Letztens, es war das Wochenende vor dem Weltuntergang, stürzte ich ins Schlagloch. Ich wachte auf, die Welt war grau und mein Stecker gezogen: nullkommanull Antrieb in diesem müden, erschöpften Häufchen Mensch. Es drehte sich um, zog die Decke übern Hals, dachte: Ich steh nicht mehr auf und selbst der Gang zum Fenster, wo der schneidend kalte Novemberwind hereinweht, würde mich Kräfte kosten, die aufzubringen mir schlagartig unmöglich geworden ist. Hallo, Novemberblues, und gute Nacht!
Wenn man unerwartet ins Loch fällt und oben drüber steht plötzlich die schwarze Wolke, die alles in einen sinnlosen Schatten stellt... Diese Wolke, die – Erfahrung lehrt das und dann flüstert man leise und verzweifelt: Hoffnung! – ebenso plötzlich wieder abziehen kann... Wenn man also jeden Lebensgeists verlustig gegangen ist, und das nicht zum ersten Mal, denn es wird ja jedes Jahr November und manchmal sogar im Februar... Dann weiß man, dass das Schlimmste daran nicht der akute Zustand der Sinnentbehrung ist. Denn das Menschlein könnte ja mal einen Tag liegen bleiben, oder sogar zwei (ist ja Wochenende).
Das Furchterregende an der depressiven Verstimmung ist die Panik: Es könnte nicht mehr aufhören. Es ist over, Ende aller Tage.
Und dann kam der Mittwochmorgen. Also der historische, 9/11. Die vom Novemberblues angehauchte Kreatur saß vor der Facebook-Timeline und musste beobachten, wie die Welt erwachte - und ihre Freunde sämtlich ins tiefe tiefe Schlagloch noch tieferer Traurigkeit fielen: Sudden Trumpression, Ende, over! Eine schrieb: »Ich möchte zurück ins Bett und weiterschlafen für die nächsten vier Jahre.«
Und da fuhr plötzlich eine Starkstromenergie in mich rein, man könnte es auch Blitzschlag oder Weckruf nennen. Und ich dachte: Genau das machen wir jetzt eben nicht! Wir ziehen die Decke nicht noch weiter übern Kopf und heulen rum, weil die Welt, wie wir sie wünschten, ihrem Ende so erschreckend nah gekommen scheint, wir Penner!
Nein, morgens dann, beim Joggen durch den Park, ging plötzlich wieder die Sonne auf. Joggen hilft ja gegen den Blues. Wie überhaupt jedem Kandidaten, der manchmal in ein Lock fällt, zu Ohren gekommen sein müsste, dass es Mittel gegen den Blues gibt. Einer dieser routinierten Kandidaten, ein guter Freund, schrieb mir folgende Message.
1. Triff einen guten Freund
2. Trink Rotwein, aber nicht zu viel
3. Rauchen geht auch mal
4. Hau dir 'nen Schmorbraten rein und Schokolade
5. Bewegung jeglicher Art, körperlich, geistig, politisch, Hauptsache: Move it!
6. Was Gutes tun, tut gut
7. Wenn du nicht mehr weißt, was sinnvoll ist, frag Freunde, ob du ihnen bei ihrem
scheinbar sinnlosen Tun helfen kannst
8. Tu was!
Also laufe ich so durch den Park und es geht mir ein Lichtlein auf. Ich denke: Es gibt Hoffnung. Das ist die Zukunft unserer Kinder. Über der sich gestern noch, in den Posts meiner Freunde und meiner eigenen Panik, eine riesige schwarze Wolke aufblähte. Denn unseren offenen Werten und den Kindern, denen wir sie vermitteln können, gehört die Zukunft, weil: 85 Prozent der 18 bis 25-Jährigen haben diesen gemeinen, gefährlichen alten Macho NICHT gewählt. Wie überhaupt die Mehrheit der Wähler NICHT für ihn gestimmt hat. Nicht für die Abschottung, die Ausgrenzung, die Vergangenheit. Die eine halbe Ewigkeit von einer Mehrheit dominiert wurde, die sich jetzt als in die Minderheit geraten empfindet und eben noch mal aufbäumen und brüllen muss. Bevor sie ausstirbt.
9. Verwirrte, deprimierte Freunde in aller Welt, lest dazu diese außergewöhnlich kluge und weiterbringende Analyse des Soziologen Andreas Reckwitz. Oder zusammengefasst hier.
So dachte ich, mit einem Mal voller Tatkraft, und dass der Wecker geklingelt hat und wir jetzt endlich alle wach geworden sind! Und jetzt stehen wir auf - und: ein für das, was uns wichtig ist! Ich schrieb meinem guten Freund: Got up, stand up!
Und zum Anfangen und zum Schluss die hoffnungsfrohe Kunde: Es wird immer wieder Frühling. Manchmal mitten im November.
Foto: Christophe Papke/photocase.de