Kein Alltagsgegenstand ist unbeliebter als der Fahrradhelm, es sei denn, er hat dir gerade das Leben gerettet – und dann kannst du ihn auch gleich wegschmeißen. Der Fahrradhelm kann einfach nicht gewinnen. Abgesehen von seiner Bereitschaft zur Selbstaufopferung: Hat er eine Ehre, die man noch retten könnte? Er ist hässlich, unpraktisch (wohin damit, wenn man nicht auf dem Fahrrad sitzt?), oft unbequem, oft teuer. Er ist eines von diesen Dingen, die man im Idealfall nie braucht, aber die nur einen Sinn haben, wenn man sie trotzdem hat, wie eine Hausratsversicherung, ein Klo-Pömpel oder die Telefonnummer der bösen Hauswärtin.
Der letzte Stoß, der dem Fahrradhelm nun versetzt wurde, ist die Kampagne von Verkehrsminister Andreas Scheuer. Sie zeigt junge Menschen in Unterwäsche und mit Fahrradhelm im Bett, dazu den Slogan: »Looks like shit. But saves my life.«
Der Minister, bei dem man nie so genau weiß, ob er die Öffentlichkeit einfach nur trollen will oder ob er seinen Stuss wirklich glaubt, ist für diese Kampagne scharf kritisiert worden, weil sie sexistisch, bizarr und beknackt ist (das Englisch soll vermutlich signalisieren, dass er Ambitionen aufs Außenamt hat, well played). Das wird uns hier aber ausnahmsweise gar nicht beschäftigen, sondern viel mehr, wie Scheuers Kampagne benennt, was Konsens über den Fahrradhelm ist: Ja, er rettet Leben (sagen Unfallchirurg*innen, Verkehrsclubs, Betroffene), ja, er sieht scheiße aus (sagen alle).
Als jemand, der seinen Fahrradhelm zwar noch nicht im Bett, wohl aber am Schreibtisch und in Ladengeschäften getragen hat, würde ich den Fahrradhelm hier gern verteidigen und ihm sogar eine kleine Liebeserklärung machen. Wie viele Eltern wurde ich durch argumentativen Druck der Kinder zum Helmträger, weil ich, wenn die Kinder »Looks like shit!« riefen, nicht immer nur »But saves your life!« antworten wollte (junge Leute lieben Englisch), sondern: »Guckt, Daddy trägt auch einen.« Die Kinder dann: »Ja, und wie gesagt: sieht ...« – »Ich weiß«, sagte ich, »aber darum geht es doch gar nicht«.
Sondern? Abgesehen vom unbestreitbaren Vorteil, ein Schädel-Hirn-Trauma zu vermeiden, geht es beim Fahrradhelm um zwei menschliche Eigenschaften, die schwer zu erreichen, aber, wenn man sie findet, wunderbar zu haben sind: Gelassenheit und Renitenz. Das erste bedeutet, sich mit dem Fahrradhelm abzufinden und seine äußere Hässlichkeit in innere Schönheit zu verwandeln. Das zweite bedeutet, den Fahrradhelm als Waffe im Kampf um den gesellschaftlichen Wandel einzusetzen.
Der Diskussionen mit den Kindern müde, habe ich wie gesagt vor Jahren angefangen, Helm zu tragen, und bin hier gerne dem Rat meines SZ-Magazin-Kollegen Johannes Waechter gefolgt, der zu sagen pflegt: »Je hässlicher, desto besser.« Der größte Fehler sei nämlich ein »stylisher« Helm, »den man dann aber nicht anzieht, weil er zu schwer ist und zu kleine Luftlöcher hat«.
Also habe ich mitunter, wenn ich ins Büro kam, vergessen, den leichten, hässlichen Helm abzunehmen und es erst nach längerer Zeit am Computer gemerkt. Ich arbeite alleine, aber man kommt sich dann dennoch blöd vor. Ich sehe mit dem Helm aus wie ein Mann, der nie wieder Sex haben will, vielleicht hat mich die Helm-Betten-Werbung des Verkehrsministers deshalb so getroffen. Hier nun kommt die Gelassenheit ins Spiel. Der Helm ist, wie gesagt, unpraktisch, er baumelt dusselig am Rucksack, passt nicht ins Einkaufsnetz oder wird draußen am Fahrrad geklaut oder zerstört. Daher bin ich dazu übergegangen, ihn bei Fahrtunterbrechungen einfach aufzubehalten, bei kurzen Aufenthalten in Supermärkten etwa oder selbst im Buchladen. Anfangs entscheidet man sich dort dann schneller, denn die Leute gucken schon. Nach kurzer Zeit wird es einem egal. Was soll sein. Der Kopf ist der beste Ort für den Helm. Und das ist dann diese Gelassenheit, die der Helm einen lehrt.
Das zweite, die Renitenz, hängt damit zusammen, dass der Helm in Wahrheit nicht nur hässlich, sondern ein vergiftetes Symbol ist. Er soll uns beschützen, aber in Wahrheit schiebt die Helm-Kampagne des Ministers uns die Verantwortung zu. LKWs müssen nach dem Willen dieses Minsters keinen Abbiegeassistenten haben, der das Töten von Radfahrer*innen verhindern könnte; die Radwege der deutschen Großstädte sind größtenteils in einem lebensgefährlichen, bestenfalls absurd komischen Zustand; und die wenigsten Menschen im Auto interessieren sich für Mindestabstände oder rücksichtsvolles Türöffnen. »Act like shit, save no life« – aber hey, Hauptsache, die Fahrrad-Deppen tragen Helm.
Ich wäre daher jetzt soweit, den Fahrradhelm symbolisch umzuwerten und seine Hässlichkeit und Auffälligkeit als Protestzeichen zu deuten. Ein Problem ist nämlich, dass man Radfahrer*innen nicht als gesellschaftliche Gruppe erkennt, sobald sie vom Fahrrad gestiegen sind. Sie sind eine Interessengruppe, die keine Sichtbarkeit mehr hat, sobald die Fahrräder in den Keller geräumt oder geklaut sind. Wir sollten stattdessen unsere Helme, die selbst der Verkehrsminister hässlich findet, überall tragen, als bessere Gelbwesten, auffällig und unübersehbar, und als Zeichen dafür, dass wir nicht länger bereit sind, uns mit Nacki-Kampagnen abspeisen zu lassen, wenn es um unser Leben geht.