Reinhold Beckmann: Es gibt eine Generation hier in Deutschland, die diente im letzten Kriegsjahr 1945 als Flakhelfer. Heute schreibt sich diese Generation die Gewalt von der Seele, denken Sie nur, meine lieben Zuschauer, an Günter Grass, an eine Gewalt, zu der diese Generation in ihrer Jugend verführt wurde.
(betroffener Blick)
Heute, zu Hause in den digitalisierten Kinderzimmern, ist der Zweite Weltkrieg lange vorbei, doch die Verführung und Anstiftung der Jugend zur Gewalt geht weiter und hat ein neues Gesicht bekommen.
(jetzt sehr betroffener Blick)
Ich möchte mit Ihnen, liebe Zuschauer, und mit meinen Gästen hier im Fernsehstudio über die Gewalt der Jugend sprechen – damals in der Waffen-SS und heute im Computerspiel. Begrüßen Sie mit mir:
Martin Walser, international bekannter Schriftsteller und Sprecher einer Generation, die aus ihren Fehlern immer noch lernt.
(Walser blickt Beckmann ungerührt an)
Jeanette Biedermann, Schauspielerin, Sängerin, nicht zuletzt mit Ihrem Bad Girls Club sogar Komponistin für Musik von Computerspielen und – man liest es überall – Sexidol.
(Jeanette sieht überglücklich aus. Obwohl kein Publikum da ist, nickt sie, als nähme sie Applaus entgegen)
Uli Hoeneß, seit 28 Jahren Manager des FC Bayern München und dort der Jugend so nah.
(Hoeneß’ Stirn glänzt, er hat leuchtende Augen, wirkt aber ernst)
Und zu guter Letzt eine ganz Große. Meine Damen und Herren: Katja Riemann. Pazifistin, Schauspielerin, Sängerin, Mutter und Poetin, die im Internet ein Tagebuch schreibt. Sie engagiert sich ehrenamtlich für die UNICEF, die sich weltweit einsetzt, um Kinder zu schützen.
(Katja Riemann schaut überrascht, lächelt)
Beckmann: Lassen sie mich zunächst auf die Gewalt als solche zu sprechen kommen. Herr Walser, ich grüße Sie. (kurze Pause) Sie haben den Zweiten Weltkrieg als Soldat erlebt, als Flakhelfer. Was ist das für ein Gefühl, wenn man mit 17 Jahren neben so einer Flak steht, die gerade einen gewaltigen Schuss abfeuert?
Walser: (schlägt die Augen nieder) Nun, das… Da bin ich jetzt etwas… Beckmann: (unterbricht) Waren das nicht einschneidende Erlebnisse für Sie? (langsam) Das Donnern einer riesigen Feuermaschine direkt neben Ihnen, die Detonation, das Wummern, das Geschrei der Menschen? (reckt den Kopf über den Tisch näher zu Walser) Sie waren so jung.
Walser: Dazu müsste ich… (nippt am Wasserglas) Nun, ich denke wie John le Carré – erst schreiben, dann reden.
Beckmann (ganz ernst): Herr Walser, wenn Sie mit Ihrer Gewalterfahrung von damals, die Sie so eindrucksvoll als prägend beschreiben, auf die jungen Menschen von heute blicken – überkommen Sie dann Sorgen?
Walser (noch ernster): Nein. Jugend war immer verführbar und wird es immer sein. Sie wird auch immer enttäuscht sein, wenn die Götzenbilder in sich zusammenknicken. Wenn der Jugend aus ihrer Erfahrung ein neues, reifes Gesicht erwächst, dann ist aus dem Samen eine Knospe geworden. Mir tut jeder leid, der das nicht erfahren darf.
Beckmann: Sehen Sie in Computerspielen wie »Counter-Strike« oder »Doom« (Beckmann reißt die Augen bedrohlich auf), in denen Jugendliche heutzutage das Töten mit der Feuerschusswaffe, sogenannten Guns erlernen – wir haben früher noch »Kanone« dazu gesagt (Beckmann lächelt kurz, Hoeneß auch) – sehen Sie darin eine Gefährdung? Eine Verführung?
Walser: Wer in der Lage ist, ein solches Spiel zu spielen, der bringt etwas mit, auf das er sich sein Leben lang verlassen sollte: die Fähigkeit zur Einlassung. Davon abgesehen: Ich habe persönlich ganz gute Erfahrungen mit Computerspielen gemacht.
Beckmann: (lächelt) Katja Riemann, sie sind selbst Mutter einer lieben Tochter…
Riemann: (unterbricht) Das Beste, was ich je produziert habe! (höfliches Lachen der anderen Gäste)
Beckmann: (lacht noch immer) Ja, sie hat Sie sogar zu tollen Kinderbüchern inspiriert. Die lese ich auch gern mit meinen Dreikäsehochs zu Hause!
Riemann: Danke, ja, die sind wirklich schön geworden, meine Kinderbücher. Meine Schwester hat übrigens die Bilder dazu gemalt.
Beckmann: Be-nei-dens-wert! Die ganze Family also eine kreative Bande. Man wünscht sich, das wäre überall so. (plötzlich finstere Mine) Wenn wir uns hingegen erinnern an den Januar dieses Jahres. Mecklenburg-Vorpommern. (Beckmann wird ernster und ernster) Zwei jugendliche Gymnasiasten werden mir nichts, dir nichts zu brutalen Gewalttätern und ermorden auf bestialische Weise ein Ehepaar, unmittelbar nachdem sie einen widerlichen Gewalt-Film gesehen haben. (Pause) Was fühlen Sie da, Katja Riemann? Geht Ihnen das unter die Haut?
Riemann: Ja, auf jeden Fall. Also, ich weiß manchmal gar nicht, wo ich anfangen soll… (Sie blickt zu Walser und Hoeneß)…das ist alles so (Blick zu Beckmann)…ja, im Grunde zutiefst traurig. Ich bekomme da als Mutter so ein Gefühl, dass unsere Kinder durch diese ständige Gewalt beeinflusst werden. Ich meine, es ist ja wirklich so! Wo wir hinsehen – Mord! Es wird getötet, es wird geschossen – das ist ein so präsenter Teil unserer Wirklichkeit, nicht nur im Fernsehen oder im Kino. Das finden wir eben auch in Computerspielen, im Schauspielunterricht, im Internet, in Krimis, in Büchern… (Sie berührt die Hand von Walser. Der fällt ihr schnippisch ins Wort)
Walser: Sie sprechen nicht von meinen Büchern.
Riemann: (überhört Walser) …aber wo soll ich da anfangen? Soll ich meiner Tochter sagen: Du darfst das nicht sehen? (Sie schaut in der Runde herum) Ich denke nein. Wir müssen reden! Das Problem ist doch die Faszination der Bilder, die uns gefangen nimmt. (Sie dreht sich zur Seite, die Kamera schwenkt mit und zeigt Jeanette Biedermann: Die presst ihre Lippen zusammen und denkt nach.)
Biedermann: Ja, das stimmt. Die Bilder sind oft faszinierend und einfach irre gut gemacht. Gerade bei den neueren Games. Die Grafik ist superweit heutzutage. Klar, dass die Kiddies darauf abgehen.
Beckmann: Uli Hoeneß! Ich sag’s gern noch mal: Schön, dass Sie heute hier bei uns sein können.
Hoeneß: (schaut lauernd, verzieht den Mund zu einem Viertellächeln, zeigt ansonsten aber keine Reaktion)
Beckmann: Ihre persönlichen High-Scores, wie die Computer-Kids sagen würden, also die Liste Ihrer Heldentaten und Ihres Erfolges als Manager für den FC Bayern ist europaweit eine Legende.
Hoeneß: So viele schöne Worte hab ich selten gehört.
Beckmann: Mit Ihrer Nachwuchsarbeit am Puls der Jugend, Uli, wie verstehen Sie die Faszination junger Menschen für Computerspiele, in denen man auf menschliche Figuren schießt? Täuschend echt nachgebildet, ja, zum Teil von der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden, Uli Hoeneß?
Hoeneß: Ich muss ganz ehrlich sagen, das ist mir fast wurscht. Aber ich denke, dass Bewegung, im Gegensatz zum Sitzen und Herumschießen, manchmal eine Ablenkung ist, die guttut.
Beckmann: Sie haben mir vorhin direkt vor der Sendung gesagt, Sie finden die Gewaltbezogenheit der neuen Medien erschreckend.
Hoeneß: Ja, das ist richtig. (Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust)
Beckmann: Aber was ist das Erschreckende daran? Jeanette? Ist es die Angst, dass durch diese Spiele etwas geweckt wird, was in uns schlummert?
Biedermann: Na, also Gewalt geht gar nicht. (Sie verdreht die Augen und grinst) Tut mir leid.
Walser: Das Erschreckende an unserer Kultur der Harmlosigkeit ist die lächelnde Fassade, auch wenn die Segel längst vom Wind zerfetzt worden sind. (Riemann sieht ihn verständnisvoll an)
Biedermann: Ich denke auch! Also: Man muss echt nicht so tun, als gäb’s so was nicht. Ich hab mal einen Mitschüler gehabt und vor ein paar Tagen hab ich ihn wiedergetroffen. Der war (sie zählt an den Fingern auf) blass, unsicher und total asozial. (Sie lacht) So ein Computernerd! Da sag ich nein danke!
Beckmann: Bei Heino heißt es: Die Kunst der Deutschen ist die Liebe. Heino, falls du zuschaust: Liebe Grüße! Nehmen wir einmal an, es ist so, wie er sagt –müssen wir nicht verzweifeln an dem Geballere und Gelynche, das ein 17-jähriger Kerl heute in seinem Kinderzimmer erlebt? In Deutschland?
Hoeneß: Also wenn wir beim FC Bayern ein solches Problem hätten – aber ich sag’s deutlich: Wir haben es nicht! –, dann dürfte dem Spieler in einem sehr klaren Gespräch erklärt werden, dass das nicht geht.
Walser: (zu Hoeneß) Und wenn Sie es mit einem der hinlänglich bekannten beratungsresistenten Spieler zu tun haben?
Hoeneß: Wenn unsere Spieler mit Prostituierten erwischt werden, ist mir das scheißegal. (Hoeneß zeigt auf Biedermann, ohne es zu merken – die lächelt) Aber wenn sie ihre Zeit vor dem Computer verdusseln… (er deutet mit der Hand über dem Hals an: Kopf ab)
Beckmann: (belustigt) Wie, dann ist Schluss?
Hoeneß (ernst): Ich sag’s nicht aus Spaß.
Walser: Das ist doch Unfug! (greift grimmig zum Glas)
Riemann: (aufgeregt) Also. Ich würde gern etwas sagen!
Hoeneß: Wieso ist das Unfug? Glauben Sie, der FC Bayern wäre der finanzstärkste deutsche Fußballclub, Rekordmeister, Champions-League-Sieger, mehrfacher Pokalsieger, das Double, ich sag’s nur, haben wir erst letztes Jahr wieder geholt, wenn ich als Manager nicht hart durchgreifen würde? Wir müssen aufpassen, dass wir uns von Herrn Walser hier nicht einlullen lassen, nach dem Motto: Wer die meisten Bücher zu Hause stehen hat, der sagt alles richtig.
Riemann: (leise zischend, zu Beckmann) Reinhold!
Walser: Das Leben junger Menschen ist keine Turnstunde!
Hoeneß: Das ist es ja! Wenn der Arbeitswille, die Disziplin und der Kampfgeist, wie sie bei uns im FC Bayern herrschen, überall vorherrschen würden, nämlich in jeder deutschen Familie, auf jeder deutschen Schule und auf den Straßen – dann hätten wir nicht diese Saure-Gurken-Zeit in puncto Jugend und Werteverfall, die wir gerade durchmachen.
Walser: Sie reden wie mein Vater.
Hoeneß: Meine Kinder haben sich nie beschwert.
Riemann: (hackt mit den Handkanten auf den Tisch, sehr aufgeregt) Reinhold, sorry, aber das geht so nicht. Lass die beiden doch bitte nicht aufeinander losgehen wie zwei alte Kampfhähne. Wir sind erwachsene Menschen. Hier geht es um Frieden, verdammte Scheiße!
Beckmann (legt seine Hand auf Riemanns Hand): Katja, meine liebe Katja, wir schätzen Sie für Ihr Engagement. Sie sind Unicef-Botschafterin und im Auftrag des Friedens eine prominente deutsche Größe. Haben Sie einmal privat ein Ego-Shooter-Spiel gespielt, Katja?
Riemann: Nein, absolut nicht. Für so was bin ich einfach zu intelligent… Nein, das war jetzt angeberisch von mir… (lacht kurz auf) Also, ich sage generell, die Lehrer müssen mit den Schülern mehr rausgehen! Denen mal einen echten Baum zeigen, nicht nur stumpf auf vergammelte Bücher glotzen oder über Geschichte palavern. Da würde ich auch Amok laufen! Geschichte passiert doch da draußen! Jeden Tag! Geht dahin! Geht mit den Schülern vor die Tür, zeigt ihnen die Inschriften der russischen Soldaten in den Reichstagsgewölben, zeigt ihnen, wo die Milch herkommt, anstatt Geld für den blöden Berliner Hauptbahnhof auszugeben! Damit meine Kinder zu interessierten Menschen heranwachsen und nicht zu Ego-Shooter-Leuten! (Sie holt tief Luft, hebt das Kinn und lehnt sich zurück)
Beckmann: Jeanette, du hast die Begleitmusik zu einem Computerspiel gemacht. Können wir tatsächlich durch Games etwas lernen? Im Guten wie im Schlechten?
Biedermann (strahlt, zeigt weiße Zähne): Ja. Auf jeden Fall. Ich hätte übrigens den Deal nicht gemacht, wenn’s um Gewaltverherrlichung gegangen wäre. Es gibt wirklich Games, die sind so spannend, dass ich davorsitze und mein Herz wie wild zu wummern anfängt und ich die Uhr vergesse und, hach, es macht einfach Spaß, wenn man da mit seinen Helden im Computer so richtig mitgeht!(Biedermann strahlt, Riemann starrt beleidigt, Walser wird unruhig. Beckmann sieht in seine Karten)
Riemann: Na gut. Wir erleben ja im Moment eine unbegreifliche Welle der Gewalt. Und das ist in diesem Zusammenhang wichtig: Das ist nicht nur ein Thema für Männer. Das betrifft auch Frauen.
Beckmann: Tatsächlich?
Hoeneß: Das ist richtig. Die Entwicklung dieser Computerspiele ist ja eine grafische Arbeit und die wird von überwiegend weiblichen Händen gemacht.
Beckmann: Aber mal Hand aufs Herz: Herr Walser war in seiner Jugend der Faszination Flakhelfer erlegen, wie im Übrigen viele Literaten, und… Mensch, Uli, Katja, Jeanette, haben wir nicht auch gerne Räuber und Gendarm gespielt? Uns im Heu versteckt und unsere Kameraden umgehauen mit einer Wonne, dass wir abends so richtig gut und mit roten Bäckchen einschlafen konnten? Haben wir nicht davon geträumt, unserer Biolehrerin eine Rohrbombe in den Hintern zu schieben? (grinst schelmisch)
Hoeneß: (nickt verständnisvoll) Ja. Als ich klein war, war es auch nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen.
Biedermann: Ich habe mich auch mal geprügelt. Da war ich…
Riemann: (unterbricht) Aber unsere Kinder leben doch, was wir ihnen vorleben!
Walser (etwas lauter, ungehalten): Es gibt ja die berühmte Geschichte vom Esel und dem Halsband. Das Halsband ist dem Esel zu eng, und da geht er zu einer Kuh und sagt: Wie wär’s, tauschen wir Glocke gegen Halsband? Aber die Kuh versteht den Esel nicht und schüttelt den Kopf! So geht es mir, wenn ich das hier mitanhöre!
Biedermann: Hä?
Walser: Wir müssen zusehen, dass wir die Gewalt nicht phantomisieren! Früher war alles viel greifbarer. Das ist mit der Zeit verloren gegangen.
Beckmann: Zeit ist mein Stichwort – Katja, hast du zurzeit ein Lieblingslied?
(Riemann überlegt, wirft den Kopf hin und her)
Walser (leise zu Biedermann): Junge Frau – haben Sie jemals ein Buch von mir in der Hand gehabt?
Biedermann (kichert, ebenfalls leise): Natürlich. Super!
Riemann: Also mein absolutes Lieblingslied im Moment ist ein Song meiner Tochter mit dem Titel Peace And Love. Es handelt von einem Narren, so einem, wie man ihn von früher kennt, der sich ein Stelldichein gibt und eben diese Worte singt, Peace And Love.
Beckmann: Ach, nicht andersrum? Love and Peace?
Riemann: Nein. Peace and Love. Das eine zuerst, dann das andere.
Beckmann: Einverstanden, versuchen wir es auch ein Die einen verarbeiten die Erlebnisse ihrer Jugend durch jahrelanges Schweigen und schreiben dann ein Buch. Andere sitzen für ihre Taten im Jugendgefängnis, und wieder andere zerbrechen an der Last der Schuld. Der Schrecken der Gewalt zieht sich durch Generationen und Jahrhunderte. Wenn aber Jugendliche als Gewalttäter auftreten, meine lieben Zuschauer, dann ist unsere Ratlosigkeit grenzenlos. Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinen Gästen, Uli Hoeneß, Martin Walser, Janine Biedermann und Katja Riemann. Das nächste Mal nehme ich Sie zu Hause bei der Hand und beleuchte zusammen mit Ihnen das Thema: (liest unauffällig von seiner Karteikarte ab) Schule oder Knast. Der Weg nach unten. Schaun Sie rein bei mir! (Er zwinkert spitzbübisch)