Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn ich Vorbilder gehabt hätte. Wenn jemand in meiner Familie einen anständigen Beruf erlernt hätte, einen mit Titel, Büro, Durchwahl und festen Arbeitszeiten. Aber was anständig ist, verhandelt meine Familie bis heute, und ich gehe zum Arbeiten in meine Küche. Ich fege die Krümel zur Seite, setze mich an den Esstisch und schreibe, mal im Hemd, mal im Nachthemd. Kein Ort auf Erden, an dem ich konzentrierter arbeiten könnte. Ich verirre mich nicht auf Instagram, shoppe und chatte nicht. Ich arbeite dort, wo ich Gemüse schneide, wo es sonst dampft und nach Gewürzen riecht, wo ich mich satt zurücklehne.
So wie die Arbeitsplätze das Herz jeden Unternehmens sind, ist die Küche das Zentrum jeder Behausung. Hier wird alles besprochen, was wichtig ist. Organisatorisches, nachts eher Philosophisches, manchmal auch Lebensveränderndes: Ich kenne Paare, die sich am Küchentisch getrennt haben, aber niemanden, der dafür auf die Couch gewechselt ist. Ganz sicher werden mehr bedeutende Entscheidungen in der Küche getroffen als über die glatte Oberfläche eines Bürotisches hinweg, und das hat mit der Nähe zur Nahrung zu tun. Sie schafft eine sinnliche Umgebung, die in Büros irrtümlicherweise vermieden wird. Sie beruhigt und stimmt einen versöhnlich. Man kann besser denken und entscheiden nach einer spontanen Stulle mit Kresse und Radieschen. Menschen, die in Büros arbeiten, müssen erst in die Kantine gehen oder ein Geschäftsessen ansetzen, um auf gute Ideen zu kommen – in der Küche liegen sie da wie die Äpfel im Obstkorb.
Und nichts lenkt mich ab. Keine Bücherregale, die mich daran erinnern, wie viel andere schon veröffentlicht haben. Keine Post-its oder blinkende Telefonanlagen, und die Stapel mit Rechnungen und Steuerpapieren ruhen auf meinem Schreibtisch, der natürlich nicht in der Küche steht. Ich arbeite unterm Radar, so fühlt es sich an. Nichts in der Küche fordert mich dazu auf, Geld zu verdienen. Jeder Text übertrifft meine Erwartungen: Wieder etwas geschafft, und das wie nebenbei, fast aus Versehen. Ein Büro hingegen beobachtet mich, es verliert sofort seinen Sinn, wenn ich nichts reiße. Ich habe es versucht. Aber alle Arbeitsplätze, die ich mir eingerichtet habe, waren bald so gemütlich, dass ich zu viele Stunden dort und zu wenige zu Hause verbracht habe und anschließend ernste Gespräche am Küchentisch führen musste.
Manchmal mache ich einen Ausflug in ein echtes Büro. Dort verhalte ich mich so, wie ich glaube, dass es von Angestellten erwartet wird: Am Telefon nenne ich meinen Namen und die Institution, für die ich gerade arbeite. Ich mache Stapel, schreibe viele Mails und benutze Tacker und Locher. Nur schreibe ich da kaum Texte, sondern verwalte Dinge, meistens Zeit, und nach ein paar Tagen werde ich verhaltensauffällig. Ich verliere mich in der Zeitung und belästige meine Mitarbeiter mit schlecht erzählten Witzen. In meiner Küche bin ich weniger anfällig für Quatsch. Ist ja keiner da, der guckt. Niemand spricht mich an, und die Mittagspause verliert ihren Reiz, sie ist jederzeit möglich. Klingelt mein Telefon, ist es eine freiwillige Entscheidung ranzugehen, denn ich bin ja nicht am Platz, sondern in meiner Küche. Ich reagiere dann flexibel und mache eine Ausnahme.