Ein Drink, der knallt und brennt

Seltsam, wenn man von einem Cocktail gleichzeitig an einen traumhaften Sommer und eine Tragödie erinnert wird.

Foto Maurizio Di Iorio

Elon Musk nennt seinen Sohn X Æ A-XII, Panzer tragen die Namen von Wildtieren wie Luchs oder Leopard, die nun wirklich nichts dafür können, ein Cocktail heißt wie der US-Langstreckenbomber B-52, der im Vietnamkrieg für Flächenbombardements eingesetzt wurde.

Vielleicht täusche ich mich, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es nichts Gutes über uns aussagt, wenn die Dinge dermaßen durcheinandergeraten. Wenn industriell hergestellte Waffen sich als Natur camouflieren und Drinks, die Spaß machen sollen, an Vernichtung erinnern. Im Fall des B52 ist der Zusammenhang besonders makaber, weil er gern flambiert serviert wird. Zwar behaupten manche, der Cocktail sei nicht nach dem Flugzeug, sondern nach der Band The B-52s benannt, aber das macht die Sache nicht besser, weil sich der Bandname von der hochtoupierten Bienenkorbfrisur der beiden Sängerinnen ableitet, die sich wiederum auf die Form der Bugspitze des Langstreckenbombers bezieht.

Der B52 sieht aus wie ein Gemälde von Mark Rothko: drei Farbschichten, säuberlich voneinander abgegrenzt, dunkelbraun, beige, rotbraun. Das Kunstwerk entsteht, weil jede Spirituose, die nacheinander über einen Bar-löffel hinweg ins Glas gegossen wird, über eine andere Dichte verfügt, erst Kaffee-, dann Creme- und schließlich Orangen-Cognac-Likör, der vom Barkeeper entzündet wird. Damit ist der B52 einer der Cocktails, die weder gerührt noch geschüttelt, sondern »gebaut« werden. Getrunken wird er von ­unten weg mit einem Strohhalm, der bitte schön feuerfest sein sollte.

Meistgelesen diese Woche:

Ich war eher der brave Typ, aber sobald ich bei Stefan war, schienen Dinge möglich, die sich sonst nur in meiner Fantasie abspielten

Mich erinnert der B52 an einen der unbeschwertesten Sommer meines Lebens. Ich war 16 und übernachtete jedes Wochenende bei meinem Kumpel Stefan, weil der – anders als ich – nicht um Mitternacht zu Hause sein musste. Ich war eher der brave Typ, war gut in Latein, spielte Klavier, aber sobald ich bei Stefan war, schienen Dinge möglich, die sich sonst nur in meiner Fantasie abspielten. Im Wohnzimmer stand eine Wurlitzer-Jukebox, und bevor wir in unsere Stammkneipe aufbrachen, hockten wir auf der Terrasse und hörten The Passenger von Iggy Pop, während uns sein Vater (cooler Typ mit langen Haaren) Bacardi-Drinks mixte und Zigaretten ­zusteckte, wenn wir eine rauchen wollten, während hinter uns die Sonne zwischen den Feldern versank.

Gegen 22 Uhr fuhr er uns in die Stadt, wo es zum Warmbleiben gern mal mit einer Runde B52 weiterging. Ich weiß noch, wie ich eines Abends, das brennende Gläschen in der Hand, einen Rempler von hinten bekam, den Drink über Stefans Unterarm schüttete, ­der – ich werde den Anblick nie ­vergessen – umgehend in Flammen stand, bläulich züngelnden Flammen, ein bisschen wie der Feuerzauber im dritten Akt der Walküre. »Ich brenne! Ich brenne!«, schrie er und klang ein ­bisschen panisch, aber vor allem verzückt, ja triumphierend.

Keine Sorge. Der Brand war schnell gelöscht, keine bleibenden Narben. Zehn Minuten ­später hatten wir den nächsten Drink in der Hand. Aber so war das im Jahr 1991. Knapp 30 Jahre später erzählte mir der Vater meiner Freundin, wie er als Junge von einem Feld aus zusah, wie ein amerikanischer B-52-Flieger sein Elternhaus zer­bombte. ­Später, als ich Iggy Pop auf der Terrasse hörte, war er Gastarbeiter in der DDR und zerteilte Rinder im Fleischkombinat. Abends spielte er Karten mit seinen vietnamesischen Zimmer­genossen. Nach der Wende zog er nach Bayern, wo er sich ganz allein und ohne fremde Hilfe ein neues Häuschen gebaut hat. Seit ein paar Jahren ist er Mitglied im Bayern-München-Fanclub.

Manchmal klagt er über ­Rückenschmerzen. Von dem Drink B52 hat er noch nie gehört. Vielleicht ist das gut so.