So sehr ich die Vorweihnachtszeit privat liebe, so sehr verteufle ich sie in der Schule. Nicht mehr lange, dann ist das erste Halbjahr vorbei und wir müssen Noten machen, Noten eintragen, Noten verbessern, Noten erklären, Noten bestätigen. Und die Arbeiten für diese Noten werden zu einem großen Teil vor Weihnachten geschrieben. Alle Jahre wieder gerate ich in diesen Strudel. Und ich habe das Gefühl, den Kindern geht es ähnlich. Sie feilschen, streiten und weinen. Eine Woche nach der anderen wird nun von großen und von kleinen Leistungsnachweisen bestimmt. Was für ein großer Mist!
Und nicht nur das. Es scheint, als müssten alle sozialen Aktivitäten der Schule unbedingt in dieser Zeit stattfinden. Seit Wochen bereiteten wir zum Beispiel den großen Weihnachtsbasar vor. Wir basteln und verkaufen – der Erlös wird an unser Hilfsprogramm gespendet. Er ist wirklich eine gute Sache, aber auch, je nach Klasse und Alter der SchülerInnen, eine sehr große Herausforderung. Vor allem in der Unterstufe.
Wir hatten nur noch eine Woche, und es war nichts fertig, geschweige denn geplant. Obwohl ich seit vielen Schulstunden mit meiner Klasse diskutierte, wer was machen würde, zankten wir uns am Montag vergangene Woche wieder darüber, ob wir nun doch noch mehr von den selbstgezogenen Kerzen oder, wie die Klasse vorschlug, selbst gebasteltes Hundespielzeug anbieten sollten. Hundespielzeug? Ehrlich?
Mein Einwand, dass ein reduzierter Stand mit einem oder maximal zwei Upcycling-Produkten mehr her machen würde und sicherlich viele Eltern zum Kauf anregen würde als ein »Bisschen-was-von-Allem«-Verkauf, ging in ihrem Protestgeschrei unter. Sie ließen sich einfach nicht abbringen, jeder wollte es etwas anderes Selbstgebasteltes beisteuern – dabei hatten dieselben SchülerInnen doch eben noch mit mir darum gefeilscht, die Schulaufgabe »wegen zu viel Stress« auf nach die Ferien zu verlegen. Da fing der Adventskranz Feuer. Ich opferte meinen Schal und konnte Schlimmeres verhindern. Nun war auch diese Stunde ohne Ergebnis und Arbeitsaufteilung vergangen. Mein Magen grummelte.
Es war nicht die Nervosität, die kam später. Es waren die Vorboten dessen, was sich Stunden später zu einem Inferno auswachsen sollte. Am selben Abend hielt mir mein Mann jedenfalls die Haare. Immer und immer wieder, während das Kind zum ersten Mal in seinem Leben unbehelligt mit dem Ipad spielen durfte. Mit voller Wucht hatte mich der Norovirus getroffen, der gefürchtetste unter den Viren an einer Schule. Es reicht ein kontaminiertes Heft und das Korrigieren endet jäh. Das allein wäre noch nicht schlimm (niemand korrigiert wahnsinnig gerne), aber das ganze Sozialleben leidet. Selbst Wochen nach überstandener Krankheit meiden einen die KollegInnen und die Sekretärin besprüht jedes Mal unauffällig ihre Theke mit Sagrotan, wenn man bei ihr gestanden hat.
Ich war im Kotzdelirium. Schlurfte zwischen Badezimmer und Bett hin und her, schlug irgendwann mein Lager an der Kloschüssel auf. Hoffte inständig, alles wäre morgen besser. Am nächsten Tag war nichts besser, alles war viel schlimmer. Ich rief in der Schule an, meldete mich krank, legte mich wieder ins Bett.
Kreidebleich und mit nichts als Vomex im Magen, dachte ich an meine 6. Klasse. Nur noch zwei Tage bis zum Basar! Mein Magen zog sich zusammen. Verzweifelt schrieb ich Herrn P., dem Vertretungslehrer. Er beteuerte, sich um alles zu kümmern. Aber ich war mir da nicht sicher. Ich kannte meine chaotische Klasse. Ob Herr P. durchgreifen könnte? Ich dämmerte weg.
Mann und Kind verließen das Haus, ich träumte wild. Schweiß gebadet wachte ich auf. Mir fiel Beni ein, das zarte Pflänzchen, er war in den letzten Wochen aufgeblüht und wollte unbedingt seine Holzbäume verkaufen, ich hatte ihn ermuntert, gegen den Rest der Klasse, die nicht begeistert war. Wird er sich durchsetzen können? Es wäre so wichtig für sein Selbstbewusstsein. Außerdem hatte ich vergessen, den Kindern zu sagen, dass sie sich um das Wechselgeld selbst kümmern müssen. Herr P. ignorierte nun meine Whatsapp. Nächste Vomex. Schlaf.
Ich wachte wieder auf. Meinem Magen ging es besser, aber ich fühlte mich unendlich schwach. Schleppte mich kraftlos wie ein vernachlässigtes Supermarkt-Basilikum zum Arzt und ließ mich noch einen weiteren Tag krankschreiben. Während ich im Wartezimmer saß, blickte ich auf die Uhr. 9:05 Uhr. Jetzt hatten sie Latein. Ob sie Plakate mit den Preisen fertig waren? Hatten sie die Verkaufsschichten eingeteilt? Hatten sie auch an Daniela gedacht, die gerade keinen guten Stand in der Klasse hatte, sie fühlt sich ausgeschlossen und allein.
Zuhause probierte ich es nochmal bei Herrn P. Der reagierte völlig gelassen auf meine vorsichtige Nachfrage: »Mach dir mal keinen Kopf!«, sagte er. »Ich glaube, die haben das alles ganz gut Griff!« Wie, »ich glaube«? Hatte er etwa nicht kontrolliert, ob sie einen Plan hatten? Meine Panik, meine Zweifel blieben.
Am nächsten Tag wachte ich deutlich erholter auf, hörte dennoch auf meinen Arzt und blieb noch zu Hause. Es wurde Mittag, das flaue Gefühl kam zurück. Ich musste mir selbst ein Bild machen. Um 15 Uhr ging es los. Ich packte Kind und Wasserflasche ein und machte mich auf den Weg zur Schule. Ich rechnete mit dem Schlimmsten: mit Verbindungslehrern, die mir Vorwürfe machen würden ob der grauenhaften Vorarbeit, mit SchülerInnen, die enttäuscht wären, weil keiner ihr Gebasteltes kaufen wollen würde. Mit einer weinende Daniela.
Im Getümmel entdeckte ich meine Klasse. Vroni sprang mir in die Arme: »Frau W.! Schauen Sie mal, wir sind schon fast ausverkauft!« Julius präsentierte mir stolz seine Exceltabelle, wer wann am Stand zu sein hat und Chris und Daniela verhandelten gerade mit ein paar interessierten Eltern den Preis für die Weihnachtsbäume aus Holz aus. Herr P. drückte mir einen Punsch in die Hand. »Na Frau Kontroletti, alles gut?«. Ich nickte und war furchtbar stolz auf meine Klasse. Ein Weihnachtsmärchen.