Schweiß

Das Elixier der Leidenschaft

Momentaufnahmen zu den wichtigsten Begriffen der Saison. Hier: Schweiß
Schweiß ist vielleicht die letzte Wahrheit in einer aseptisch sauberen, kontrollierten Welt. Er scheint, ähnlich wie der Tod, nicht gesellschaftsfähig, weil er eins zu eins verrät, was in unserem Körper geschieht.

Sobald wir uns bewegen, erwacht der Schweiß zum Leben und kühlt fast unsichtbar die ganze Haut mit einem Nebelmantel der Verdunstung. Ohne ihn steigt unsere Körpertemperatur tödlich an, um ein Grad Celsius, und das jede Stunde. Zu viel davon, und wir fühlen uns wie in einem feuchten Kühlraum, das Immunsystem versagt, Infektionen lauern. Und weil das Geheimnis des Lebens in der Mitte liegt, bei ungefähr 37 Grad, ist Schweiß abstoßend und anziehend zugleich.

Abstoßend, weil das an sich geruchlose Sekret spätestens mit der Pubertät seine Unschuld verliert und einen schneidenden Geruch entwickelt. Zu den über zwei Millionen geruchlosen ekkrinen Schweißdrüsen kommen die apokrinen dazu: unter der Achsel, an Nase, Wimpern, Ohr und dem Geschlecht reichern sie den Schweiß mit Duftstoffen an, die dann von Bakterien zersetzt werden und dadurch noch stärker riechen. Anziehend, weil Geruch und Gefühl näher, als wir denken, beieinanderliegen, denn die apokrinen Drüsen werden durch Emotionen aktiviert: von Schmerz, Wut, Angst und Lust.

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Der Geruchssinn hat von allen Sinnesorganen die direkteste Verbindung in die archaischen Abteilungen des Gehirns, zum limbischen System, wo die Gefühle und Passionen ihre Richtung bekommen: Hass oder Liebe beispielsweise. Davon schreibt Shakespeare in iRomeo und Julia: »Wenn nichts als einzig der Geruch mir bliebe / Die Liebe zu dir würde doch nicht kleiner /  Denn von den Dünsten deines Angesichts / Steigt Atemdunst, der Lieb’ erzeugt durch Riechen.« Die chemische Reaktion zwischen den Zeilen? Androstenon, aus dem apokrinen Schweiß des Mannes produziert, hat wohl auch Julia für Romeo empfänglich gemacht.

Von Heinrich III. ist überliefert, dass er auf einem Fest das durchgeschwitzte Hemd der jungen Marie von Cleve nach ausgiebigem Tanz in die Finger bekam und sie daraufhin unwiderruflich zur Frau begehrte. Die New-Wave-Band Gang of Four fasste jene Verwirrung für unsere Zeit in dem Song Damaged Goods zusammen: »Your kiss so sweet / your sweat so sour / Sometimes I’m thinking that I love you / but I know it’s only lust.«

In der Liebe kann man die Augen eigenmächtig vor unschönen Wahrheiten verschließen, den Atem so lange anhalten, bis es vielleicht besser wird. Aber der Nase sind wir hilflos ausgeliefert, sie lässt sich nur mit Mühe zuhalten. Schweiß trennt und verbindet.

In seiner chemischen Zusammensetzung sehen wir die Momentaufnahme unserer Verfassung mit beunruhigender Schärfe. Er kündigt als verlässlicher Vorbote kommende Krankheiten an. Wenn er ausbricht, schwemmt er Gifte aus, lenkt Fieberschübe ab.

Schweiß wurde auch zum Synonym für Arbeit und Mühe. Schon bei Hesiod heißt es: »Schweiß verlangen die Götter, bevor wir die Tugend erreichen; lang und steil ist der Pfad, der uns zu dem Gipfel hinanführt.« Alle Versuche, seiner Herr zu werden, waren schon immer zum Scheitern verurteilt. Nur ein absoluter Kopfmensch wie Kant konnte auf die Idee kommen, man müsse alle seine Körperflüssigkeiten bei sich behalten, denn jeder Verlust verringere die Lebenskraft. Im Sommer ging er daher besonders langsam, um nicht ins Schwitzen zu geraten.

Die Popband Fehlfarben schloss sich dem Philosophen an und behauptete: »Millionen glauben an den Zusammenhang von Schweiß, Gefühl und Ehrlichkeit, doch in Wahrheit zählt die Kunst des Zitats.« Wer indes wissen will, was Schweiß in Wahrheit sein sollte, lese die Aufschrift eines Deodorants, das nach Kampfer, Jasmin und schwarzen Johannisbeeren duftet. Dort steht, was sich eigentlich die gesam-te zivilisierte Menschheit auf die Stirn schreiben müsste: No Offense.

Eckhart Nickel ist Autor und Kolumnist des »SZ-Magazins«.