Wenn es keine Werbung gäbe, wären Parteitage die ödesten Veranstaltungen der Welt. Da reist der Delegierte aus Niederbimsburg-Schrullingen an, dreimal umsteigen, Mehrzweckhalle suchen; nach Stunden endlich angekommen, setzt er sich mit Hunderten anderen in einen zugigen Saal – und wartet. Er wartet, bis irgendwelche Rechenschaftsberichte verlesen sind. Er wartet, bis jemand eine große Rede hält. Wenn die Rede kommt, wartet er, bis er wieder vor die Tür darf, um sich am Bierstand eine kleine Erfrischung zu gönnen. Und wann wird der Delegierte überhaupt mal gebraucht? Bei den Abstimmungen, aber bis die mal organisiert sind, all die Zettel, Infoblätter, Formalitäten, schon wieder zwei Stunden rum, ein Wahnsinn. Ganz selten mal läuft es so gut wie neulich beim CSU-Parteitag in Nürnberg: Da wurde in der Nachbarhalle die abendliche Wetten, dass..?-Sendung vorbereitet – und die Delegierten durften ab und zu einen Blick auf die vorbeistaksende Michelle Hunziker werfen.
Kein Wunder, dass manche Firmen Parteitage als ideales Werbeumfeld sehen: Wo sonst hat man so viele gelangweilte Menschen vor sich, die dankbar sind für jede Abwechslung? Also kommen sie alle: die Autofirmen, die Krankenkassen und Energieversorger, die Versicherer. Verteilen Broschüren, Kugelschreiber, Freigetränke, Snacks. Abstimmungen hin oder her, auf einmal sind die Messehallen doch wieder genau das: Messehallen. Im Saal findet statt, was abends die Nachrichten zeigen, die meiste Zeit aber verbringen die Delegierten im Foyer und hoffen, dass Red Bull bald wieder frisch gekühlte Dosen ausgibt.
Die Firmen zahlen gutes Geld dafür, dass sie ihr Zeug verteilen dürfen. Und das brauchen die Parteien dringend, um sich die teuren Parteitage überhaupt leisten zu können. Fairer Deal, eigentlich. Wird aber trotzdem kritisch gesehen. Michael Koß, Politologe von der Universität Potsdam, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Parteienfinanzierung. Er sagt: »Den Parteien bleibt natürlich nichts anderes übrig, als nach Geldquellen zu suchen, schließlich regt sich jeder auf, wenn sie alles mit staatlichem Geld zahlen. Aber es wird heikel, wenn eine Gegenleistung erkennbar ist, und das ist bei den Parteitagen der Fall: Die Firmen dürfen ihre Produkte bewerben. Wenn Gegenleistungen bei Parteispenden verboten sind, warum sollten sie beim Sponsoring erlaubt sein?« Aber was hilft’s, ohne Sponsoring geht es nicht, da unterscheiden sich Parteitage nicht von Sport-Events und Kulturfestivals, von Sechstagerennen und SZ-Veranstaltungen. Die Frage ist: Was bringt es den Firmen überhaupt? Sind ein paar müde Delegierte wirklich so eine spannende Zielgruppe? Koß wundert sich: »Dass die Telekom die Trikots des FC Bayern für eine gute Werbefläche hält, versteht man sofort. Aber bei der FDP? Was verspricht sich Audi davon, da mit einem Stand vertreten zu sein?«
Vielleicht funktioniert das Ganze ja so ähnlich wie die Produktempfehlungen bei Amazon: Wenn Sie diese Partei mögen, gefällt Ihnen auch jener Energieversorger. Immerhin weiß der Werbende ziemlich genau, was für ein Weltbild die Menschen haben, die er anspricht. Und wenn die Delegierten nach all dem Gewarte wieder heim in die Provinz reisen und erzählen, wie nett die Leute von RWE waren, dann gibt’s mit etwas Glück einen Schneeballeffekt, zumindest einen ganz kleinen.
Der Gedanke, dass die Firmen da politischen Einfluss nehmen könnten, muss einen übrigens nicht allzu sehr beunruhigen. Der Parteienforscher Koß sagt: »Angela Merkel setzt sich ja nicht an den Tchibo-Stand, um sich die Welt erklären zu lassen.« Und nur weil Audi Schlüsselanhänger verteilt, stimmt kein Delegierter für mehr Autobahnen.
Worum geht es also am Ende? Vielleicht nur um ein bisschen Wohltat für die armen Delegierten. Viele von ihnen klagen, sie seien nur Stimmvieh und könnten sowieso nicht viel bewirken. Da ist es doch schön, wenn sie sich wenigstens vor der langen Heimreise ein paar nette Souvenirs aussuchen dürfen.
Illustrationen: B und C, Hahn und Zimmermann; Foto: Getty