Sarah Kuttners Schicksal ist das der ewigen Epigonin. Als sie vor acht Jahren bei Viva auftauchte, wurde sie schnell als »beliebteste Moderatorin neben Charlotte Roche« bezeichnet. Auch Kuttner versuchte die aufs reibungslose Gelingen versessene Welt des Fernsehens regelmäßig zu ver-
stören, machte vor der Kamera körperliche Unzulänglichkeiten und vergessene Moderationstexte zum Thema.
Später verloren beide Moderatorinnen ihre eigenen Shows, und wenn Sarah Kuttner jetzt mit ihrem Debütroman an die Spitze der Bestsellerliste klettert, hat ihr die ehemalige Vorreiterin und Konkurrentin ein zweites Mal den Weg geebnet. Auch Mängelexemplar ist ein Buch mit einem unerwartet ernsten, in der Öffentlichkeit weitgehend mit Sprechverbot belegten Thema. »Trittbrettfahrer-Literatur« ist dieses Buch von der Kritik deshalb hämisch genannt worden. Was an dem Roman vom ersten Satz an ins Auge fällt, ist vor allem der Gegensatz zwischen dem Gewicht seines Gegenstands und der Leichtigkeit der Sprache. Die Erzählerin, eine frisch gekündigte Mitarbeiterin einer Medienagentur, beschreibt ihr von Niedergeschlagenheit und Angstzuständen bestimmtes Innenleben in betont flapsigem Tonfall, geleitet von Bildern aus der Pop- und Fernsehwelt. Ihre Psychiater und Psychotherapeuten haben ein »Niels-Ruf-Grinsen« oder erinnern sie an Fernseharzt Dr. House und Jodie Foster.
Über Seiten hinweg wird die Metapher aufrechterhalten, dass die erste Sitzung beim Psychotherapeuten ein »Casting« sei und die Vereinbarung eines weiteren Termins ein »Recall«. Und über die immer stärkeren Angstattacken, die in der Erzählerin aufkommen, heißt es einmal: »Das böse Tier hat sein Go, es ist Stage Time, die Vorband ist endlich weg, der Main Act darf endlich zeigen, was er kann.«
Sarah Kuttner hat in den vergangenen Jahren regelmäßig betont, wie distanziert sie großen Teilen der Medienwelt gegenüberstehe. Das Personal ihres Romans hat sie nicht umsonst gerade in diesem Milieu angesiedelt: eine Ansammlung von Shoppingkanal-Moderatoren, Promotern und Agenturangestellten, die sich zum Teil nur mit wohldosierten Psychopharmaka über Wasser halten können.
Handlungsgang und Sprache sollen in Mängelexemplar also eine bestimmte Entfernung der Autorin zu dieser ihr selbst so vertrauten Sphäre signalisieren – doch das Bemerkenswerte an diesem Buch ist gerade, wie der Autorin die Sprache immer wieder wegrutscht, wie diese Distanz ständig eingezogen wird.
Sarah Kuttner möchte von einer ironisch-souveränen Position aus über die Welt berichten, aus der ihre beschädigten Figuren kommen; in ihrer Sprache, in unmerklichen Formulierungen wird aber vielmehr deutlich, wie vollständig durchdrungen die Autorin davon ist. Ständig benutzt sie im Roman Versatzstücke jenes Medienjargons, den sie eigentlich kritisch abbilden will. So heißt es von der Erzählerin einmal, sie »kommuniziere das nicht«, und an einer anderen Stelle wird gesagt, prominente Schauspieler kämen nur dann zu den Agenturtreffen, »wenn sie etwas wirklich dringend zu promoten« hätten.
Wenn sich die sprachliche Inkonsequenz dieses Romans also immer wieder im Problem des richtigen Abstands der Worte zu den Dingen offenbart, im Schwanken zwischen Identifikation und Distanz, dann verweist diese Unschlüssigkeit des Standorts vielleicht auch auf die Fernsehfigur Sarah Kuttner selbst.
Einerseits will sie bis heute Charlotte Roches Kunst fortführen, ein Fremdkörper im eigenen Medium zu bleiben. Andererseits aber ist Kuttner von jeher deutlich anzumerken, wie sehr sie sich in der Rolle der prominenten Moderatorin gefällt. In Interviews hat sie mindestens einmal zu oft betont, dass ihr Karriere völlig unwichtig sei, um ihr diese Unabhängigkeit noch abzunehmen.
Im Gegensatz zu Roche, deren Souveränität bis heute glaubhaft wirkt, hatte die Übertretung der Konvention bei Sarah Kuttner stets etwas von einer berechenbaren Strategie. Der flapsige Tabubruch als interessantes Accessoire, nicht als Maßgabe der eigenen Arbeit. Und so wie die Moderatorinnen Kuttner und Roche verhalten sich nun auch ihre Romanveröffentlichungen Mängelexemplar und Feuchtgebiete zueinander: die eine die blasse Kopie der anderen.