»Weiß sind sie am billigsten«

Warum ist Viagra blau? Und wieso bekommen Medikamente immer so komplizierte Namen mit X oder Z? Unser Experte weiß alles über die psychologische Wirkung von Tabletten-Design.

SZ-Magazin: In Deutschland sind rund 4000 Pillen zugelassen, es gibt Tabletten, Kapseln und Dragees in Rot, Blau, Grün oder Gelb. Was ist das verrückteste Design?
Dr. Siegfried Throm: Ich habe schon orangefarbene Untertassenformen, gelbe Blütenformen, weiße Herzchen, grüne Fünfecke oder rosa Tabletten gesehen, deren Äußeres an ein Blutkörperchen erinnert. Die meisten Pillen sind aber rund. So rollen sie besser in den Rohren der Tablettenpresse.

Wie werden die Pillen so bunt?
Wir verwenden rund 30 Lebensmittelfarben. Nach Weiß sind rötliche Eisentöne am gebräuchlichsten, dann Carotine. Patienten, die so eingefärbte Tabletten im Pillendöschen aufbewahren, beschweren sich allerdings mitunter, da diese Farben im Licht bleichen. Selten sind lilafarbene Tabletten.

Gibt es auch schwarze Pillen?
»Brillantschwarz« als Farbstoff ist sogar erlaubt. Aber würden Sie eine schwarze Tablette schlucken? Medikamente sollen rein sein, das assoziiert man mit Weiß.

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Nur deshalb sind die meisten Pillen weiß?
Nein, Weiß ist auch am billigsten.

Und weltweit am gängigsten?
Ja, die Japaner sind besonders extrem. Sie erwarten ein rein weißes, makelloses Produkt. Firmen, die dorthin exportieren, setzen meist eine japanische Check-Maschine ein. Sie ist extrem scharf eingestellt, sortiert viel aus. Oder die Ware wird gleich nach Japan geliefert und dort per Hand nachsortiert.

Warum sind manche Tabletten lackiert?
Zum Schutz vor Licht und Feuchtigkeit. Außerdem wird lackiert, um bitteren Geschmack zu überdecken und die Tabletten vor Magensaft zu schützen.

Wirken rote Tabletten besser als grüne?
Dazu gibt es keine Studien, aber die Farbpsychologie nach dem alten Goethe besagt: Rot ist gut für Herz-Kreislauf, Blau zur Beruhigung, Gelb für die Nerven. Pflanzliche Arzneimittel sind oft grün.

Viagra ist aber blau - und dient nicht der Beruhigung.
Vielleicht Zufall! Angeblich hatte der Hersteller Pfizer das Design in der Schublade, und als der Wirkstoff gefunden war, holte man die blaue Raute hervor.

Hängt die Farbe nicht auch vom Inhalt ab?
Nein, weder von den Wirkstoffen noch von den Füllstoffen, die meist Milchzucker, Calziumcarbonat, Mais-, Reis- oder Kartoffelstärke sind.

Wer liefert diese Füllstoffe?
Einer der größten Lieferanten ist Meggle, also der mit der Butter.

Deutsche Pharmafirmen exportieren weltweit. Welches Design ist ein Bestseller?
Kein Design. Wichtig für Auslandslieferungen ist Rücksicht auf landestypische Gepflogenheiten. Vor dem Export nach Israel bescheinigt ein Rabbi, dass die Pillen koscher sind, für Arabien müssen die Tabletten halal sein, dürfen also keine Komponenten vom Schwein enthalten. Ins prüde Amerika können wir keine Zäpfchen verkaufen.

Warum sind die meisten Tabletten rund oder länglich?
Extravagante Tabletten müssten so erfolgreich sein, dass ihre Produktion eine eigene Maschine auslastet. Das ist aber fast nie der Fall.

Was bedeuten die Prägungen?
Meist sind das Firmenlogos oder Zahlen, die für die Dosierung stehen, oder ein Herzstempel bei einem Herzmedikament. Es gibt aber auch Hersteller, die Pfeile oder eine Art Tannenbaum einstanzen. Was die sich dabei gedacht haben, weiß ich nicht.

Wie lange dauert die Entwicklung einer Tablette?
Im Schnitt 13,5 Jahre. Am Anfang steht der Wirkstoff, erst später wird über das Design entschieden.

Wann nimmt man Tabletten, wann Kapseln?

Je empfindlicher der Wirkstoff ist, desto eher ist die Darreichungsform eine Kapsel. Trotzdem favorisieren die Firmen Tabletten. Sie sind einfacher herzustellen und beliebter, weil sie leichter zu schlucken sind.

Wie klein können Pillen sein?
Die kleinste mit nur 4,4 Millimeter Durchmesser ist ein Dragee gegen Herzrhythmusstörungen bei Kindern. Die Größte ist eine Kapsel zur Immunsuppression bei Organtransplantierten und hat einen Durchmesser von 25,5 Millimetern.

Gegen welche Krankheiten sind große Pillen nötig?
Groß sind oft Antibiotika, Aids-Medikamente und andere Virustatika; denn bei der Bekämpfung von Bakterien und Viren muss eine große Wirkstoffmenge eingenommen werden.

Denken Patienten, große Tabletten helfen mehr?
Nein, denken Sie nur an die vergleichsweise kleine Antibabypille.

Sind kleine Tabletten verträglicher?
Verträglichkeit hängt vom Wirkstoff ab und davon, wo eine Tablette zerfällt. Zerfällt sie schon im Magen, geht der Wirkstoff anschließend im Darm schnell ins Blut über. Aber manche Wirkstoffe würden auf den Magen schlagen – da darf die Tablette erst im Darm zerfallen.

Welche Rolle spielt die Größe der Packung?

Großpackungen werden immer wichtiger. Der Patient zahlt pro Tablette weniger zu. Das ist für die Dauermedikation bei chronischen Krankheiten interessant - etwa bei Diabetes, Bluthochdruck oder Alzheimer.

Und wie wichtig ist der Name?
Da wird richtig investiert, Firmen lassen neue Namen auf Vorrat produzieren und verkaufen diese sogar, wenn sie sie »übrig« haben. Gute Kunstnamen zu finden wird immer schwieriger. Deshalb werden Agenturen beauftragt. Diese reichen ihre Vorschläge beim europäischen Markenamt in Alicante ein. Ehe ein Name aber verwendet wird, prüft ihn auch die europäische Arzneimittelbehörde EMA - mit einer Ablehnungsquote von 50 bis 70 Prozent. Oft ist ihr die Ähnlichkeit zu bereits zugelassenen Marken oder dem Wirkstoffnamen zu groß.

Wie muss eine erfolgreiche Pille denn heißen?
Der Name muss in allen 27 Ländern der EU verständlich, nicht zu lang, gut merkbar, und unverwechselbar sein. Einer der bekanntesten Kunstnamen, die je erfunden wurden, ist Aspirin. Auch werden seltene Buchstaben beliebter. Jedes fünfte Medikament, das zwischen 1986 und 2005 zugelassen wurde, hat ein Z oder ein X im Wortlaut, davor gab es insgesamt nur 19 Medikamente, die überhaupt diese Buchstaben führten.

Warum dann diese Entwicklung?
Z ist im arabischen Markt beliebt, X steht für Technik und Fortschritt.

Dabei entstehen immer wieder Namen, die schwer auszusprechen sind, wie beispielsweise Umckaloabo. Warum verkauft sich das trotzdem?
Weil Umckaloabo pflanzlich ist. Die Deutschen haben die irrige Annahme, dass Pflanzliches nebenwirkungsfrei, weil natürlich ist. Dabei kommen die stärksten Gifte aus der Natur.

DR. SIEGRDIED THOM,
57, hat Pharmazie studiert. Er arbeitete lange als Apotheker, danach im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Seit elf Jahren ist er Geschäftsführer für den Bereich Forschung im Verband forschender Arzneimittelhersteller.

Illustration: La Tigre