In München, nahe dem Friedensengel, gibt es eine hübsche, kleine Gasse: »Am Gries«. Woher kommt der seltsame Name der Straße? Als die Isar in früheren Zeiten noch regelmäßig über die Ufer trat, wusch sie die Kiesel an Land über die Jahre immer kleiner – bis sie irgendwann zu klein waren, um noch als Kiesel durchzugehen, aber noch zu groß, um schon als Sand bezeichnet zu werden. Also nannte man sie »Gries«, angelehnt an das althochdeutsche »Grioz«.
Der Gries wäre vielleicht auch so ein Wort für Simon Abdāl Hamīd Fitzwilliam-Hall. Sein halbes Leben lang ist der 66-jährige Engländer um die Welt gereist, um in etlichen Sprachen der Erde Wörter zu sammeln, die Landschaften und Naturphänomene beschreiben. Sein »Topoglossar«, wie er dieses einzigartige Natur-Wörterbuch nennt, ist mittlerweile 3500 Seiten dick, mehr als 50 000 Worte hat er zusammengetragen. »Landschaft ist ein gewaltiger Speicher von Sprache«, sagt er.
Ursprünglich sammelte Hamīd gar nicht mit der Absicht, all diese Begriffe öffentlich zu machen – sondern aus Interesse an Sprache und Land, und aus diesem Interesse wurde über die Jahre eine lebensfüllende Beschäftigung. Seinen gelernten Job, Architekt, hat Hamīd nie ausgeübt.Als SZ-Magazin-Autor Roland Schulz Hamīd anschrieb und fragte, ob er ihn Frankreich besuchen dürfe, sagte dieser erst zu, war sich dann aber nicht mehr sicher, ob er von sich und seiner einzigartigen Geschichte in einer Zeitung lesen möchte. Schulz ließ sich nicht abschütteln und hat nun einen außergewöhnlichen, poetischen Text über die Macht und Schönheit der Sprache aufgeschrieben.
Sie erzählt von einem Mann, in dessen Leben sich vieles zugetragen hat wie im Märchen, der als Soldatensohn eine Kindheit in der Fremde erlebte, mit seinen Eltern immer wieder weiterziehen musste, der Tage alleine auf dem Rücken eines Pferdes verbrachte, ein Geografie-Studium abbrach und irgendwann den Glauben wechselte. Es ist die Geschichte von einem, der auch und vor allem auf der Suche nach Heimat war. Und der vielleicht hoffte, das eine im anderen zu finden: eine Heimat in den Wörtern. Aber kann es so etwas überhaupt geben?
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Foto: Roland Schulz