Hilfe, ich arbeite in einer Bruchbude

Vorhänge zum Fürchten, eklige Toiletten und ein Beamer, der im entscheidenden Moment den Geist aufgibt. Frau W. über ihren maroden Arbeitsplatz – um den sie von anderen Lehrern sogar beneidet wird.

Illustration: Jan Buchcik

Im vergangenen Schuljahr hatten wir eine Veranstaltung, bei der Menschen mit richtigen Berufen zu uns kamen und den 10. Klassen von der Arbeitswelt da draußen erzählten. Ich musste mich um einen dieser externen Berufsberater kümmern und empfing ihn in unserer Pausenhalle. Er marschierte mit einem freundlichen Lächeln auf mich zu und meinte: »Herrje, hier arbeiten Sie? Wie bedrückend!«

Ich schluckte. »Ach, wenn man erstmal drin ist, merkt man es gar nicht mehr so!«, sagte ich bedröppelt und führte ihn zu einem unserer Klassenzimmer. Mein Blick schweifte durch den schmuddeligen Raum, ich sah das altmodische Waschbecken, die Uralt-Poster an den Wänden, die abgegriffenen Stühle und Tische. Kurz überlegte ich, das Mobiliar als cool, weil retro zu bezeichnen, ließ es dann aber bleiben – in diesem Moment gab nämlich der Beamer, mit der er seine Präsi an die Wand werfen wollte, seinen Geist auf. Plötzlich schämte ich mich für meinen Arbeitsplatz.

Das Treffen mit dem Berater fiel mir vergangene Woche wieder ein, als ich mich mit dem Kollegen G., den ich noch von einer früheren Schule kannte, auf eines unserer seltenen Feierabendbiere traf. Wir kamen auf die Ausstattung unserer Arbeitsplätze. Optisch sei meine jetzige Schule total veraltet, erzählte ich, aber zumindest technisch auf  neuem Stand. Ok, nicht jeder Beamer funktioniere auf Anhieb, aber immerhin gibt es seit kurzem Wlan in jedem Raum. Und nur in wenigen Klassenzimmern stehen noch die Overheadprojektoren in den Ecken – Artefakte einer anderen Zeit.

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Seit einigen Jahren ist die Schulleitung bemüht, unsere marode Bildungsstätte auf Vordermann zu bringen. Ständig sind Bauarbeiten. Das Lehrerzimmer ist inzwischen schick, aber unsere Klos sind der Horror. Ich trinke deswegen nur wenig in der Schule, und wenn ich doch mal muss, schleiche ich mich auf eine der neuen Schülerinnentoiletten. Dort gibt es wenigstens richtige Waschbecken. Eine Aula für Veranstaltungen existiert in unserem Gebäude auch nicht. Wir haben nur diesen Vorraum, der als Pausenhalle, Kiosk, Durchgang und Spielplatz für die Kleinen fungiert. Er riecht immer muffig, Fenster hat er nämlich keine. In schwindelerregender Höhe befinden sich darin außerdem noch monströse Sichtbeton-Balkone mit Zugängen zu weiteren Klassenzimmern. Ein Architektur-Träumchen!

»Hässlichkeit ist das eine«, sagte Kollege G. nun über seinem Bier. »Aber ihr habt wenigestens ein intaktes Gebäude: In unserer Turnhalle ist das Dach undicht und man muss befürchten, dass Schüler nach dem Strecksprung in einer Pfütze landen.« Er habe es auch schon erlebt, dass bei Schulaufgaben Putz auf seine Schüler rieselte. Schön wären ja zunächst mal sichere Gebäude, kamen wir überein.

273 Mal kommt das Wort »Bildung« im Koalitionsvertrag vor, 290 Mal »digital«, fünf Milliarden Euro will die Regierung allein in die technische Aufrüstung der Schulen stecken. Doch es fehlt schon an den Basics: 70 Prozent der Lehrer in Deutschland beklagen laut einer Umfrage der Lehrergewerkschaft GEW die mangelhaften hygienischen Verhältnisse in ihren Schulen. Es ist fast schon tragisch, stellten G. und ich fest: Wir selbst waren Schüler in bescheiden ausgestatteten Schulen, dann studierten wir an veralteten Unis und jetzt sind wir Lehrer an Bruchbuden. Einmal einen Hauch Modernität erleben, wäre irgendwie nett gewesen. Und nicht nur wir müssen jeden Tag in einer solchen Umgebung arbeiten, vor allem natürlich die SchülerInnen. Vielleicht auch ein Grund, dass nach dem Abitur so wenige Lehrer werden wollen.

»Ich schaue vom Lehrerzimmer meiner Schule direkt auf das neue Bürohaus einer Versicherung, sagte G. nun, »ein stylisches Ding mit viel Glas und glatten Flächen, im Erdgeschoss ist die Kantine, sie sieht aus wie ein Hipster-Restaurant.« – »Du könntest wechseln! Versicherungen brauchen doch Mathematiker wie dich«, sagte ich grinsend. Wir kamen auf andere, erfreulichere Themen.

Auf dem Nachhauseweg fiel mir ein, dass ich ganz vergessen hatte, G. von den Neuanmeldungen zu erzählen: Wir hatten auch dieses Jahr wieder deutlich mehr fünfte Klassen als das Nachbargymnasium im Ort – dabei verfügte es über ein neues lichtdurchflutetes Hightech-Gebäude. Trotzdem waren dort nur zwei Klassen zustande gekommen. Es hätte G. vielleicht getröstet. Wir wären zu dem Schluss gekommen, dass am Ende vielleicht doch die LehrerInnenn und das schulische Angebot ausschlaggebend waren und nicht die Tatsache, ob skandinavisches Design und angesagte Pastelltöne Einzug in die Klassenzimmer erhalten haben. Zumindest hätten wir das an diesem Abend geglaubt.