Inselkoller

Und was ist, wenn es dann irgendwann mal reicht? Wenn einen das Leben im Meer verrückt macht? Eine beruhigende Diagnose auf Sylt.

Glück ist immer da, wo man nicht ist. Denkt man. Beziehungsweise gaukelt unser Hirn uns das vor. Der Treibstoff in unserem Hirn ist die Neugier, ihre Schatten sind die Unzufriedenheit mit dem, was ist, und die Rastlosigkeit. So lautet die häufigste Diagnose des modernen Großstadtmenschen »Reif für die Insel«, aber Inselbewohner sind auch gelegentlich »Reif fürs Festland« – der sogenannte Inselkoller. Und in Alcatraz hieß es: »Noch nicht reif fürs Festland«. Auch beim Inselkoller macht die Dosis das Gift. Dreimal im Jahr ist was anderes
als lebenslänglich. Inselbewohner nehmen auf Dauer gewisse Eigentümlichkeiten an, ähnlich wie Dauercamper. Ärztlich ist dies zu erklären durch geistige und genetische Isolation über mehrere Generationen. Die besten Beispiele: Britannien (Groß) und Berlin (West). Ich darf das sagen, ich bin auf der kleineren der beiden Inseln aufgewachsen und habe lachen gelernt auf der anderen.

Genauso wenig wie ein Waldarbeiter in den Wald gehen kann, um sich zu erholen, hilft es einem Inselbewohner, dass andere dort Urlaub machen. Glück ist auch da, wo andere nicht sind. Inseln sind schön, weil dort so vieles nicht ist. In der Großstadt hast du immer das Gefühl, etwas zu verpassen. Auf der Insel gibt es Reizklima, aber keine Reizüberflutung. Die Optionen für die Tages- und Nachtgestaltung sind übersichtlich – und das ist das Geheimnis: Es ist einfach, glücklich zu sein. Schwer ist nur, einfach zu sein! Mein Buch Glück kommt selten allein … ist auf Sylt entstanden, ebenso wie die meisten Texte und Ideen für mein neues Bühnenprogramm Liebesbeweise. Auf Sylt kann man fernsehen ohne Gerät. Einfach aus dem Strandkorb aufs Meer schauen. Ja, das Meer ist ein großartiger Therapeut. Da wird ganz vieles wieder in Perspektive gesetzt. Wenn du übers Wasser guckst. Und nur denkst – boh, ist das viel Wasser. Und dann dämmert dir: Was du da siehst, ist ja nur die Oberfläche.
Und da drunter ist ja noch viel mehr Wasser! Und wieso heißt dieser Planet eigentlich Erde – wenn siebzig Prozent der Oberfläche aus Wasser bestehen?

Ja – zu solch tiefschürfenden Gedanken kommt man ja im hektischen Stadtleben nicht.

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Lange Zeit habe ich Sylt gemieden. Ich dachte immer, das sei die Insel der Reichen und Schönen. Und das stimmt ja auch – aber es sind zwei verschiedene Gruppen.

Kampen mit Sylt gleichzusetzen ist so fahrlässig, wie den Ballermann mit Mallorca oder Marzahn mit Berlin zu verwechseln. In der Philosophie heißt diese Denkfigur »pars pro toto«, in der Wissenschaft »Stichprobenfehler«.

Ich weiß noch genau, wie ich am Strand von Sylt einen Eingeborenen traf, der sagte: »Ihr Städter habt keine Ahnung mehr von den Zeichen der Natur. Wenn du ins Wasser gehst und kommst raus und bist aber trocken, will die Natur dir etwas sagen.«
»Was denn?«
»Ebbe!«
Dann nahm er eine Muschel und sagte: »Halte die mal an dein Ohr!«
Und Sie werden es nicht glauben, ich hörte das Meer rauschen.
Dann sagte er: »Eckart, noch eins. Wenn du am Meer stehst, kannst du es sogar auch ohne Muschel hören!«
Stimmt.

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Eckart von Hirschhausen kam vor über zehn Jahren zum ersten Mal auf die Insel, um beim Sylter Meerkabarett mitzumachen. Der Auftritt ist eines seiner persönlichen Highlights geblieben, weswegen er dort noch immer regelmäßig gastiert.
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Übernachten Hotel Budersand, Am Kai 3, Hörnum, DZ ab 250 Euro, Tel. 04651/460 70, www.budersand.de. Ganz neu, ganz schick, ganz weit weg von den anderen. An der Südspitze der Insel Spitzenservice. Golfplatz auf ehemaligem
Militärgelände. Schwerter zu Flugbällen!
Essen La Grande Plage, Riperstig / Weststrand, Kampen, Tel. 04651/88 60 78, www.grande-plage.de; Restaurant ess.zimmer, Gurtstig 2, Keitum, Tel. 04651/ 318 84.
Unbedingt ins Meerkabarett! Die besten Kleinkünstler des Landes versammeln sich zur Sommerfrische im Zelt. Für Publikum und Künstler gleichermaßen einer der entspanntesten Veranstaltungsorte. Und St. Severin, die evangelische Kirche in Keitum, ist einer der schönsten Orte der Besinnung auf der Insel. Ein hübscher alter Friedhof, eine engagierte Pastorin, Konzerte und Vorträge. Was will man mehr?

Olivier Kugler (Illustration)