In einer Zeit, in der Zweijährige ein iPhone bedienen können, Dreijährige erste Chinesischvokabeln sprechen und Vierzigjährige sich für zu jung halten, um Eltern zu werden, sollte man aufhören, sich beim Thema Kinder noch zu wundern. Nur eine Frage sei abschließend erlaubt: Was, bitte, ist auf unseren Spielplätzen los?
Ausgerechnet dort, wo alles mal so simpel war – Sandburg bauen, Rotznase putzen, trösten, schimpfen, Dreck abklopfen, Banane verteilen – wird es neuerdings kompliziert: Eltern, die mit Schaukel und Rutsche groß wurden, betreten neu gestaltete Spielplätze und blicken irritiert auf Zylinder und Halbmonde, fragen einander: Wie soll mein Kind damit spielen? Soll mein Kind damit überhaupt spielen? Oder stellt hier ein Künstler seine Werke aus? Droht beim Betreten eine Schadenersatzklage?
Deutsche Spielplätze 2011: In Berlin acht Meter hohe, rot lackierte Metallzylinder, in Bonn ein vierzig Quadratmeter großes Geflecht aus pastellfarbenem Treibholz und in Halle eine Mondlandschaft aus polierten Edelstahlkugeln. Hier toben sich weniger die Kinder als vielmehr die Designer aus.
Dass am St.-Jakobs-Platz, mitten in München, gleich beim Viktualienmarkt, ein Spielplatz ist, fällt Touristen oft nicht auf. Eine blaue Drehscheibe, sechs kleine Holzkreise auf Spiralen und ein in den Boden eingelassener Sandkasten. Erbaut von der Landschaftsarchitektin Regina Poly, die findet, »der Spielplatz sollte keine abgeschlossene Kinderwelt sein, sondern gleichzeitig ein Schmuck für den Platz«. In einer der teuersten Lagen Münchens hat sie die Spielgeräte »minimalistisch designt« und »subtil in die übrige Architektur integriert«. Eine gewöhnliche Schaukel war ihr »einfach zu langweilig«. Und viele ihrer Berufskollegen sehen das genauso.
Ein Düsseldorfer Architekturbüro trieb es derart auf die Spitze, dass sein Spielplatz in Hamburg leer blieb – im Hof eines Büro- und Wohnraumkomplexes wurden große grüne Gummimatten verlegt, aus denen polierte Edelstahlgewinde emporranken. Eine Elternweisheit lautet: Kinder können mit allem spielen – aber in diesem Fall ist selbst den Kleinsten nichts mehr eingefallen. Man sehnt sich hier geradezu nach einem Baum mit einer Schaukel.
Das Beispiel aus Hamburg erinnert den Spielplatzdesigner Hans-Georg Kellner an eine bittere Erfahrung: Er wurde von einem Bauherrn in Berlin beauftragt, sich in einer Neubausiedlung »so richtig auszutoben«. Kellner, der seine Spielplätze als »bespielbare Kunstobjekte« sieht, baute windschiefe, mit Stangen verbundene, rot lackierte Zylinder. Kellner vermutet heute leicht gekränkt, dass der Auftraggeber ihn absichtlich zur Hochkunst anstachelte, damit dort nicht zu viel und zu laut gespielt wird.
Aber auch die Kinder machen es den Planern schwer: Sie hüpfen doch einfach über den Granitbrunnen am Münchner St.-Jakobs-Platz und planschen in den Wasserfontänen. Darüber zeigt sich Architektin Regina Poly erstaunt: »Also eigentlich war der Brunnen nicht zum Spielen gedacht.«
Fotos: Martin Fengel