Wird schon schiefgehen

Seit einer Woche ist Guido Westerwelle Außenminister - und scheint nicht mal selbst ganz sicher zu sein, ob er das alles packt. Dabei ist der Job gar nicht so schwer, findet unser Autor. Ein paar ehrlich Worte und viel sagende Anekdoten zum Beruf des deutschen Außenministers.

Lesen Sie hier: Die sieben Grundregeln für den neuen Außenminister.

Und der will Außenminister sein! Großes Stirnrunzeln, ob er dem Amt gewachsen sei. Von allen Seiten ist nun zu hören, Westerwelle habe keinerlei außenpolitische Erfahrung, kein Konzept, keine Kernthemen. Und dann sein vorlauter Belehrungston. Man sieht ihn bereits ausrutschen auf dem internationalen Parkett und Porzellan zerschlagen. Gut, auf dem EU-Gipfel vergangene Woche hat er sehr artig »vielen Dank« gesagt, sogar auf Französisch. Aber selbst ein FDP-naher Kaffeesatzleser wie Arnulf Baring schüttelte kürzlich in der Talkshow Maischberger bangend und ein wenig hämisch seinen Historikerkopf und sprach: Man wird sehen. 

Fachkenntnisse? Braucht er nicht, den Job kann fast jeder

Was wird man sehen? Der ebenfalls bei Maischberger herumsitzende Eckart von Klaeden, gerade zum neuen Staatsminister im Kanzleramt aufgestiegen, machte dazu eine wahrhaft diplomatische Anmerkung: Das Außenministeramt sei »Politik pur«, was nun wirklich eine brauchbare, kluge und ehrliche Definition ist. Die enormen Fachkenntnisse, die andere Minister zumindest vortäuschen sollten, sind hier nicht nötig, sondern Fingerspitzengefühl. Kritiker des Amtes sagen: Herumeiern muss man können und niemanden verprellen, ein bisschen gute Stimmung machen, Hände schütteln wie eben auf dem EU-Gipfel, ehe die Kanzlerin mit den anderen Regierungschefs zur Sache kommt.

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Nicht jeder kann das, aber ein intelligenter Mensch mit gutem Gedächtnis und halbwegs passablen Umgangsformen, der regelmäßig Zeitung liest und verschiedene Interessen einigermaßen abwägen kann, sollte in dem Job klarkommen. Dass er als Außenminister nicht so agitieren sollte wie bei der Beschwörung des Mittelstands, wird Westerwelle wissen. Auch sollte er das Stolzieren lassen und den rechten Arm nicht immer so sieghaft hochreißen wie ein Boxweltmeister.

Kindische Gesten, die an George W. Bush erinnern

Obwohl: Der Ex-US-Präsident Bush hat von dieser kindischen Triumphgeste seine beiden Amtszeiten hindurch nicht lassen können. Und Putin, der den schwarzen Gürtel im Judo bei jedem Schritt durchscheinen lässt, hat es immerhin zum Herrscher aller Russen gebracht. Vielleicht nerven einen all diese verräterischen Äußerlichkeiten nur vor dem Fernseher. Mag sein, dass den Alphatieren untereinander ihre Unarten gar nicht störend auffallen.

Schwul? Finden sogar die Gegner klasse

Dass Westerwelle schwul ist, finden sogar seine Gegner klasse. Das ist tatsächlich ein frisches liberales Signal. Wenn irgendein Land so dumm sein sollte, deswegen auch nur den Ansatz einer Vorhaltung zu machen – und sei es im Iran, Sudan oder Jemen, wo auf Homosexualität die Todesstrafe steht –, wird sich die restliche Welt geschlossen hinter Westerwelle stellen. Das würde seine Position mehr stärken als hundert irgendwann einmal aus Afghanistan abgezogene Soldaten – ein Erfolg, der obendrein an den Verteidigungsminister, den notorisch beliebten Karl-Theodor zu Guttenberg, und an die Kanzlerin abgegeben werden müsste.

Englischkenntnisse? Braucht er gar nicht

Guido Westerwelle die Sache mit seinem mangelhaften Englisch nachzutragen ist kleinlich und albern. Immerhin sagt der italienische Außenminister Frattini: »Westerwelle spricht fließend Englisch.« Es war auch nicht deutschtümelnd, was er sich nach der Wahl bei der Pressekonferenz leistete, sondern eher rührend, wie ungeschickt er sich dem des Deutschen nicht mächtigen BBC-Reporter entzog – und in der Sache vollkommen in Ordnung.

Zu Recht wurde auf die geringen Fremdsprachenkenntnisse seiner Vorgänger Fischer, Kinkel und Genscher hingewiesen. Simultandolmetscher stehen in diesem Job ausreichend zur Verfügung. Einen Außenminister, der ein halbes Dutzend Weltsprachen fließend spricht, fände man natürlich gut. Noch besser, wenn es eine hübsche Frau wäre. Eine bessere Politik gäbe es deswegen nicht.

Provinzieller als Kinkel wird Westerwelle nicht sein, und der hat Deutschland auch nicht in den Abgrund geführt. Der als wacker geltende Steinmeier umgab sich mit Literaten. Intellektuelle aber stehen der FDP eher nicht zur Verfügung; vielleicht bietet sich ja noch Peter Sloterdijk als Geheimberater oder Weltgeistsouffleur an.

Große Vorgänger? Quatsch

Absurd auch das Märchen von den großen Schuhen seiner Vorgänger. Als gehe es um ein Amt, das nur von Weltweisen eingenommen werden könnte. Als gäbe es reichlich Gestaltungsspielräume und keine bestehenden Verträge, keine waltenden Sachzwänge und eingefahrenen Gepflogenheiten. In den meisten der etwa 200 deutschen Botschaften der Welt wird nicht große Politik gemacht. Es werden auf mittlerer Bedeutungsebene Kontakte gepflegt.

Keine Ahnung und dumme Fragen

Reisende Abgeordnete aus Berlin, die profilsüchtig nach dem Rechten sehen wollen, keine Ahnung haben und dumme Fragen nach den Menschenrechtsverletzungen und dem Umweltschutz stellen, werden stöhnend vom Flughafen abgeholt und im Land herumgeführt. Deutsche Urlauber, die sich danebenbenommen haben, müssen im Gefängnis aufgesucht werden. Auch wenn es Unsympathen sind, die wirklich Mist gebaut haben, sollte man irgendwie etwas für ihre Freilassung tun. Das ist der Diplomatenalltag in der großen Welt.

Der Lohn dafür besteht in wahrhaft wohltätigen Auslandszulagen und darin, dass man relativ feudal residiert, während nach dem Auslandseinsatz in der Berliner Zentrale nur Bürokram auf einen wartet. Im Ausland ist man zwar eine Exzellenz, aber man schreibt selbst oder unterzeichnet zumindest von seinen Botschaftsmitarbeitern geschriebene Berichte über das jeweilige Land und schickt sie nach Berlin, wo sie ungelesen verschwinden. Es sei denn, ein Urlauber wurde entführt und das Land steht plötzlich im Brennpunkt des Interesses. Dann muss es sehr schnell gehen, und plötzlich interessiert sich der Minister höchstselbst für eine zuverlässige Einschätzung der Lage.

Genscher war beliebt - weil er nie da war

Jeder der etwa 7000 Angehörigen des Auswärtigen Amtes wird von sich behaupten, bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit zu arbeiten. Ein Chef, der bei seinen Leuten beliebt sein will, muss nicht nur Danke und Bitte sagen und ab und zu mal einer Sekretärin zum Geburtstag gratulieren, sondern gelegentlich auch beim mitternächtlichen Aktenstudium in seinem Büro gesichtet werden. Genscher war in seiner Bonner Behörde durchaus nicht so rundum beliebt, wie es heute heißt, weil er dort fast nie zu sehen war.

Er flog in der Weltgeschichte herum, tauchte viel im Fernsehen auf und vermittelte so in der Öffentlichkeit den Eindruck größter diplomatischer Aktivität. Zu Hause in Bonn ärgerten sich die fachkundigen Beamten, die gründliche Dossiers und delikate Einschätzungen zusammengestellt hatten, Papiere, die der Minister wortlos in seine Reisetasche packen ließ und nie studierte. Das schafft Frust.

Ein netter Chef sollte sich schon die Zeit nehmen, freundlich und ruhig zu nicken, und nicht immer nur abgehetzt schnaufen. Nicht wenige diplomatische Durchblicker im Amt hielten die vielen Reisen Genschers für wichtigtuerisch und überflüssig und erzählten Anekdoten, wonach der Minister im Flugzeug bei seinen Begleitern nachgefragt habe: Wo geht es denn heute hin? So viel zu Genschers Schuhgröße. Erst sein Ausreise-Halbsatz 1989 auf dem Prager Balkon hat ihn verklärt.

Wenn nun Westerwelle wie ein artiger Schüler den greisen Genscher als sein großes Vorbild nennt, dann sollte er das Gewusel seines Meisters und Beraters nicht unbedingt wiederholen. Wenn er auf seinen künftigen Nahostreisen die sensiblen Israelis nicht mehr als nötig vor den Kopf stößt, wenn er das Wort »Menschenrechte« nicht zu oft, aber auch nicht zu selten vernehmen lässt, sondern genau in der für einen deutschen Außenminister richtigen Menge, wenn er dann noch etwas weniger eingefroren lächelt, sein schrilles Krähen sein lässt und versucht, etwas diskreter aufzutreten, dann kriegt er das schon hin.

Fazit: Eine große Chance

Ihm selbst gibt der neue Job in jedem Fall die unverdiente Chance, sein Image zu reinigen und in der weiten Welt die hässlichen innerdeutschen Bezichtigungen vergessen zu machen, Vorsitzender einer Partei zu sein, die mit ihren neoliberalen Trompetenstößen nicht gerade als ideale Bekämpferin der Finanzkrise gilt.

Zum richtigen Verständnis des Verhältnisses von Minister und Außenamt sollte man auch wissen: Der Apparat ist stärker. Er hat Minister überstanden, die allesamt als außenpolitische Anfänger ihr Amt antraten: Genscher, Kinkel, Fischer und Steinmeier. Der Vorletzte begann als Taxi fahrender Steinewerfer, der Letzte kandidierte zwischenzeitlich noch als Kanzler.

Und der will Außenminister sein? Jetzt das Schlimmste zu befürchten hieße, Guido Westerwelle und seine Möglichkeiten im Amt zu überschätzen.

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Joseph von Westphalen hat sich für seinen Roman Im diplomatischen Dienst, der 1991 erschien, intensiv mit dem Machtgefüge innerhalb des Außenministeriums beschäftigt. Bei den Recherchen zu dieser Geschichte konnte er von seinen alten Kontakten zehren, im Amt sitzen nach wie vor viele Mitarbeiter, die schon unter Kinkel und Genscher dienten.

Foto: ddp