Wie jeder normale Mensch habe auch ich einige Superkräfte. So kann ich zum Beispiel nachts über vierspurige Straßen laufen, ohne auf Autos zu achten – mir passiert einfach nichts. Ich kann aus sehr großer Entfernung Schilder sehen, auf denen Hinweise, Himmelsrichtungen oder Verbote stehen – ich erkenne wirklich jedes Schild in meinem Dunstkreis in dem Moment, in dem es auftaucht. Und ich kann mich in eine kleine, etwas heruntergekommene Elfe verwandeln, für Menschen, die gerade dringend eine heruntergekommene Elfe brauchen.
Zu Superkräften, Sie kennen das alle, gehört auch die eine furchtbare Schwäche, die Stelle, an der man so verletzlich ist, dass man sterben kann, wenn es einen da erwischt. Meine Superschwäche, neben der Tatsache, dass ich nachts über vierspurige Straßen laufe, ohne auf Autos zu achten, sind Viren. Es ist ziemlich genau zehn Jahre her, da ergriff ein Killervirus Besitz von mir. Der Virus tat alles, um mich auseinanderzunehmen, um mich auszuschalten, er hätte mich sogar töten können, aber ich hatte einen sehr guten Arzt, und gemeinsam haben wir den Virus zurück in die Hölle geschickt.
Ich bin noch heute stolz auf mich, dass ich das geschafft habe, weiß aber, ein zweites Mal werde ich es nicht schaffen. Mit Bakterien werde ich fertig, die haue ich kaputt, am liebsten mit den Verbotsschildern, die mich mal kreuzweise können, doch Viren sind mein Kryptonit. Ich werde zu den Ersten gehören, die dieser weltweite Killervirus niederstreckt, wenn er eines Tages kommt. Aber, und hier ist die gute Nachricht: Ich kann dagegen antrinken.
Es war mein Arzt, der mir den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass es vielleicht gut für mich wäre, die Farbe Grün zu mir zu nehmen. Und zwar nicht nur in Form von Gemüse, sondern auch in Form von grünem Tee, je höher die Dosis, desto besser. Es sei bisher nichts bewiesen, aber man vermute, dass grüner Tee nicht nur generell sehr gut für die Gesundheit sei, sondern eventuell sogar eine Wunderwaffe gegen bestimmte Viren sein könnte. Und wenn ich aus allen Rohren feuern wolle, dann solle ich am besten Matcha-Tee trinken, die jungen, zarten, in einer Granitsteinmühle pulverisierten Teeblätter. Es gebe sie in sehr schönen silbernen Schälchen zu kaufen. Am besten natürlich in Bio-Qualität. »Wow, teuer«, sagte ich.
Mein Arzt zuckte mit den Schultern.
Aber ich vertraue ihm, er hat mir schließlich das Leben gerettet. Und, okay, was soll’s, mein Großvater, seines Zeichens nicht nur Opernsänger und leidenschaftlicher Trinker, sondern auch Salon-Kommunist, pflegte ja immer zu sagen: »Geld braucht man, aber es ist nicht wichtig.«
Seitdem gebe ich also sehr viel Geld für Matcha-Tee aus. Manche Leute behaupten, Matcha-Tee schmecke so schön frisch, herb, aber nicht bitter, so unfassbar aromatisch eben. Ich finde, Matcha-Tee schmeckt furchtbar. Der schmeckt ja nicht mal grün. Er schmeckt wie staubiger Schlamm. Aber weil ich keine Lust habe zu sterben, schütte ich mir das leuchtend grüne Pulver rein, wie immer es geht. Ich schlage es mit einem Bambusbesen in einer kleinen Schale zu Tee auf und komme mir vor wie Gwyneth Paltrow. Ich rühre es in warme Sojamilch und denke: Berlin. Ich verbacke es sogar in Kuchen. Und jetzt, wo der Sommer kommt, kommt auch meine große Zeit. In dem Hipsterorama, das mein Stadtteil geworden ist, wird es bald wieder an jeder Ecke gezuckerte Matcha-Eiscreme zu kaufen geben. Beste Medizin.