Sie hat Brotsalat für eine Party gemacht, er wollte ihr helfen, schnitt aber das Brot zu dick. Sie sagte ihm das, er war sofort sauer. Er sagt, er hat das Brotmesser weggezogen; sie sagt, er hat es nicht zur Seite geschoben, sondern »weggepfeffert«. Sie sagt, sie hat gar nichts gemacht, nur gesagt, »schneid das Brot halt dünner«, und er sagt, so wie sie das gesagt hat, war das vorwurfsvoll und vehement, er hat gar nicht verstanden, was da plötzlich schon wieder los war. Er denkt an nichts Böses, sagt er, und sie ist auf 180, ständig. Jetzt donnert sie empört ihre Handtasche, die rechts von ihr auf dem Sofa lag, in die Lücke zwischen den beiden. »So ist es nicht!«, ruft sie. Er sitzt neben ihr, die Beine nebeneinander gestellt, wie auf dem Sprung, und lächelt, abgeklärt, skeptisch, leises Kopfschütteln schwingt mit.
Mittwochabend, 19.30 Uhr, Karin und Gerhard*, 39 und 40 Jahre alt, sind zu Angélique Lawal, einer Münchner Paarberaterin, gekommen, um über ihre Ehe zu sprechen. Sie sind seit neun Jahren verheiratet. Beide sind schlank, sportlich, modern angezogen. Sie trägt Jeans mit Trenchcoat, er Jeans mit Lederjacke. Sie hat rote Haare, seine sind lockig. Sie arbeitet nachts und am Wochenende in der Altenpflege, er baut Möbel und fängt morgens um sieben an. Sie haben zwei Kinder bekommen, ein Haus gebaut – und nun verstehen sie sich nicht mehr. Ständig streiten sie und können nichts dagegen machen, sagen sie, dass aus kleinen Anlässen – wie dem mit dem Brotsalat – große Kämpfe werden, nach denen sie sich nur noch schwer wieder versöhnen, weil die Distanz so groß ist. Klingt wie eines der ältesten Themen, seit Menschen Liebesbeziehungen führen. Ist es ja auch. Aber jedes Paar ist in seiner ganz eigenen widersprüchlichen, seltsamen, unerklärlichen und unerwünschten Weise unglücklich. Gerhard war es, der nach einem Eklat an Weihnachten meinte, sie sollten sich professionelle Hilfe suchen. Gerhard ist in ihrer Ehe überhaupt derjenige, der die Dinge klären möchte, während Karin Diskussionen oft abbricht. Heute ist der dritte Mittwoch, an dem sie bei der Paarberaterin sind. Sie sollen die Rollen tauschen. Karin spricht für Gerhard und umgekehrt. Denn oft fühlen Partner das Gleiche: Mangel. Und es zeigt große Wirkung, die eigenen Worte und Ansichten aus dem Mund des anderen zu hören, sagt die Paarberaterin Lawal. Karin und Gerhard schauen kritisch. Sie wirken erschöpft: Ihr Leben ist vollgepackt mit Geldverdienen, den Kindern, den Eltern und den Schwiegereltern, den Freunden, ganz abgesehen von der Ehe.
Sie leiden unter ihren vielen Streitigkeiten. Und sie möchten zusammenbleiben, darum sind sie ja in die Beratung gekommen. Die Zeitschrift Brigitte fand allerdings heraus: Haben Paare sich endlich zu einer Therapie durchgerungen, kommen sie im Durchschnitt sechs Jahre zu spät. Und dann wird aus der Paarberatung leider häufig eine Trennungsberatung. Paradox: In einer Gruppe krisengeschüttelter Paare fragte der Therapeut, warum sie so lang gewartet haben, bis sie zur Beratung gekommen seien. Die meisten Teilnehmer antworteten: aus Angst, dass ihnen in der Therapie deutlich würde, wie unwiderruflich ihre Beziehung am Ende sei.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Für Gerhard ist es schwierig, mit Karin zu schlafen.)
Viele Kirchen bieten seit Jahren ein wissenschaftlich evaluiertes Paartraining (ELP) an, in dem man beispielsweise lernt, wie man Bedürfnisse äußert oder auf Provokation reagiert. Schon nach wenigen Doppelstunden vermindert sich das Trennungsrisiko enorm. Peter Kaiser vom Institut für Familienpsychologie in Oldenburg sagt: »Das funktioniert jedoch nur, wenn Leute kommen, die noch nicht beinahe getrennt sind. Wenn Kirchen diese Kurse bei der Ehevorbereitung anbieten, nehmen nur zehn Prozent der Paare, die heiraten wollen, diese Empfehlung an. Weil da noch alle im Glückstaumel sind.«
Karin und Gerhard sind nicht mehr im Taumel, aber sie wirken gar nicht unharmonisch, sondern eher einträchtig, wie sie nebeneinander auf dem schwarzen Sofa sitzen und sich gegenseitig immerzu anschauen, bevor sie etwas sagen – um zu sehen, wie der andere reagiert. Und doch können alle in diesem Zimmer zu diesem Zeitpunkt nur mutmaßen, ob ihre Ehe zu retten sein wird. Frau Lawal sagt, eine Paarberatung sei wie die »Büchse der Pandora«: Am Ende könne dabei auch herauskommen, dass die Gründe, warum sich zwei Menschen einmal gefunden haben, nicht mehr existieren.
Der vierte Mittwoch. Am Wochenende gab es bei Karin und Gerhard eine große Auseinandersetzung. Karin soll schildern, wie das ablief. Sie lacht hell, beinahe künstlich, verbirgt dann ihr Gesicht in den Händen, als müsse sie sich sehr konzentrieren, wohl aber soll es ihre Verlegenheit kaschieren.»Ich hab aus Flapsigkeit etwas gesagt, was Gerhard verletzt hat. Ich weiß aber gar nicht mehr, was es genau war. Weißt du noch, was ich da genau gesagt hab?« – »Komm schon, Karin, das weißt du selbst doch auch noch ganz genau.« – »Nein, ich kann mich irgendwie nicht erinnern.«
Es geht noch ein bisschen hin und her, Karin versteckt sich hinter ihrer Affektiertheit, Gerhard hinter seinem Missmut. Doch dann entschließt sich Gerhard zu sprechen. »Also gut. Sie hat sich auf die Waage gestellt, am Samstagmorgen, und genervt mit den Augen gerollt. Dazu habe ich gesagt – das ist übrigens ein Zitat von einem Freund –, also ich habe dann scherzhaft gesagt: ›Ficken hilft‹. Daraufhin meinte sie: ›Dann muss man mich aber erst mal entflammen.‹ Das hat mich gekränkt.« – »Ja, er hat das sehr schwergenommen, obwohl ich mich sofort entschuldigt hab.«
»Wenn man einen Nagel irgendwo reinhaut und ihn dann wieder rauszieht, bleibt trotzdem ein Loch zurück, und das habe ich gespürt. Auch als sie dann gesagt hat, sie hätte es nicht so gemeint.« »Er hat sich total zurückgezogen, laute Musik angemacht, sich stundenlang in diese depressive Stimmung fallen lassen, die er manchmal hat. Dann findet er alles sinnlos. Und ich fühle mich bedroht, denn das bezieht sich auch auf mich und die Kinder und unsere ganze Existenz.«
»Ich habe ihr halt gesagt, wie es mir geht, und sie ist weggegangen. Wie sie immer weggeht, wenn ich etwas sage, was ihr nicht passt. Da bin ich eigentlich erst richtig sauer geworden. Dann hat sie die ganze Zeit geweint, so klagend.«
»Ich hatte mich ja längst bei ihm entschuldigt, und trotzdem hat er den ganzen Tag geschmollt und sich immer weiter entfernt. Das habe ich nicht mehr ausgehalten, da bin ich umgefallen. Da war ich nicht nur traurig, sondern auch wütend. Ich würde so gern rauskommen aus dieser Negativ-Stimmung, aber ich habe manchmal das Gefühl, er will da gar nicht raus.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Therapeuthin erklärt, warum sich Karin und Gerhard Ewigkeiten streiten.)
An diesem Punkt schaltet sich die Therapeutin ein. Sie sagt: »Zwei selbstständige Menschen, die zusammen sind, weil es mehr Spaß macht als allein zu sein, klären so einen Vorfall am Samstagmorgen in zehn Minuten.« Karin und Gerhard aber, meint sie, wollen jeweils vom anderen aus der Situation gerettet werden – und reagieren enttäuscht darauf, weil es nicht geschieht. Es gibt keine Distanz zwischen ihnen, obwohl sie das Gefühl haben, weit voneinander entfernt zu sein und nicht zusammenkommen zu können.
Im Gegenteil, sie seien einander viel zu nah. »Die meisten Leute, die ich in meiner Paartherapie sehe, verbeißen sich wegen zu großer Nähe ineinander«, berichtet auch der bekannte Schweizer Paartherapeut Jürg Willi aus seiner Praxis.
Frau Lawal: »Es ist keine Luft zwischen euch beiden. Wenn einer starke Gefühle hat und diese Gefühle negativ sind, knickt er in eine Richtung ab. Das ist für den anderen bedrohlich, denn der knickt gleich mit ab in diese Richtung, auch wenn er da gar nicht hin möchte.« Karin geht also weg, weil sie Gerhards Destruktivität nicht aushält, und nicht, weil sie desinteressiert ist. Gerhard wiederum wünscht sich, dass sie ihn aus seiner Stimmung herausholt, statt zu gehen. Sie befinden sich, sagt die Therapeutin, in einer Symbiose, sie suchen ständig den Kontakt zueinander, ob der gut ist oder schlecht. Die Aufgabe für die nächsten Wochen: Sie müssen lernen, sich mehr Raum zu nehmen und zu geben. Sie müssen sich als eigenständige Person begreifen lernen. Sie sollen den Emotionen, die sie so überrollen, misstrauen und ihnen nach Möglichkeit nicht nachgeben. Denn diese Emotionen beziehen sich oft gar nicht auf die akute Situation, sondern auf Ereignisse aus der Vergangenheit.
Alles ist in Karins und Gerhards Augen besser als Gleichgültigkeit. Die Ängste, die hinter dieser Dynamik stehen, sind alt. »Die Hälfte der Menschheit läuft mit psychischen Störungen herum«, meint der Psychologe Peter Kaiser. Früher ergaben sich aus diesen Konstellationen »stabil unglückliche Paarbeziehungen, die ertragen wurden«. Menschen aus Scheidungsfamilien tragen ein vier Mal so großes Risiko, selbst geschieden zu werden wie Menschen aus glücklichen Herkunftsfamilien. Unglück in der Liebe vererbt sich also, nicht genetisch zwar, sondern sozial. Und doch: »Es gibt keine höhere Bereitschaft als die, sich für die Liebe einzusetzen«, sagt Frau Lawal.
An den folgenden Mittwochabenden wirkt Karin immer häufiger erschöpft und niedergeschlagen, sie lässt den Kopf hängen und scheint zu müde zu sein, um sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Gerhard hingegen macht einen abwartenden, beinahe gelassenen Eindruck. Er sitzt da, die langen Beine übereinander geschlagen, umfasst seine Knie mit den Händen und wippt leise mit einem Fuß. Wenn sie etwas erzählt, lacht er mitunter kurz abfällig auf.
Sie kommen auf den Brotsalat-Streit zurück. Sie sagt, dass Gerhard ihr achtzig Prozent ihrer Energie raubt. Er schüttelt den Kopf und sagt, wütend, sie ist unfair, total unfair, und respektlos. Sie sagt, es kommt immer dann, mitten im Streit, ein Moment der Wahrhaftigkeit, der sonst nicht da ist, weil dann alles aus ihnen herausbricht. Er sagt – und jetzt bricht es aus ihm heraus –, sie ist ein Macho, sie ist ein Scheißtyp. Und sie sagt, bleich und böse, Gerhard kann halt gar keine Kritik vertragen. Er sagt, kühl, er kann sehr gut Kritik vertragen, wenn sie in einem Ton daherkommt, den man vertragen kann.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Hat die Beziehung von Karin und Gerhard noch eine Chance?)
Die wenigsten Männer, jetzt mischt die Therapeutin sich da ein, können Kritik vertragen. Es hat keine Tradition, dass in Paarbeziehungen Männer von Frauen kritisiert werden. Sie sind ungeübt darin, unsouverän, sodass ihre Kritik häufig einen schrägen, vorwurfsvollen Ton bekommt. Kaum eine Frau ist je in die Paartherapie gekommen und hat sich darüber beklagt, dass ihr Mann ihr ständig Vorwürfe macht, meint Frau Lawal; fast jeder Mann hingegen beklagt sich genau darüber, worauf die Frauen wieder sagen: »Ich habe doch gar nichts getan.« Manche Unterschiede zwischen Männern und Frauen, sagt die Therapeutin, muss man ganz einfach hinnehmen, davon profitiert man selbst und die Beziehung.
Es gibt in jeder länger andauernden Liebesgeschichte einen Zeitpunkt, an dem die Liebenden anfangen einander zu entidealisieren. Jürg Willi nennt dies die Enttäuschungsphase. »Man fühlt sich von dem, was ursprünglich attraktiv war, überfordert und bedroht. Mann und Frau befürchten das Überhandnehmen des gegengeschlechtlichen Einflusses. Der Mann will sich gegen die Einfluss-sphäre der Frau abgrenzen und verhält sich defensiv und wegstrebend. Die Frau versucht eher, die Bindung zu festigen und fühlt sich vom Wegstreben des Mannes bedroht.«
Wieder ein Mittwochabend: Gerhard fragt, ob sich nicht eine tiefere psychische Störung hinter einem bestimmten Verhalten verbergen könnte. Sicher, antwortet die Therapeutin, aber darum gehe es hier nicht. Es sind kleine Schritte, die man gehen muss, um erst kleine und dann große Veränderungen herbeizuführen. Karin sagt, sie würde so gern verstehen, wirklich verstehen, was mit ihnen los sei. Sicher, antwortet die Therapeutin, aber darum gehe es hier auch nicht. Dieses Verstehenwollen sei eine Strategie, sich auf nichts einzulassen. In der Krise, heißt es in der Paartherapie, klaffen Konzept und Wirklichkeit auseinander. Und die betroffenen Paare nehmen die Krise als fehlerhafte Wirklichkeit wahr.
Kleine Schritte sehen so aus: Karin und Gerhard müssen zu Hause eine Woche lang üben, sich beim anderen zu bedanken, wenn es einen Grund dafür gibt. Sie finden es beide »irgendwie saublöd«. »Weil es so ungewohnt ist«, sagt Karin. Gerhard nickt. »Erfolgreich zu kommunizieren ist die Basis für eine gute Beziehung«, sagt Frau Lawal. »Doch wenn man es verlernt hat, nett zueinander zu sein, kommt es einem unnatürlich vor.« Kleine Schritte: Karin soll in einer Auseinandersetzung nicht mehr aufstehen und gehen, wenn Gerhard etwas sagt, was sie nicht gern hört. Gerhard soll ihr aber auch zugestehen, dass eine Angelegenheit vertagt werden kann.
Karin und Gerhard wollen beide immer recht haben, beide sind störrisch. »Doch die Beziehung gehört nicht einem, sondern beiden Partnern«, sagt Frau Lawal. Und Jürg Willi warnt: »Nichts ist verlustreicher als ein Sieg über den anderen.« Es ist noch nicht klar, wie die Geschichte von Karin und Gerhard ausgehen wird. Ihre Prognose aber ist gut, »weil sie schon so viel zusammen ausgehalten haben«, meint Lawal.
»Ich habe gar keine Idee, wie es mit uns besser werden könnte«, sagt Karin mit veränderter, ganz weicher und kleiner Stimme. Gerhard schaut sie an, und es liegt plötzlich keine Wut mehr in seinem Blick, auch kein Spott, sondern Zuneigung, Verständnis, Mitgefühl. Er nickt auch. Es ist ein trauriger und doch ein inniger Moment. Es ist der Moment der dumpfen Erkenntnis, dass es zurzeit für die beiden nur zwei Wege gibt: Trennung oder Zusammenbleiben. Der Preis für beide Wege ist gleich hoch.
*Namen von der Redaktion geändert.
Fotos: Myrzik & Jarisch