Klar kannte ich Greta Thunberg und Luisa Neubauer, die Klima-Aktivistinnen, mittlerweile aus den Nachrichten, aber dass die Welle des massenhaften Schulboykotts in halb Europa inzwischen auch Bayern erfasst hat, war zunächst im Stress der Zwischenzeugnisvorbereitung etwas untergegangen.
Vorletzten Freitag zum Beispiel merkte ich noch nichts, doch vergangenen Montag war das Knistern im Schulgebäude dann deutlich zu spüren. In der Pause wurde getuschelt, Flyer wurden verteilt, Strategien ausgeheckt, denn am darauf folgenden Freitag wollten auch meine SchülerInnen auf die Straße gehen. Mit erhobener Hand und selbstgemalten Plakaten.
Neugierig interviewte ich meine Q11, was sie von »Friday for Future« hielt und wer am Freitag fehlen würde. Entschlossen und trotzig meldete sich ungefähr ein Drittel der Klasse, vom Rest schüttelten einige heftig den Kopf und ehe ich mich versah, war in meinem oft etwas trägen Kurs eine Diskussion entstanden, die ich nur mit Mühe im Zaum halten konnte. Hart aber fair war nichts dagegen!
Die SchülerInnen brachten wunderbare Argumente, keiner war dabei, der einfach nur schwänzen wollte, sie hatten sich schlau gemacht, den meisten war klar, dass es mit einmal protestieren sowieso nicht getan war, dass ein großer gesellschaftlicher Wandel vonnöten war, dass man bei sich selbst zwar anfangen konnte und sollte, dass aber am Ende nur die Politik die großen Leitlinien ändern könne. Ich hörte zu, staunte und verliebte mich ein bisschen in meine Klasse.
Auch die, die nicht hinter den Demos standen, bewunderte ich, sie griffen Argumente ihres Vorredners auf und hielten mit Thesen dagegen. »Die meisten gehen doch nur mit, weil es gerade ziemlich cool ist, auf dieser Welle mit zu surfen! Da ist doch höchstens ein Drittel wirklich daran interessiert und will was bewegen. Ganz abgesehen, dass es nett ist, von den Eltern beim Schulschwänzen unterstützt zu werden, weil man ihnen politisches Interesse vorgaukeln kann!«, rief Martina in die Runde.
Tobias entgegnete mit rotem Kopf: »Selbst wenn! Es geht doch darum, ein Zeichen zu setzten. Zeichen setzt man mit Massen! Besser als nichts tun!« Im Zimmer war es hitzig geworden. Ich lüftete und musste lächeln, weil wir mitten in unserem Lehrplanthema »Utilitarismus« angekommen waren. »Im Sinne des Utilitarismus ist eine Handlung dann als moralisch gut zu bewerten, wenn sie die Summe des Wohlergehens aller Betroffenen maximiert – inwiefern ist das beim Friday for Future der Fall?«, schrieb ich an die Tafel.
Später kamen wir von der Klimadebatte zum Fleischkonsum, der Kurs stritt sich, ob Milchtrinken nun verboten werden sollte und Elektroautos verpflichtend eingeführt werden müssten. Es gongte.
Dienstag. Die Schulleitung musste reagieren. Viele Mittel- und OberstufenschülerInnen hatten angekündigt, dass sie am Ende dieser Woche demonstrieren würden. Das Kultusministerium hatte keine Vorgaben gemacht, jede Schule sollte für sich entscheiden, wie mit den Protestlern umzugehen ist, ob etwa »Ordnungs- und Erziehungsmaßnahmen« wie Verweise oder Nacharbeiten anzuwenden sind.
Viele Schulen kommen den Schülern insofern entgegen, dass sie den Stoff, der versäumt wurde, bei anderer Gelegenheit nacharbeiten, andere setzten voraus, dass die SchülerInnen das selbst hinbekommen müssen und tragen ihnen zusätzlich auf, eine Arbeitsgruppe zu gründen, die Vorschläge für mehr Umweltschutz an der Schule erarbeiten soll.
Unser Schulleiter schickte ein Elternrundschreiben raus. Es war möglich, sein Kind offiziell befreien zu lassen. Das fanden zwar die SchülerInnen doof, weil die Aktion nun nichts mehr vom einem anarchischen Boykott hatte, die Befreiung durch die Eltern sorgte aber dafür, dass wir LehrerInnen von unserer Aufsichtspflicht entbunden waren. Sonst würden wir haften, wenn den Kindern und Jugendlichen bei den Demos etwas passieren würde.
Außerdem gab uns unser Chef noch mit auf den Weg, dass wir Lehrer dazu angehalten seien, die SchülerInnen nachdrücklich auf ihre Schulpflicht aufmerksam zu machen. Das hieß natürlich, Öl ins Feuer meiner Klasse zu gießen. Ben entgegnete lautstark: »Mag sein, Frau W. Doch was nützt die Schulpflicht und eine gute Ausbildung, wenn wir keinen Planeten haben, auf dem wir gesund leben können? Selbst wenn ich für jedes Mal Fehlen einen Verweis bekomme, dann wüsste ich zumindest, dass ich für meine Zukunft und die Zukunft meiner Kinder eingestanden bin!« Sofort schnellten die Finger der anderen in die Höhe, alle wollten Ben beipflichten oder widersprechen. Am Ende notierte ich mir viele kleine Pluszeichen in mein Notenheft.
Freitag. Bis zur vierten Stunde mussten alle SchülerInnen anwesend sein, dann durften sie gehen, wenn sie eine Befreiung hatten. In der Mittel- und Oberstufe marschierte daraufhin ein Drittel bis die Hälfte der Klasse vom Schulhof – bewaffnet mit Plakaten wie »Wir haben keinen Plan(et) B« und »Ihr klaut uns die Zukunft!«. Meine KollegInnen und ich sahen ihnen vom Lehrerzimmer aus nach. In den Gesichtern der LehrerInnen um mich las ich Stolz und Gelassenheit. »Ich würd am liebsten mitgehen«, sagte eine. Ich grinste.
»Bleibt abzuwarten, wie das an den nächsten Freitagen wird!«, murmelte der Schulleiter in seinen Bart, als er ebenfalls den Exodus betrachtete.
Ich dachte: »Zieh dich warm an.«