Pendler

Der Pendler und seine Pauschale sind das Ur-Übel unserer Stadtplanung.

Obwohl er Politiker, Stadtplaner und Verkehrsexperten oft an den Rand des Wahnsinns treibt, ist der Pendler eigentlich ein simples Wesen: ein Mensch, der sich regelmäßig dorthin bewegt, wo es Arbeit für ihn gibt. Wer nicht gerade sein Feldbett im Büro aufschlägt oder auf dem Bauernhof lebt, den er bewirtschaftet, gehört zwangsläufig dazu.

Und so kommt dann auch die eindrucksvolle Zahl von etwa dreißig Millionen Pendlern zustande, die anscheinend an jedem Arbeitstag in Deutschland unterwegs sind. Das klingt so lange ziemlich wahnsinnig, bis man bemerkt: Hier sind einfach nur jene Berufstätigen gemeint, die nicht an ihrem Arbeitsplatz übernachten. Die große Mehrheit legt dabei nur geringe Distanzen zurück, das sind, sagen wir mal, die Normalpendler. Bleiben etwa acht Millionen, die täglich mehr als zwanzig Kilometer fahren, die man Superpendler, aber auch Problem- bzw. Schadpendler nennen könnte.

In der Theorie sind diese Menschen die Vorhut einer neuen, globalisierten Arbeitsgesellschaft, Musterbeispiele an Mobilität und Flexibilität: kein Weg zu weit, um die eigenen beruflichen Fähigkeiten optimal einzusetzen und den Wirtschaftsstandort Deutschland voranzubringen, geradezu heroisch das Opfer an Lebenszeit und Nervenkraft, das sie dafür bringen.

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Ihr Wille, für den Job ihren Arsch zu bewegen, muss auch vom Staat honoriert werden, weshalb sie trotz aller Steuerdebatten und Gesetzesänderungen schon immer – und auch jetzt noch ab dem zwanzigsten Entfernungskilometer – die Pendlerpauschale kassieren. Die Theorie hat nur einen Haken: Das wahre Beispiel für Mobilität und Flexibilität in der modernen Arbeitswelt ist nicht der Superpendler, sondern der Superumzieher.

Den kennt man exemplarisch aus amerikanischen Soldatenkinder-Biografien: »Daddy war bei der Air Force, schon als Teenager lebte ich in 15 verschiedenen Bundesstaaten…« Genau diese Umzugsbiografie will der Superpendler vermeiden. Er will den Partner nicht zwingen, seinen Job oder sein soziales Umfeld aufzugeben, er will die Kinder nicht entwurzeln, das traute Eigenheim und die Kegelclub-Freunde nicht missen.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Mehr als die Hälfte der Bundesbürger leben noch in ihrem Geburtsort oder in einer Nachbargemeinde, hat eine aktuelle Umfrage herausgefunden.)

Der Wille zur beruflichen Mobilität paart sich hier mit dem Unwillen, die Lebensumstände zu wechseln, hohe Flexibilität trifft auf zähe Beharrungskräfte, das Ergebnis ist ein unmöglicher Spagat, der den Superpendler langsam zerreißt – und mit ihm die Städte, die dem Verkehrsinfarkt täglich näher rücken.

Mehr als die Hälfte der Bundesbürger leben noch in ihrem Geburtsort oder in einer Nachbargemeinde, hat eine aktuelle Umfrage herausgefunden, die Hälfte davon wiederum sogar noch im eigenen Elternhaus. Genau diese Mentalität ist es, die im Superpendler auf den modernen Arbeitsmarkt trifft. Die Kosten für die Umwelt, für die Landschaft, für das Klima sind nur leider enorm.

Natürlich kann man niemanden dafür verantwortlich machen, wo er Arbeit findet; und wie jemand wohnen möchte, geht die Allgemeinheit ebenfalls nichts an. Wer täglich Stunden im Auto verbringen will, um beides zu vereinbaren, macht eine legitime private Rechnung auf. Fatal ist nur, dass der Staat immer wieder willkürlich und absurd in diese Rechnung eingreift.

Jahrzehntelang hat er jene Eigenheime im Speckgürtel der Großstädte gefördert, wo die Superpendler jetzt wohnen und nicht mehr wegwollen; und mit der Pendlerpauschale sorgt er aktuell dafür, dass die weiten Wege zum Arbeitsplatz erstattet werden, die kurzen aber nicht. Das ist natürlich Quatsch. Es darf gar nichts mehr erstattet werden.

Nur dann wird wieder jene Balance zwischen Mobilität und Tradition hergestellt, die unsere Kulturlandschaft schon immer geprägt hat, und in dem Maße, wie die Energiekosten ins Unbezahlbare steigen, werden Arbeiten und Wohnen auch wieder näher zusammenrücken.

Umweltfreundliche und sogar attraktive Lebensformen könnten dabei entstehen, die es früher schon einmal gab und die es bald wieder geben könnte: Siedlungen, die von bestimmten Firmen und Berufen geprägt sind, und Stadtviertel, die wieder eine handwerkliche, kreative und kulturelle Identität bekommen.

(Foto: dpa)