»Mir wird klar, dass zum Alter der Verlust gehört«

Eigentlich hatte Joachim Fuchsberger ein gut gelauntes Buch über das Altwerden geschrieben. Dann starb sein Sohn. Und jetzt?

Ein Restaurant in Grünwald, südlich von München. Draußen peitscht der Januarregen ums Haus, drinnen sitzen Joachim Fuchsberger und seine Frau Gundula an einem großen Tisch, beide haben gut gegessen, vor sich leere Espressotassen, die Stimmung ist entspannt, der Wirt bringt lächelnd eine Schnapsflasche. Die Fuchsbergers kommen seit vielen Jahrzehnten hierher, jeder kennt sie, man duzt sich, es geht familiär zu.

Man könnte denken: Ein altes Ehepaar genießt ruhige Tage. Wenn man nicht wüsste, was passiert ist. Im Oktober ist Fuchsbergers Sohn Thomas mit 53 Jahren gestorben. Ein Unfall. Es wurde viel darüber geschrieben, ein paar Zeitungen haben versucht, jede Minute zu recherchieren. Man weiß so viel: Thomas Fuchsberger ist nach einer Veranstaltung in Kulmbach spät nachts in einem Bach ertrunken, vermutlich war er wegen seines Diabetes in eine Art Ohnmacht gefallen.

Am Tod des eigenen Kindes können Menschen zerbrechen, Gundula und Joachim Fuchsberger aber wirken ziemlich gefasst, beinahe locker. Dann kommen zwei Männer vom Nebentisch herüber, und plötzlich ist alles anders. Es sind Bekannte der Fuchsbergers, beide schauen betreten, wünschen dem alten Mann und seiner Frau Kraft, fragen besorgt, ob sie alles schaffen, und Fuchsberger murmelt, na ja, ihr habt ihn ja auch gekannt, es ist elend. Alle stehen für einen Moment schweigend im Raum. Schließlich dreht sich Fuchsberger um und bittet zum Gespräch in einen ruhigen Nebenraum. Seine Frau setzt sich neben ihn und hört zu.

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SZ-Magazin: Herr Fuchsberger, Sie haben ein Buch geschrieben, es heißt Altwerden ist nichts für Feiglinge. Worum geht es da?

Joachim Fuchsberger: Ich versuche die Herausforderungen, aber auch die Vorteile des Alters zu beschreiben. Man muss es akzeptieren. Ich habe einen ausgesprochenen Horror vor Menschen, die deutlich werden lassen, dass sie schlicht und einfach mit dem Alter nichts anfangen können. Alte Kerle, die mit Gewalt versuchen, sich jung zu halten, mit welchen Mitteln auch immer. Ob es eine besondere Frisur ist oder ein Hemd, offen bis zum Bauchnabel. Und goldene Ketten mit Kreuzen auf dem gefärbten Brusthaar. Wer sich so verhält, versucht dem Alter auszuweichen. Und das ist feige.

Die Veröffentlichung Ihres Buch fällt in eine schwere Zeit. Vor drei Monaten ist Ihr Sohn ums Leben gekommen.

Das ist ein unglückliches Zusammentreffen. Das Buch war schon fertig, als er starb, es hätte eigentlich im Herbst erscheinen sollen. Der Verlag und ich haben uns aber geeinigt, die Veröffentlichung zu verschieben, damit niemand den Eindruck gewinnt, ich würde über den Tod meines Sohnes reden und damit mein Buch vermarkten. Das war mir sehr, sehr wichtig.

Im Buch schreiben Sie über Ihren Sohn noch im Präsens.
Wie gesagt, es war bereits fertig. Aber ich hätte es auch nicht umschreiben können, dann wäre es ein Buch über meinen Sohn geworden.

Die Frage sei dennoch erlaubt: Wie kommen Sie, drei Monate danach, mit dem Tod Ihres Sohnes zurecht?
Ich versuche, mit dem, was uns in jüngster Vergangenheit zugestoßen ist, möglichst anständig fertig zu werden. Es gibt Wellen, in denen das Emotionale überwiegt. Und es gibt Zeiten, in denen ich mit der Realität ganz gut zurechtkomme. Den Umständen entsprechend geht es uns gut, weil wir versuchen, die positive Seite zu sehen, wenn es überhaupt eine gibt.

Wo sehen Sie das Positive?
Positiv ist wohl das falsche Wort, aber unser Sohn war dreißig Jahre lang Diabetiker, jeder weiß, wohin diese Krankheit für viele führt. Ihm ist durch seinen relativ frühen Tod viel erspart geblieben. Er hat ein Leben geführt, das eigentlich schöner kaum vorstellbar war. Außerdem habe ich gelernt, gewisse Tatsachen zu akzeptieren.

Welche zum Beispiel?
Mir wird einfach klar, dass zum Alter der Verlust gehört. Ob es der Verlust von Menschen ist, die einem lieb geworden sind, oder ob es der Verlust von persönlichen Fähigkeiten ist. Das gehört alles zusammen.

In Ihrem Buch beschreiben Sie das Altwerden mit viel Selbstironie. Der gut gelaunte Erfahrungsbericht eines Mannes, der die Dinge geordnet hat und ruhige Tage genießt.
Das bin ich eigentlich auch. Eine angenehme Erscheinung des Alters ist das Selektieren. Es gibt eine Zeit im Leben, wo man meint, man müsste zu allem eine Meinung haben, auch wenn sie noch so falsch ist. Jetzt im Alter erlaube ich mir zu vielem zu sagen: Das ist mir wurscht. Die großen Weltereignisse interessieren mich nur noch am Rande, weil ich längst erkannt habe, dass ich viel zu unwichtig bin, als
dass meine Ansichten dazu irgendwen interessieren würden.

Dennoch schreiben Sie, dass die Alten für die Jüngeren vielleicht hilfreich sein könnten. Wie, zum Beispiel?

Als eine Art GPS, ein Navigationssystem. »Wenn möglich, bitte wenden.« Es gibt tatsächlich junge Leute, die mich fragen: Du bist seit 56 Jahren mit derselben Frau verheiratet, wie hast du das gemacht? Und dann erzähle ich ihnen, aus meiner ganz persönlichen Erfahrung, vom Leben, das meine Frau und ich geführt haben.

Zurzeit werden die alten Männer oft um Rat gefragt. Helmut Schmidt mit seinen 91 Jahren hat in Deutschland die Rolle des alten Weisen. Wenn er sich zu Wort meldet, hören alle zu. Was halten Sie davon?
Der Mann ist das weiß Gott beste denkbare Navi! Interessant ist aber: Schmidt hat diese Größe nach seiner Zeit als Kanzler erreicht, also ohne Macht und Amt. Einfach durch seine Klugheit und das, was er zu sagen hat.

Helmut Schmidt gehört wie Sie zu der Generation, die den Krieg noch als Soldat erlebt hat. Macht einen das weniger empfindsam für Schicksalsschläge?

Nein, es gab sehr viele, die sind an diesen Erfahrungen zerbrochen. Die ersten Toten, die ich gesehen habe, haben mich völlig überfordert. Ich wurde mit 16 eingezogen. Im Rahmen der Ausbildung kam ich nach Halberstadt. Und da gab es einen furchtbaren Bombenangriff, bei dem mehrere große Luftschutzbunker mit voller Wucht getroffen wurden. Man hat uns, die Teenager, eingesetzt, um ungefähr 1500 Leichen auszugraben. Das waren überwiegend Mütter mit ihren Kindern, die da lagen. Wenn man das gesehen hat, wird man es ein Leben lang nicht mehr los. Aber es ist wahrscheinlich auch wie bei einem Medizinstudenten: Beim ersten Mal kommt der in die Anatomie und kotzt. Beim hundertsten Toten, den er auseinandernimmt, isst er eine Stulle. Man stumpft ab, klar.

In Ihrem Buch schreiben Sie über verschiedene Stationen Ihres Lebens; die düsteren Erfahrungen, Krieg, Krankheit, erwähnen Sie eher am Rande. Wieso?

Sehen Sie, ich will mit meinem Buch vor allem erreichen, dass Menschen lernen, mit dem Alter gut umzugehen. Es ist nicht leicht, alt zu werden, aber es ist in Ordnung. Ich beschreibe den Unterschied gern am Beispiel des Treppensteigens: In jungen Jahren habe ich drei Stufen auf einmal genommen. Heute nehme ich Stufe für Stufe, langsam hintereinander, dann lege ich eine Pause ein, und dann kommen wieder ein paar Stufen. Im Alter verändert sich das Verhältnis zwischen Kraft und Zeit. Und noch etwas ändert sich: der Aufwand, dessen es bedarf, um sich mit Dingen auseinanderzusetzen.

Weil man langsamer wird?

Ja. Man denkt länger nach. In jungen Jahren ist man bereit, bei allem nur das Positive zu sehen und zielstrebig darauf loszugehen. Je älter man wird, um so größer wird der Schatz der Erfahrungen, die vornehmlich aus Enttäuschungen bestehen. Und bei jeder entscheidenden Frage überlegst du dreimal, welche Folgen sie haben kann. Aus dem Bockspringen von früher wird eher Schachspielen.

Im Buch schildern Sie, dass Sie kein religiöser Mensch sind, Sie bezeichnen sich als Agnostiker. Hatten Sie nach dem Tod Ihres Sohnes das Gefühl, jetzt könnte Religion Ihnen irgendwie helfen?

Nein. Es wäre schön, wenn man jetzt an einen Gott glauben könnte. Aber ich kann es nicht. Ich beneide alle Menschen, die ihren Trost in einem starken Glauben suchen und finden. Ich habe in unserer Todesanzeige geschrieben »Völlig sinnlos hat der Tod das Licht unseres Alters gelöscht.« Das hat natürlich die Kirche auf den Plan gerufen, viele Kleriker haben sich bei mir gemeldet und gesagt: Es war nicht sinnlos! Alles hat einen Sinn! Aber das kann ich nicht nachvollziehen. Worin soll der liegen? Nein, ich kann nur versuchen, auf andere Weise zu lernen, die Situation zu akzeptieren.

Wie denn?

Helmut Schmidt hat in einem Interview über den Tod seiner Frau gesagt: Die sterblichen Überreste von Loki sind der Erde übergeben worden, sie gehen im Laufe der Zeit in ihr auf. Und daraus entsteht etwas Neues. Er sprach von den Molekülen, die nicht vernichtet werden können, und von der Energie, die nicht verloren gehen kann. Ich versuche, es im Fall unseres Sohnes ebenso zu sehen.

Sie haben im Oktober gesagt: Ich habe keine Kraft mehr, ich weiß nicht, ob ich das durchstehe. Jetzt wirken Sie durchaus kraftvoll.
Was mich im Oktober am meisten betroffen gemacht hat, war, dass in allen Veröffentlichungen immer nur ich derjenige war, der zu leiden schien. »Wie wird er damit fertig?«, »Was macht Blackys Herz?« Keiner hat über meine Frau gesprochen, dabei ist eine Mutter ja noch mehr betroffen, als es ein Vater je sein kann. Eine Mutter, die ein Leben geboren hat und ein ganzes Leben lang nichts anderes getan hat, als dieses Leben zu beschützen! Dass sie so totgeschwiegen wurde, das empfand ich als schmerzlich.

Sie sind nun mal berühmt.
Aber Ruhm oder irgendwelche Privilegien, die man als sogenannter Prominenter hat, spielen in einem solchen Fall absolut keine Rolle mehr.

»Über mich soll man später sagen können: Er war ein Kumpel«

Draußen wird es dunkel. Fuchsberger beginnt, von seinem Sohn zu erzählen. Er spricht über den Verlust und über das Leben seither, er erzählt von der Karriere seines Sohns als Musiker, von der Beerdigung und von den Erinnerungen. Fuchsbergers Frau sitzt neben ihm, schließlich bittet sie darum, dass all diese Geschichten nicht Teil des Interviews werden. Ein paar Tage später, als Fuchsberger die Druckfassung des Gesprächs freigibt, betont er diese Bitte noch einmal.


Jetzt geben Sie Interviews, Sie besuchen Talkshows, weil Sie über Ihr Buch sprechen wollen – aber Sie werden natürlich immer auch nach Ihrem Sohn gefragt. Nehmen Sie das bewusst in Kauf?

Ich versuche zu erreichen, dass das Thema nur gestreift wird. Es muss klar sein, hören Sie, absolut klar, dass ich nicht mit dem Tod meines Sohnes Werbung für mein Buch mache! Dieser Eindruck darf unter keinen Umständen entstehen.

Sandra Maischberger hat Sie in ihre Talkshow eingeladen, gemeinsam mit Harry Valérien, dem Moderator, dessen Tochter vor vier Jahren an Krebs gestorben ist. Die Bild-Zeitung kündigte die Sendung an als »ein Gespräch über Verlust und Trauer«.
Sandra ist eine gute Freundin von uns, ich hatte ihr schon lang versprochen, in ihre Sendung zu kommen – aber eben um über mein Buch zu sprechen, nicht über den Tod meines Sohnes.

Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Gibt es heute, im Alter, Dinge, die Sie bereuen?
Ach ja, es gibt schon Momente, wo ich sage: Wenn ich damals schon ein bisschen klüger gewesen wäre… Damals war ich einfach im Überschwang der Gefühle und habe Rollen angenommen, die ich ruhig hätte ablehnen können. Ein Produzent hat immer zu mir gesagt: Blacky, wenn du mir die Zwillinge vom Zillertal spielst und Mein Schatz, komm mit ans blaue Meer, dann kriegst du auch die Teufel von Monte Cassino. Oder Die feuerrote Baronesse. Dann habe ich ihm halt seinen Südtirolscheiß gedreht, aber dafür war ich eben bei der Bombardierung von Monte Cassino dabei als Hauptdarsteller.
Und das ärgert Sie heute?
Nur ein bisschen. Weil ich glaube, dass die anderen Angebote auch ohne die Zwillinge gekommen wären.

Worauf sind Sie stolz?
Darauf, dass ich so viel Verschiedenes in meinem Leben gemacht habe. Und bin eigentlich nirgends richtig auf die Schnauze gefallen. Nur einmal: Da habe ich mich als Immobilienhändler versucht, das ging total daneben. Eine fürchterliche Pleite. Weil ich da etwas gemacht habe, wovon ich nichts verstand. Lieber bei dem bleiben, was man wirklich kann.

Immerhin schreiben Sie Bücher, das haben Sie auch nicht gelernt.

Ich glaube, dass ich durch meine lange Erfahrung, auch aus den Zeiten vor der Kamera, weiß, was Menschen gern sehen und hören. Und ich sitze schon an einem neuen Buch. Das wollte eigentlich mein Sohn herausbringen. Er hat mir kurz vor seinem Tod fast 3000 Fotos von seinen Reisen auf meinen Computer überspielt. Und er hatte auch Texte dazu geschrieben, die ich jetzt ein bisschen aufbereite.

Sie erledigen jetzt das, was er nicht mehr tun konnte. Noch im Herbst haben Sie gesagt: Wenn einen das, also der Tod des eigenen Sohnes, mit 83 erwischt, bricht es einem das Kreuz. Wie macht man da weiter?
Ich muss ja jetzt wieder Verpflichtungen übernehmen, die ich eigentlich schon abgegeben hatte. Ich habe mich oft mit meinem Sohn zusammengesetzt und gesagt: Du bist ab jetzt der Boss, du übernimmst die Verantwortung für die Familie. Durch seinen Tod hat er mir gewissermaßen den Schwarzen Peter zurückgegeben.

Wie soll man sich eines Tages an Sie erinnern?

Nach dem Krieg habe ich vier Monate lang im Bergwerk gearbeitet, auf der Zeche König Ludwig in Recklinghausen, So kam ich aus der britischen Gefangenschaft in Schleswig-Holstein raus. Und 1200 Meter unter Tage ist mir klargeworden, was es bedeutet, aufeinander zu achten, Verantwortung für den anderen zu übernehmen. Ich habe nie in meinem Leben so eine Angst gehabt wie da unten im Streb, wenn der Berg anfing zu arbeiten und ich dachte: Jetzt kommen 1200 Meter Erde auf dich runter. Und wenn Sie mich jetzt fragen, wie man sich an mich erinnern soll, dann vielleicht so, dass einer sagt: Der war ein Kumpel, auf den konnte man sich verlassen. Das würde mich stolz machen. Ob ich ein großer Künstler war oder was auch immer, ist mir alles ziemlich egal. Aber: Er war ein Kumpel.

Joachim »Blacky« Fuchsberger, 83, war einer der beliebtesten Schauspieler und Fernsehmoderatoren der alten Bundesrepublik. Bekannt wurde er durch seine Hauptrolle im Mehrteiler 08/15, danach spielte er in etlichen Edgar-Wallace-Filmen mit. 1972 war er der Stadionsprecher der Olympischen Spiele in München, später moderierte er verschiedene Fernsehsendungen, darunter die Talkshow Heut’ abend und die Spielshow Auf Los geht’s los. Er ist seit 1954 mit seiner Frau Gundula verheiratet.

Fuchsbergers Sohn Thomas arbeitete als Musiker, er komponierte Popsongs und Filmmusik. Im Oktober 2010 ertrank er im fränkischen Ort Kulmbach, nachdem er Gast einer Podiumsdiskussion gewesen war. Die Polizei geht davon aus, dass er vergeblich versucht hatte, in sein Hotel zu gelangen, und dann, bedingt durch seinen Diabetes, in einen komaartigen Zustand geriet und in einen nahe gelegenen Bach stürzte.

Fotos: Niko Schmid-Burgk