Leben, es passieren ohnehin die Dinge, mit denen du nicht gerechnet hattest, Trump, Brexit, all diese Sachen! Mach also dein Abitur, schreibe jetzt ein Gedicht, ruf deine Eltern an. Lebe den Moment! (Und lies den Spiegel, aber nicht vor dem Schlafengehen!) Oder, um es mit Schiller zu sagen: »Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück.«
Andererseits sollte man auf einer Himalaja-Straße auch mit dem Erwarteten rechnen, nicht wahr? Mit Kurven zum Beispiel.
Kann man eigentlich den Schildertext variieren? Do not expect the Expected? Schön wäre ja, es gäbe ein Verb namens unerwarten, sodass man sagen könnte: Unerwarte das Erwartete! Darüber werden wir jetzt nachdenken und ein paar weitere Varianten durchdenken: Erwarte das Unerhoffte! Erhoffe das Unerwartete! Erhoffe das Erhoffte! Jedenfalls erhoffen wir vom gruseligen Mann im Weißen Haus rein gar nichts, erwarten aber einen weiter anhaltenden radikalen Kampf gegen die Wirklichkeit. Wer hätte das je erwartet: dass ein US-Präsident die Wirklichkeit bekämpft?
Erwarte das Surreale!
Was also sicher ist: Sollte die Welt untergehen, kommt danach ein letzter Tweet von Lügen-Donald: It’s FAKE NEWS! Don’t believe!
Illustration: Dirk Schmidt