Was gibt's denn da zu lachen?

Matthias Schweighöfer spielte den Roten Baron. Alexandra Maria Lara spielte Traudl Junge. Moritz Bleibtreu spielt Joseph Goebbels. Wie geht man als Schauspieler mit den historischen Rollen um? Zeit für ein Gespräch.

SZ-Magazin: Joseph Goebbels, Andreas Baader, Petra Schelm, Traudl Junge, Friedrich Schiller, Baron Manfred von Richthofen, Marcel Reich-Ranicki. Viele Menschen kennen diese Figuren mehr durch Sie als durch den Unterricht in der Schule. Sind Sie unsere besten Geschichtslehrer?

Moritz Bleibtreu: Ein Film verfolgt für mich keinen Bildungsauftrag. Ein Kinobesuch ist Realitätsflucht, und die soll möglichst intelligent und unterhaltsam sein.

Und er soll offenbar auch über Geschichte informieren.

Bleibtreu: Ja, aber dass ein Film die Welt verändert, halte ich für abwegig.

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Aber genau davon handelt der Film, in dem Sie bald zu sehen sein werden. Oskar Roehlers Jud Süß – Film ohne Gewissen zeigt, wie Veit Harlans Jud Süß im Dritten Reich half, Wehrmachtssoldaten zum Mord an Juden anzustacheln. Geht es da nicht darum, wie Film die Welt verändert?

Bleibtreu: Ich denke nicht, dass der Film an der Situation damals viel verändert hat. Die mediale Kraft eines Films war damals natürlich eine andere. Trotzdem glaube ich nicht, dass alles anders gekommen wäre, wenn es den Film nicht gegeben hätte.

Warum ist es dann verboten, den Jud Süß von 1940 heute in Deutschland vorzuführen?

Bleibtreu: Das finde ich auch falsch. Ich wünschte, jede 8. Klasse würde den anschauen und über die Mechanismen der Manipulation diskutieren. Kein Jugendlicher wird heute zum Faschisten, weil er sich im Internet Jud Süß runter-
geladen hat. Wer das glaubt, lebt nicht in der Welt, in der ich lebe.

Alexandra Maria Lara
: Wenn es um Film in der Gegenwart geht, darf man nicht vergessen, dass wir Schauspieler nur Teil eines großen Ganzen sind. Regisseure haben eine Vision, und wir versuchen sie zu interpretieren. Wenn Menschen zum Denken angeregt werden, dann ist das großartig. Aber ein Film muss nicht die Welt verändern, er kann auf Dinge aufmerksam machen.

Matthias Schweighöfer:
Mir gefällt es natürlich, wenn mich Jugendliche darauf ansprechen, dass ich Schiller gespielt habe, und ich merke, die haben sich deswegen mit dem auseinandergesetzt. Auf Themen aufmerksam zu machen ist schon das Höchste, was man leisten kann.

Der Schiller-Film wird ja auch im Schulunterricht gezeigt.

Schweighöfer:
Wenn ich früher Goethe oder Schiller lesen musste, hat mich das sehr gemüht. Wenn ich durch einen Film mehr über das Leben der Autoren gewusst hätte, hätte ich sicher manches besser verstanden.

Bleibtreu: Verzeihung, da muss ich dazwischengrätschen, aber Unter-haltungsfilme als Schulmaterial zu verwenden, da muss man vorsichtig sein. Film darf nie in der Verantwortung stehen, Geschichte zu vermitteln. Alle Filme, ob Jud Süß oder Schiller oder Der Untergang, sind dramaturgisch konzipiert,
keiner davon kann eins zu eins authentische Geschichte zeigen. Er kann allenfalls eine Brücke zu weiterer Recherche darstellen.

Lehnen Sie da tatsächlich jede Verantwortung ab?

Lara: Doch, die hat man natürlich immer. Aber man muss sich als Schauspieler auch ein Stück weit davon frei machen, damit man sich voll und ganz auf seine Rolle einlassen kann.

Schweighöfer: Bei dem Film über Reich-Ranicki gab es eine Szene, in der wurden tausend Juden deportiert, das war grauenhaft. Da kann man nicht darüber nachdenken, welche Aussage man über Geschichte trifft, in so einem Moment muss man es einfach laufen lassen, sonst schafft man das alles gar nicht.

Sie haben alle in Filmen mitgespielt, die so akkurat wie möglich historische Ereignisse zeigen wollen. Besteht da nicht die Gefahr, dass Sie ein Bild der Vergangenheit schaffen, das sich in den Köpfen festsetzt?

Bleibtreu: Ich muss von meinem Zuschauer erwarten können, dass er Fiktion und Realität trennen kann. Die Realität hat am Ende des Tages nichts mit dem Film zu tun.

Aber wo soll der Zuschauer die Grenze ziehen?

Bleibtreu:
Nehmen Sie den Untergang, der hat höchstens für fünf Pfennig mit den realen drei Tagen da unten im Bunker zu tun. Und wenn Matthias mit tausend Komparsen Deportation spielt, hat das nichts, rein gar nichts mit der realen Situation damals zu tun.

Wieso nicht? Die Filme zeigen etwas, was so oder so ähnlich passiert ist.

Bleibtreu:
Film ist ein in sich geschlossener, autonomer Kosmos! Wer etwas über die Realität erfahren will, der soll studieren.

Quentin Tarantino hat bei seinen Inglourious Basterds völlig auf die reale Geschichte gepfiffen, da starben Hitler und Goebbels einfach bei einem Kinobrand. Ist Ihnen der Ansatz lieber?

Bleibtreu: Der konnte das nur machen, weil er nicht aus Deutschland kommt. Stellen Sie sich mal vor, Tom Tykwer hätte sich so was erlaubt, da wäre der Teufel los gewesen!

Schweighöfer: Beim Roten Baron haben wir hier auch ordentlich auf die Fresse gekriegt, weil da ein Weltkriegssoldat der Held war. In den USA fanden die das extrem cool.

Goebbels, die Witzfigur

Herr Bleibtreu, Jud Süß – Film ohne Gewissen wurde nach der ersten Vorführung auf der Berlinale als antisemitisch kritisiert. Was sagen Sie dazu?

Schweighöfer:
Wenn ich mich da mal kurz einmischen darf – solche Vorwürfe kommen doch immer schon, bevor ein Film überhaupt gedreht ist!

Konkret ging es darum, dass viele Szenen aus dem Originalfilm nachgespielt wurden. Und dass die Hauptfigur, der abgehalfterte Schauspieler Marian, nach dem Krieg von einer Gruppe Juden verprügelt wird.

Bleibtreu: Ich frage mich, haben die Kritiker den Film überhaupt gesehen? Wenn jemand diesem Film Antisemitismus vorwirft, dann ist das eine Frechheit. Da kann ich nur sagen: Wenn etwas ewig gestrig ist, dann das. Man kann uns vorwerfen, dass der Film schlecht gespielt ist oder schlecht ausgeleuchtet, was auch immer, aber politische Motivation kann man ihm nicht unterstellen.

Auch für Ihren Goebbels wird es viel Kritik geben. Warum spielen Sie ihn so karikaturenhaft?

Bleibtreu: Da muss ich widersprechen. Es gibt definitiv komische Momente, aber eine Karikatur bedeutet, dass man die Komödie ständig mitspielt. Das habe ich nicht getan. Außerdem hatte der reale Goebbels aus heutiger Sicht tatsächlich etwas stark Karikaturhaftes. Übrigens alle aus der Riege damals.

Sie spielen Goebbels mit starkem rheinischem Dialekt. Herr Schweighöfer, Sie haben sich im Gegensatz dazu bei Ihrer Rolle als Reich-Ranicki entschieden, den berühmten Tonfall nicht zu imitieren. Wieso?

Schweighöfer: Reich-Ranicki hat in seiner Jugend nicht so geredet wie heute. Ich hab mir das von ihm erklären lassen: Er war auf einer deutschen Schule, er musste akzentfrei Deutsch sprechen. Und danach hat er zwanzig Jahre lang nur Polnisch gesprochen, so kam erst der Akzent zustande, den er heute hat.

Bleibtreu: Für mich hat dieser joviale Sprachduktus von Goebbels unheimlich gut zu seinem bösen Charme gepasst, das war einfach Arsch auf Eimer.

Ist es schwieriger, wenn man jemanden spielt, der noch lebt?

Schweighöfer: Bei Reich-Ranicki war das schon eigenartig. Da saß also ein 80-jähriger Mann, seine Frau daneben rauchte ununterbrochen Mentholzigaretten, und die beiden schauten mich seltsam an, als ich etwas über ihre Jugend erfahren wollte. Ich habe zum Beispiel gefragt, ob sie damals viel gekuschelt haben. Normale Fragen, wie man so als junges Paar lebt, eben. Damit konnten sie aber nicht so viel anfangen. Man sucht sich dann eben einen eigenen Zugang zur Figur.

Wie wichtig ist die äußere Ähnlichkeit für historische Rollen?

Schweighöfer: Das Gesicht ist ein Kostüm, es wird so verkleidet wie der Körper auch. Als ich Reich-Ranicki gespielt habe, saß ich jeden Morgen zweieinhalb Stunden in der Maske. Schwarze Haare, braune Augen. Das kann man immer irgendwie hinbiegen.

Lara:
Die Kostüme sind für Schauspieler eine große Hilfe, aber sie machen nur einen Teil der Rollenannäherung aus. Ich erinnere mich daran, wie Corinna Harfouch im Untergang die Szene spielte, in der sie als Magda Goebbels ihre Kinder umbringt. Das hat sie und alle anderen sehr mitgenommen. Es gibt für einen Schauspieler Momente, da kommt die Geschichte ganz nah an ihn heran, viel näher, als wenn man das nur lesen oder als Zuschauer sehen würde. In einer solchen Situation geht es dann nicht um Kostüm und Maske.

Bleibtreu: Ich habe zum Beispiel bei Andreas Baader immer gesagt, es ist wichtiger, die Energie dieses Mannes zu spielen als den Mann selbst. Jede Person der Zeitgeschichte ist beseelt von einer bestimmten Energie, von einem Spirit. Wenn man den einfängt, ist das schon wahnsinnig viel.

Aber was, wenn der Zuschauer vor der Leinwand sitzt und sagt: Hm, das ist doch gar nicht der Baader, das ist doch gar nicht der Goebbels?

Bleibtreu: Also bitte, ich bin doch nicht verantwortlich für jeden einzelnen Zuschauer!

Aber für den spielen Sie doch.

Bleibtreu:
Wenn ich die hundertprozentige Kontrolle hätte über die Emotionen, die ich dem Zuschauer vermittle, dann wäre ich Marlon Brando gepaart mit Laurence Olivier hoch James Dean. Ich kann nicht Verantwortung übernehmen für das, was bei Ihnen ankommt. Ich kann nur die Verantwortung vor mir selbst übernehmen und mir im schlimmsten Fall auf dem Weg vom Set nach Hause eingestehen, das haste verkackt.

Was lernt man, wenn man historische Figuren spielt?

Lara: Jeder Schauspieler erfährt Neues durch die Arbeit an einer Rolle. Und wenn man in einem Film über das Dritte Reich spielt, fragt man sich natürlich automatisch, wie hätte man sich selbst in der Zeit verhalten, hätte man aufbegehrt? Mit dem Wissen, das man heute von vorneherein hat, finde ich es schwierig, diese Frage realistisch zu beantworten.

Schweighöfer:
Als wir den Roten Baron gedreht haben, hatten wir einen Dialekt-Coach. Der hat uns gesagt: Euch muss klar sein, dass ihr Aristokraten spielt, in der Zeit damals durften praktisch nur Adlige an den Steuerknüppel, also müsst ihr auch so sprechen. Da wurde mir dieser Zusammenhang zum ersten Mal klar. Und ich musste erst mal acht Monate lang üben, so zu sprechen, wie deutsche Adlige im Ersten Weltkrieg gesprochen haben.

Film ohne Bildungsauftrag

Es gab mal eine Zeit, in den 60er- und 70er-Jahren, da sollten Filme, die historische, politische Stoffe behandelten, etwas erreichen, Meinung bilden. Dieser Anspruch scheint im Augenblick ziemlich verschwunden zu sein. Woran liegt das?

Bleibtreu: Solche Filme sind sicher immer noch wichtig und müssen gemacht werden. Aber ich merke an mir selbst: Wenn ein Film einen übersteigerten Anspruch hat, wenn es nach, öffentlich-rechtlich gesagt, Bildungsauftrag riecht, dann bin ich weg. Mein Job ist Unterhaltung. Nicht oberflächlich, sondern so leidenschaftlich wie möglich, so intelligent wie möglich.

Schweighöfer: Ich schließe mich an. Bildungsauftrag ist immer Zeigefinger. Nicht gut.

Bleibtreu:
Das radikale politische Kino existiert auch deshalb nicht mehr, weil seine mediale Macht bei Weitem nicht mehr so groß ist wie früher. Damals gab es nur das Kino. Die Möglichkeit der Einflussnahme ist nicht mehr dieselbe.

Auch wenn Sie den Bildungsauftrag ablehnen – Sie können doch bei einem Film wie etwa dem Baader Meinhof Komplex nicht bestreiten, dass er ein Bild der Vergangenheit entwirft, das die Zuschauer dann glauben wollen.

Bleibtreu: Sicher ist alles irgendwo politisch. Dennoch gibt es einen großen Unterschied, wenn man eine politische Haltung vermitteln will. Jeder, der sich ein bisschen mit Film auskennt, wird diesem Film attestieren, dass er keinen politischen Anspruch hat.

Vielleicht ist das auch ein Problem. Die Geschichte wird zur bloßen Plattform für Unterhaltung – drückt sich aber um eine klare Haltung.

Bleibtreu:
Der Baader Meinhof Komplex erzählt, was passiert ist. Von A bis Z. Mehr nicht. Er klagt nicht an. Er verteidigt nicht.

Er enthält sich. Könnte man auch feige nennen, oder?

Bleibtreu:
Nein, ich finde das völlig legitim. Was zählt, ist die Geschichte.

Gibt es generell ein Problem, wenn Deutsche deutsche Geschichte spielen?

Lara:
Ich denke, dass es wichtig ist, dass man sich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzt. Was Sie Problem nennen, ist vielleicht nur ein vorsichtigerer Umgang mit der eigenen Historie, und das ist doch auch verständlich. Und das gilt übrigens für jedes Land und seine Geschichte und nicht nur für Deutschland. Die Franzosen gehen an Marie Antoinette auch sensibler ran als eine amerikanische Regisseurin.

Bleibtreu:
Dass unsere Geschichte besonders belastet ist, heißt doch nicht, dass wir nicht das Recht hätten, künstlerisch und frei damit umzugehen, das ist doch unser Job, wir sind Künstler!

Und das gilt auch, wenn man wie im Untergang Hitler als älteren Herrn zeigt, mit dem man fast Mitleid haben muss?

Lara:
Warum denn nicht? Wie kann man davon ausgehen, dass ein Mensch nur eindimensional ist? Wenn das Monster an sich so einfach zu erkennen wäre, hätte die Welt weniger Probleme, aber Diktatoren blenden eben, haben Talent zu manipulieren.

Bleibtreu:
Es ist wie mit dem Monster, das mir als Kind in Albträumen erschienen ist. Da lief ich heulend zu meiner Mutter, und die sagte, ich soll das Tier doch mal aufzeichnen. Das tat ich, und sie sagte zu mir: Guck doch mal, Moritz, so schlimm ist das gar nicht … und davor hast du Angst? So ähnlich hat der Untergang funktioniert: Zeigt das Monster, damit ihr es erkennt.

Gewagter Vergleich. Erkennen wir die Monster jetzt besser als vorher?

Bleibtreu: Na ja, wenn der Faschismus noch mal auf die Welt zurückkehren sollte, wird er sich bestimmt nicht genauso kostümieren wie damals. Wenn so was noch mal passiert, dann auf eine Art und Weise, dass wir alle dasitzen und sagen, fuck, das haben wir nicht geahnt. Ich will ja nichts sagen, aber wenn wir in die USA gucken, was da gerade abgeht …

Was denn?

Bleibtreu: Amerika hat sich in den letzten Jahren immer mehr zu einem Sicherheitsstaat entwickelt. Es werden Katastrophen-Camps überall im Land gebaut. Der Patriot Act schränkt die Freiheit der Bürger enorm ein. Microchipping für Straftäter wird öffentlich diskutiert. Feindbilder werden aufgebaut, und bei nur zwei politischen Lagern von demokratischer Diskussion zu sprechen, finde ich schwierig. Die Sympathiewerte Obamas machen es umso schwerer, die wahre politische Situation des Landes zu erkennen. Übrigens – nichts von dem, was er versprochen hat, hat er eingehalten.

Frau Lara, Ihre Eltern kommen aus Rumänien, Herr Schweighöfer, Ihre Eltern waren Theaterstars in der DDR. Haben Sie Ambitionen, die Geschichte dieser Staaten in filmischer Form aufzuarbeiten?

Lara:
In dem Film Offset habe ich eine junge Rumänin gespielt, die sich in einen Deutschen verliebt und dadurch Aussicht auf ein neues, vielleicht besseres Leben hat. Diese Arbeit war für mich eine tolle Möglichkeit, mich mit dem Land auseinanderzusetzen, in dem ich geboren bin. Und wenn das mehr Interesse für Rumänien und die jetzige Situation weckt, dann ist das eine gute Sache, über die ich mich freue.

Und was ist mit der DDR? Bis auf Das Leben der Anderen und ein paar lustige Jugendfilme wie Sonnenallee gibt es da ja praktisch nichts.

Schweighöfer: Det finde ich auch jut! Man muss es nicht übertreiben, immer die Geschichte, immer die schweren Stoffe … Ich muss nicht jedes Jahr einen neuen Ostfilm sehen.

Lara:
In Rumänien zum Beispiel existiert zurzeit durchaus der Drang, sich mit seinem Land, seiner Geschichte und der Politik filmisc auseinanderzusetzen.

Bleibtreu: Ich glaube aber, dass Film heute, zumindest in der westlichen Gesellschaft, als politisches Mittel nicht mehr funktioniert. Es ist natürlich beunruhigend zu sehen, wie momentan zum Beispiel im russischen Kino die eigene Geschichte ad absurdum geführt wird, aber ich glaube trotzdem: Wenn man gesellschaftspolitisch relevant sein will, dann ist Kino das falsche Werkzeug.

Fotos: Oliver Mark