Sieht aus wie ein Fall von Gastronomiespionage: Der Küchenwagen »Erna« aus Stuttgart hat die gleiche Inneneinrichtung wie der der »Spießgesellen« aus Pforzheim – und auch dort wird schwäbisch gekocht. Ernas Konzept heißt Maultaschen auf Rädern, die Spießgesellen verkaufen Fleischspieße mit Spätzle oder Kartoffelsalat, alles handgemacht. Beide Küchenwagen haben auch das identische Design der großen Speisekarte mit den abfotografierten Gerichten an der Theke. Der Unterschied: Erna hat einen Anhänger, den man erst parken, abhängen und aufbauen muss, bevor die Küche geöffnet ist, die Spießgesellen fahren einen Kleinbus, bei dem man hinten nur eine Seitenwand hochklappt, schon ist die Küche geöffnet. Die Spießgesellen sind erst seit einem halben Jahr auf der Straße, Erna schon seit März 2011. Natürlich haben die Spießgesellen sich Erna ganz genau angesehen, und Ernas Besitzer haben ihnen auch ganz kollegial erzählt, auf was man so achten muss, wenn man Essen aus einem Auto verkaufen möchte.
Erna war in der ganzen Region der erste Küchenwagen, neudeutsch Food Truck. Zwei Wirtschaftsstudenten haben Erna gegründet. Die Idee, auf die Straße zu gehen, ist nicht aus der Not geboren, sondern war ein langgehegter Traum, seit die beiden Studenten einmal gemeinsam Urlaub in Toronto machten und dort jede Menge Fast Food probierten. Die Idee zu schwäbischem Fast Food – gute Hausmannskost und doch schnell auf die Hand – drängte sich den beiden förmlich auf. Strategisch planten sie den Straßengang: Mütter wurden nach Rezepten befragt, ein Businessplan für Banken erstellt, TÜV und Gesundheitsamt konsultiert, eine Küche in den Anhänger gebaut, ein marketingtauglicher Name gefunden: Denn eine Erna gab es bisher nie im Leben der beiden Jungunternehmer. Sie investierten 80 000 Euro. Verschiedene Metzger liefern nach standardisierten Rezepturen frische Maultaschen, die im Anhänger nur aufgewärmt werden. Erna steht jeden Mittag woanders: montags in einem Industriegebiet, dienstags vor einem Bürogebäude. Ihre Kundschaft: Studenten, Mechaniker, Banker, der Honorarkonsul von Kanada – je nach Wochentag und Standort.
Food Trucks sind eine amerikanische Erfindung. In den Straßen Manhattans stehen die Leute mittags vor Bussen aus den Fünfzigerjahren Schlange für Tacos oder Dim Sum. In Deutschland verstand man unter Straßenküche lange nur Currywurst mit Pommes. Aber inzwischen servieren einige Kleinbusse gutes und schnelles Essen auf Rädern sogar in kleineren Städten: gegarte Steaks bei »Swagman« in Bayreuth und Nürnberg, oder Coffee-Bikes, die in 31 deutschen Städten herumfahren und Schwarzwälderkirsch-Latte-Macchiato für 3,40 Euro verkaufen. 15 000 Euro müssen die Franchisenehmer in ihr Spezialfahrrad investieren, auf dem sie ohne Strom- und Wasseranschluss Kaffee kochen können.
Die meisten Food Trucks bieten gerade mal seit ein, zwei, drei Jahren auf der Straße Essen an, ihre aktuellen Standplätze geben sie auf ihrer Homepage oder über Facebook bekannt. Die Köche von Food Trucks kochen in der Regel gut, oft exotisch, eher frisch und gesund, oft bio und ohne Geschmacksverstärker, immer schnell, auch wenn die Food-Truck-Küche kein billiges Fast Food ist. Seit Kurzem gibt es sogar den mobilen Diner von Veuve Clicquot, in dem man Brut oder Rosé für zehn Euro das Glas trinkt und dazu Iced Peach Gazpacho, Tafelspitz oder Wildkräutersalat isst. Der Wagen tourt im Sommer zwischen dem »Gogärtchen« auf Sylt, der Rennbahn von Baden-Baden, der Fashion Week in Berlin oder dem Seefest in Rottach-Egern.
Kundschaft gibt es mehr als genug, aber gute Standplätze sind nicht leicht zu bekommen, und die Food Trucks kämpfen noch mit der Bürokratie: Die Kommunen in Bayern und Baden-Würt-temberg geben Lizenzen für öffentliche Plätze nur sehr sparsam aus. Vielen Kommunen passen die Wägen nicht ins Stadtbild, sie wollen die Leute von der Straße bekommen, fürchten Dreck und Lärm für Anwohner. Kleinere Städte sind oft aufgeschlossener, erzählen die Betreiber von Coffee-Bike. Am schwierigsten macht Kreuzberg es den Food Trucks, wo gleich vier verschiedene Ämter in ein und demselben Rathaus Zulassungen von den Kleinunternehmern verlangen: Ordnungsamt, Tiefbauamt, Grünflachenamt und schließlich die Straßenverkehrsbehörde, die die Sondernutzungsgenehmigung erteilt. »Einige Bezirke wollen uns nicht«, sagt Sascha Steinfurth, der Betreiber von »Vatos Tacos«. Letzten Sommer stand der Wagen vor der Berliner Discothek »Ritter Butzke«, dieses Jahr sucht er immer noch nach neuen, geeigneten Standorten. Die meisten deutschen Food Trucks klappern deswegen Wochenmärkte, Industrieparks oder die Parkplätze vor Clubs und großen Betrieben ab – überall wo die Standplätze möglichst von privat anzumieten sind. Auch in der Provinz: »Swagman« heißen die zwei Busse aus Nürnberg und Bayreuth, in denen Steaks schonend gegart werden. Peter Appel und Andrea Übelhack kochen und fahren die Busse. Vor zwei Jahren entwarf Andrea Übelhack noch Modekollektionen für C & A, bevor die beiden ihren Bus in Betrieb nahmen. »Wir haben die Arbeit im Food Truck unterschätzt. Aber wer selbst gemachten Kartoffelbrei verkaufen will, muss eben auch Kartoffeln schälen. Wir arbeiten 16 Stunden am Tag, trotzdem haben wir den Schritt nie bereut.« Angst vor Konkurrenz kennen sie nicht. »Im Gegenteil. Jeder weitere Food Truck, der gutes Essen verkauft, macht die Idee bekannter und hilft uns allen weiter.« Die gemeinsame Idee heißt: Essen soll im Sommer draußen besser sein als drinnen.
Fotos: Toby Binder