»Ich hasse Angebergärten«

Alain Baraton herrscht über ein riesiges Reich perfekter Winkel und blühender Pracht, aber eigentlich mag er die romantischen Ecken am liebsten. Ein Interview mit dem Chefgärtner von Versailles.

SZ-Magazin: Herr Baraton, Sie sind seit 32 Jahren Gärtner des Schlossgartens von Versailles. Genießen Sie immer noch die Aussicht?

Alain Baraton: Ich habe das Glück, dass ich auf der einen Seite das grandiose Schloss vor Augen habe, andererseits aber mit Blick auf Wiesen fast ländlich lebe.

Ländlich? Sie leben in dem Pavillon, den Molière unter Louis XIV. bewohnte.

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Versailles ist ein einfacher Ort! Direkt ums Schloss herum ist es natürlich weniger schlicht, aber ansonsten ist der Park ganz simpel angelegt, Blumen, Rosen, Büsche, Grünflächen – sehr gepflegt, aber schlicht.

Sie haben mal gesagt, Sie seien erst an dem Tag geboren, als Sie nach Versailles kamen, da waren Sie immerhin schon 19 Jahre alt.

So habe ich es empfunden. Ich komme aus einer Familie mit sieben Kindern; ich war weder der Älteste noch der Jüngste, so wie ich in der Schule weder der Beste noch der Schlechteste war – das heißt, ich war niemand, ich wurde nicht wahrgenommen.

Bis Sie Gärtner wurden. Was hat Sie zu diesem Beruf hingezogen?

Ein Gärtner gärtnert. Das ist, wie schon Voltaire sagte, der edelste Beruf der Welt.

In China gibt es ein Sprichwort: »›Das ist mein Garten‹, sagte der reiche Mann – und sein Gärtner lächelte.« Fühlen Sie ähnlich, ist Versailles eigentlich Ihr Park?

Ich weiß, dass ich ihn nicht besitze, aber ich fühle mich verantwortlich, als wären es meine Bäume.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Es heißt, Sie hätten geweint, als der große Sturm von 1999 den Park verwüstet und mehr als 18000 Bäume zerstört hat")

Es heißt, Sie hätten geweint, als der große Sturm von 1999 den Park verwüstet und mehr als 18000 Bäume zerstört hat.

Ganz Frankreich hat unter dem Sturm gelitten, aber den Park hat es am schlimmsten getroffen. Die Kameraleute sind nicht zufällig nach Versailles gekommen!

Sie kamen auch Ihretwegen.

Ich hatte Angst, dass es wie immer sein wird: Erst kommt das Schloss, erst werden die Dächer und Fenster repariert, bevor man den Garten restauriert. Angesichts der Zerstörung habe ich mir gedacht, das kann zwanzig oder sogar hundert Jahre dauern. Also habe ich mich schnell und lautstark zu Wort gemeldet.

Mit Erfolg. Es kamen so viele Spenden zusammen, dass Versailles komplett aufgeforstet werden konnte.

Wir haben sogar mehr Bäume gesetzt, als gefallen waren. Es fehlten nämlich vorher schon hier und da Exemplare in den Alleen. Insgesamt haben wir mehr als 40000 Bäume gepflanzt, zum Teil ausgewachsene, zum Teil Setzlinge.

Haben Sie die Lücken mit denselben Sorten gefüllt?

An manchen Stellen ja, an anderen nein. Wir haben Sorten variiert, damit sie dem Wind besser standhalten und um Krankheiten vorzubeugen, damit im Falle einer Seuche nicht alle Bäume gleichzeitig absterben.

Was macht für Sie einen schönen Garten aus?

Ein Garten ist schön, wenn man ihn mit Bedauern verlässt. Ein Garten darf nicht nur ein Ort der Ästhetik und des Grünen sein, er muss ein Ort der Freude und des Genusses sein, sonst ist er sinnlos.

Gilt das für Versailles, das ja doch ein Ort der Repräsentation war?

Ich denke schon. Hier können Kinder laufen lernen, alte Menschen sich ausruhen, Sportler Sport treiben, Verliebte sich verstecken.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Marie Antoinette hat das richtige Gefühl für Gärten gehabt")

War das eines Ihrer Ziele – den Garten wieder menschenfreundlicher zu gestalten?

Fast ein Jahrhundert lang, von 1900 bis 1990, haben die Gärtner ihren Verstand verloren! Sie wollten den Rasen ganz kurz und Beete mit Tausenden von Blumen der immer gleichen Sorte: Begonien, Verbenen, Salbei. So hat Versailles nach und nach seine Seele verloren. Ich habe Pflanzen wieder eingeführt, die es zu Marie Antoinettes Zeiten schon gab, Rosen, die noch duften, und andere altmodische Blumen. Und bei mir werden die Wiesen nur zweimal im Jahr gemäht. Ich habe versucht, den Geist, in dem Versailles erschaffen wurde, wieder herzustellen.

Welchen Gartenstil bevorzugen Sie?

Natürlich den romantischen. Am wohlsten fühle ich mich im Reich von Marie Antoinette mit dem Liebestempel, dem Kleinen Trianonschloss und dem Hameau (Dörfchen), einer kleinen Gruppe von Bauernhäusern, die sie anlegen ließ.

Warum?

Marie Antoinette hat das richtige Gefühl für Gärten gehabt, sie liebte die Natur. Es gibt ja alle Gartenstile in Versailles. Louis XIV. ließ einen strengen französischen Garten anlegen, typisch für einen Mann, der Macht und Reichtum demonstrieren will. Marie Antoinette dagegen sorgte für zusätzliche romantische Gärten. Auch die Einflüsse des englischen Landschaftsgartens sind überall im Park zu sehen.

Was macht einen Garten romantisch?

Ich finde, man muss die Jahreszeiten erleben, sehen, wie das erste Grün sprießt, wie die Bäume blühen, wie sich im Herbst das Laub verfärbt – das ist mir lieber als alle Formschnitte, ich will das Leben spüren! Mich wundert nicht, dass der französische Gartenstil nicht überlebt hat, er war rigide, düster und kalt – ein Angebergarten, ich hasse das. Der natürliche oder englische Garten ist das Gegenteil: Den legt man an, um sein Glück zu teilen, um seine Freunde einzuladen.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ein guter Tipp an Besucher von Versailles)

Ihr Rat an Besucher von Versailles?

Kommen Sie im Herbst, da sind die Farben am schönsten, auch die Blumenbeete, außerdem sind die wenigsten Besucher da. Gehen Sie da hin, wo keine Touristen sind. Also nicht den Wegweisern folgen! Der Park ist groß, 850 Hektar, da kann man einsame Orte finden, wenn man auf Entdeckungsreise geht.

Was macht ein Gärtner wie Sie im Winter?

Löcher.

Sonst nichts?

Löcher, um später Bäume einzusetzen. Er beschneidet Bäume, denen es nicht gut geht, bereitet Erde für die nächsten Beete vor, sät Sommerblumen, arbeitet in den Gewächshäusern. Vor allem aber sammelt er das letzte Laub von 43 Kilometern Alleen ein. Das heißt, er arbeitet viel, sehr viel.

Wo werden Sie leben, wenn Sie nicht mehr Chefgärtner von Versailles sind?

In meinem Haus auf Oléron (Insel vor der bretonischen Küste).

Werden Sie dort einen eigenen Garten anlegen?

Privat gärtnere ich nicht, ich habe genug getan. Ich werde schlafen.

Foto: ap