1. Der kleine Ruhm
Die Aufgabe im Studium hieß: Drehe einen Kurzfilm. Die Idee, ein Musikvideo zu drehen, fand mein Dozent gut und ich fand sie besser als eine Reportage aus der Sicht eines melancholischen Hundes.
Erst Tage zuvor war ich auf die MySpace-Seite eines New Yorker Elektroprojekts gestoßen und fragte nach, ob ich die Musik verwenden dürfe? „Klar, schick’ uns das Video, wenn es fertig ist“, kam die Antwort am selben Tag. Die Vorbereitungen dauerten eine Woche, die Produktion zwei Tage und die Post-Production einen Monat. Das Ergebnis war ein dreiminütiger Stop-Motion-Film (online auf jetzt.de), bestehend aus über 1500 bearbeiteten Fotos. Der Dozent sagte „sehr gut“ und ich lud den Clip zum Spaß bei YouTube hoch, schaute ihn mir dreimal hintereinander an und freute mich über zehn Klicks nach dem ersten Tag.
Das ist nun zwei Monate her und mittlerweile haben über 30 000 Menschen meinen Film gesehen. Er wurde auf vier Kunst- und Videoblogs verlinkt und ein paar Mal mit fünf Sternen bewertet. Es kamen Nachrichten und Kommentare von fremden Menschen aus fremden Ländern, die mir nahelegten, das Video bei einem Kurzfilmfestival einzureichen. Es gab aber auch Leute, die einfach nur schrieben, wie blöd sie den Film finden.
Und jetzt? Der Amerikaner Matt Harding filmte sich beim Tanzen und wurde auf YouTube als „Dancing Matt“ bekannt – heute macht er für Kaugummis Werbung. Von diesem Ruhm bin ich noch weit entfernt. Der Clip brachte mir ein wenig Anerkennung von unbekannten Internetsurfern, das war’s. Und trotzdem entzückt mir jeder weitere Klick ein Lächeln! Von den Veranstaltern des Kurzfilmfestivals bekam ich übrigens eine Absage.
2. Das Computerpublikum
Wenn sich früher, sagen wir in der Windows95-Zeit, Menschen um einen Computer scharten, dann, weil darauf irgendetwas abgestürzt war oder eine Treiberdiskette klemmte. Diejenigen, denen der Rechner gehörte, waren arme Würste und ihre Rolle war es, entgeistert auf die Return-Taste zu hämmern.
Heute kann man davon ausgehen, dass der Rechner, um den sich alle drücken, funktioniert und sein Besitzer als Held des Augenblicks gefeiert wird. Er darf immer wieder auf die Play-Taste auf seinem Bildschirm drücken – zumindest dann, wenn das von ihm gefundene und vorgeführte YouTube-Video den Kollegen/Kommilitonen/Mitbewohnern eine derartige Mordsgaudi beschert, dass sie weitere Aufführungen einfordern.
Es ist wichtig, dass in diesen YouTube-Grüppchen immer einer dabei ist, der das Video schon kennt und damit auch nicht hinterm Berg hält. Außerdem gibt es immer einen, der später dazu stößt und fortwährend „Hä, ich check’s nich’ – ist das echt?“ sagt, während alle anderen „Pscht, pscht, jetzt kommt gleich die geile Stelle!“ zischen.
Nach zwei bis drei Durchläufen hat der Online-Sketch für gewöhnlich seinen Zenit überschritten und das Grüppchen verteilt sich wieder – oder einer weiß ein anderes, wenn nicht gar „noch besseres“ YouTube-Filmchen, das im Anschluss geguckt werden muss. Am Ende jedenfalls bitten die durchgekicherten Zuschauer stets darum, dass ihnen doch bitteschön der Link des Filmchens zugesandt werden müsste. Entweder fürs eigene Spaßarchiv – oder um damit an anderen Orten selber zum Held eines YouTube-Grüppchens zu werden.
3. Die virale Werbung
Einen besonderen YouTube-Moment kann erleben, wer mit etwas älteren Menschen ins Kino geht. Das ganze Spektakel, erzählen diese dann, das früher in Lichtspielhäusern veranstaltet wurde, bevor der so genannte Hauptfilm startete – es hat sich verändert, seit es YouTube gibt. Nicht nur, dass niemand mehr voller Spannung auf die Filmtrailer wartet, auch coole Produktwerbung funktioniert heute anders. Sie läuft mitunter gar nicht mehr im Kino und sie verschweigt vor allem das beworbene Produkt. Viral nennt man das dann. Wie das geht, das weiß niemand besser als Chuck McBride und Brad Harrington. Die beiden haben in San Francisco die Werbeagentur Cutwater gegründet und machen sich seitdem einen Namen als YouTube-Regisseure. Ihre Filme drehen das Prinzip von Werbung um: Sie unterbrechen nichts, nennen keine Markennamen und werden von den Menschen freiwillig angeschaut – und zwar zwischen vier und fünf Millionen Mal pro Spot.
Zu sehen sind beispielsweise ganz normale Jungs, die in unterschiedlichen Situationen den immer gleichen Trick vorführen: Einer wirft eine Sonnenbrille über eine größere Distanz, der andere fängt sie auf, und zwar mit der Nase, so dass die Brille genau dort landet, wo sie hin soll.
Das Ganze sieht aus wie ein großer Spaß und wurde von der Brillenfirma bezahlt – in der Hoffnung, dass ihre Botschaft genauso passgenau in unseren Hirnen landet wie die Brille auf die Nase. Denn die Botschaft hat sich nicht verändert, sie lautet weiterhin, ganz banal: Kauf mich!
dirk-vongehlen
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