Im Februar war ich mit meiner Freundin in Indonesien im Urlaub, es war eine schöne Reise, wir sind durch den Dschungel gewandert und haben in Bambushütten direkt am Strand geschlafen. Auch die Indonesier waren durchweg sympathisch. Viele wollten ein Foto mit uns machen. Ich habe versucht mitzuzählen, bin dann aber irgendwann durcheinandergekommen. Sechzig Bilder waren es mindestens, in zwanzig Tagen. Wir haben uns gefühlt wie eine Attraktion.
Normalerweise läuft die Sache ja andersherum: Der Urlauber hält die Kamera in der Hand, die Einheimischen sind das Objekt. Jeder, der schon mal durch Asien, Afrika oder Lateinamerika gereist ist, kennt die westlichen Touristen, die mit teuren Fotoapparaten durch traditionelle Dörfer spazieren wie Hobby-Ethnologen. Sei denken, je exotischer die Menschen im fremden Land wirken, desto besser das Bild. Dass in dieser Beziehung zwischen Fotograf und Fotografiertem ein unangenehmes Machtgefälle liegt, hat schon die Kulturkritikern Susan Sontag treffend beschrieben: Der Tourist sei oft ein »Voyeur«.
Ich bin nun weder ein besonders begabter, noch ein besonders motivierter Fotograf. Die Mehrzahl meiner Urlaubsbilder sind schnell geknipste Landschaftsaufnahmen – der Strand, der Hafen, die Straße zum Hafen – oder kitschiges Zeug wie Sonnenuntergänge.
In Indonesien habe ich aber auch eine Frau fotografiert, die auf einem Markt neben einem großen Haufen stacheliger Durian-Früchten sitzt, das sind die, die so faulig stinken. Ich weiß nicht, ob sie es gemocht hat, fotografiert zu werden. Sie hat gelächelt, aber das tun die Menschen in Asien ständig.
Auch wir haben für die Indonesier gelächelt, in den ersten Tagen zumindest. Eine typische Szene: Meine Freundin und ich sitzen auf Plastikhockern vor einer Garküche und warten auf unsere Hühnersuppe, schon kommen zwei junge Indonesier auf uns zu und fragen: »Foto? Foto?« Das Gleiche am Busbahnhof oder am Strand. Einmal sind zwanzig Jugendliche gleichzeitig auf uns zugerannt.
Die Fotosessions dauerten dann immer eine Weile, weil jeder ein eigenes Bild mit seiner Handykamera machen wollte. Mehr als neunzig Prozent der Indonesier besitzen mittlerweile ein Mobiltelefon, die Zahl ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen.
Das Wichtigste für die Indonesier war immer, dass sie mit uns gemeinsam auf den Fotos zu sehen sind. Erst dachte ich, dass sie so beweisen wollten, dass die Situation tatsächlich stattgefunden hat, wie ein Angler, der einen Karpfen in die Kamera hält. Doch dann habe ich von einer 21-jährigen Indonesierin gelesen, die den sogenannten Selfie-Stick erfunden hat. Das ist ein Metallstab mit einer Kralle an der Spitze, in die man sein Handy klemmen kann. Die Konstruktion funktioniert wie ein verlängerter Arm. Die Indonesier haben anscheinend einfach nur eine Schwäche für Gruppenbilder.
Wenn wir sie zum Abschied fragten, was sie mit den Fotos eigentlich wollten, antworteten die, die Englisch verstanden: »Facebook.« Auch da sind die Benutzerzahlen explodiert: Mehr als jeder vierte Indonesier ist bei dem sozialen Netzwerk angemeldet – 65 Millionen Menschen.
Nach eineinhalb Wochen und etwa vierzig Gruppenbildern sind wir größeren Menschenansammlungen dann aus dem Weg gegangen. Man fühlt sich irgendwann eben doch wie ein Affe im Zoo. Im vergangenen Jahr habe ich auf einer Reise in China einen jungen Holländer kennengelernt, dem es ähnlich ergangen ist. Auch die Chinesen lieben es, Ausländer zu fotografieren, und dieser Holländer war zwei Meter groß, strohblond und wog etwa 130 Kilogramm. Exotischer geht es für einen Chinesen wohl nicht. Der Holländer erzählte, dass er pro Tag mindestens vier Mal fotografiert werden würde. Er hatte bereits angefangen, Geld dafür zu nehmen. Zehn Yuan pro Foto, das ist etwa ein Euro. Die meisten Chinesen haben das bezahlt.
Am Ende war es für meine Freundin und mich ein heilsamer Perspektivwechsel: Wir haben nun beschlossen, auf der nächsten Asienreise nur noch diejenigen zu fotografieren, die vorher uns um ein Foto gebeten haben.