Fällt das jetzt schon unter den Straftatbestand »Störung der Totenruhe«? Oder, falls nicht: Ist es dann wenigstens der Beweis, dass Elvis tatsächlich nicht mehr lebt, weil er sowas ja nie zugelassen hätte? Ungefähr so schreiben Elvis-Fans gerade ihre Fassungslosigkeit ins Internet. Und von der Gegenseite tönt es nicht minder beleidigt zurück: »Na typisch, da bringt unser Land mal einen Star hervor, und wir reden ihn sofort schlecht. Armes Deutschland!« Puh.
Es geht bei dem Streit um ein Album, das seit letzter Woche draußen ist. 15 alte Elvis-Hits, posthum neu vertont, in Begleitung des Royal Philharmonic Orchestra. Der Streitpunkt ist allerdings nicht die sehr berechtigte Frage, ob es nach ungefähr 834 Greatest-Hits-Samplern auch mal reicht mit Elvis-Editionen, sondern lediglich ein einziger kleiner Bonustrack, mit dem das Album hierzulande vertrieben wird: »Just Pretend«, ein Duett mit Helene Fischer.
Was soll man dazu jetzt schreiben, mitten in den Streit hinein, bei dem man ohnehin nix gewinnen kann außer Ohrfeigen von der einen oder anderen Seite? Vielleicht erstmal, ganz neutral, reinhören in den Song. Er fängt ganz harmlos an, ein Elton-John-Piano, paar Streicher. Hm. Ganz schön seifige Nummer, hörbar auf den bald beginnenden Weihnachtsverkauf hinproduziert, wie überhaupt das ganze Album (und Dutzende Elvis-Alben vorher). Apropos, Google, hat Helene Fischer nicht auch letztes Jahr…? Ah, doch, genau: »Weihnachten«, ein Album voller Weihnachtshits. Interessant.
Und wenn man schon mal am Hebel der Suchmaschine sitzt - wer war eigentlich erfolgreicher, Elvis oder Helene? Er war 14 mal für den Grammy nominiert, den wichtigsten amerikanischen Musikpreis. Sie hat 16 Echos gewonnen, den wichtigsten deutschen Musikpreis. Rekordhalterin! Er gilt als der »best selling solo artist« in der Geschichte der USA, seine Plattenverkäufe gehen weltweit in die Milliarden. Sie hat mit ihrem erfolglosesten Album vierfach Gold, mit dem besten 32-fach Platin gewonnen. Ihr letztes ist sogar das erfolgreichste in Deutschland aller Zeiten. Und bei der nächsten Tour, schon wieder ein Rekord, füllt sie fünf mal hintereinander die Tui Arena in Hannover, fünf mal hintereinander die Barclaycard Arena in Hamburg, fünf mal die Westfalenhalle in Dortmund und so weiter.
Und, wow, da hören die Parallelen noch lange nicht auf! Beide hatten eine Kindheit in der Provinz (er in Mississippi, sie in Sibirien), haben, ihrer Zeit voraus, neue Musikstile geprägt (er den Rockabilly, sie den Stadionschlager), ihre Shows leben von moderner Inszenierung, über die man ästhetisch durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann (hier der Hüftschwung, dort das 41-Lkw-»Vier-Jahreszeiten«-Bühnenbild). Gleichzeitig, muss man sagen, haben es weder Elvis noch Helene besonders leicht gehabt: Konservative Verbände aller Art (hier die katholische Kirche, dort das Pop-Feuilleton) laufen gegen sie Sturm, ihre Gegner schieben ihnen die Schuld für alle möglichen Missstände zu (vorehelicher Geschlechtsverkehr, Homosexualität, das Erstarken der AfD, Bastian Schweinsteigers Gesang auf der WM-Feier). Ungeachtet dessen verwandeln sich beide zunehmend zu papstähnlichen Figuren, denen man ihre eigenen Audienz-Shows auf den Leib schneidert (die tägliche Elvis-Presley-Show in Las Vegas, die jährliche Helene-Fischer-Show in der ARD). Beide schreiben ihre Songs nicht selbst. Polstern ihre ziemlich schlichten Texte mit einer Extraportion Emo-Schmelz auf.
Mit Verlaub, liebe Fans auf beiden Seiten, Totenruhe und Nationalstolz in allen Ehren - Elvis Presley war völlig eindeutig die Helene Fischer der Sechzigerjahre. Können wir uns also nicht alle wieder vertragen? Schließlich kommt in ein paar Wochen das Weihnachtsalbum von Helene Fischer in einer Neuauflage raus. Mit ein paar neuen Songs. Und, tatsächlich, kein Witz: in Begleitung des Royal Philharmonic Orchestra.
Erinnert an: das Verhältnis der Fans von Real Madrid zu denen vom FC Barcelona.
Wer kauft das? Alle beide.
Was dem Song gut tun würde: Ein ökumenisches Vorwort von Kardinal Marx und dem EKD-Ratspräsidenten.
Foto: SonyMusic/Universal/Sandra Ludewig