Uhrsache und Wirkung

Mit einer Smartwatch kann jeder Hobbysportler seine Laufschritte zählen. Das führt zu mehr Disziplin - und zu Ideen, die Geräte zu überlisten.

Als man zu Laufen noch Joggen sagte, war die Sache ziemlich einfach: Einmal zur Brücke und zurück waren so ungefähr, mindestens, vermutlich, tja, sieben Kilometer. Gar nicht mal so schlecht. Dann kamen Google Maps, die Fitnessarmbänder samt aggressiver Lauf-Apps auf dem Smartphone (»Das kannst du besser, Max!«) und schließlich Smartwatches, also kleine Computer fürs Handgelenk, die alles und jeden messen können. Aus Joggen wurde in dieser Zeit Laufen. Aus Laufen wurde eine Pflichtveranstaltung für alle über 18.

Und auf einmal sind es nicht mehr sieben Kilometer bis zur Brücke, sondern tatsächlich nur 3,9. Sagen die Geräte. Peinlich wenig. Die virtuellen Running-Pros sind damit echt nicht zufrieden. Die Geräte sind damit echt nicht zufrieden. Die anderen auf Facebook machen keinen Daumen hoch, wenn das Gerät selbstständig verkündet: »Max ist 3,9 Kilometer gelaufen.« Fehlt nur noch, dass das Armband von sich aus dazuschreibt: »Wie läppisch!« Und irgendwann wird auch die Krankenkasse nicht mehr zufrieden sein. In den USA sind die digitalen Messgeräte am Armgelenk für manche Versicherungen und Arbeitgeber schon zum Nachweis des guten Lebenswillens geworden. Nur wer sich anstrengt, wird belohnt. Der Chef bekommt am Monatsende die Kardiogramme und Aktivitätsprotokolle auf den Tisch und sieht so nebenbei auch, wie es bei den Mitarbeitern im Bett läuft.

Kein Wunder, dass im Netz bereits etliche Anleitungen kursieren, wie man die Quälgeister austrickst. Ziemlich geeignet, schreiben manche, sei das Pendel einer wirklich großen Standuhr. Wenn man daran ein Fitnessarmband befestigt, arbeitet die Zeit sozusagen für einen. Tick, tack, Schritt, Schritt. Allerdings, möchte man anmerken, wer eine große Standuhr mit Pendel im Wohnzimmer stehen hat, ist womöglich nicht von der modernen Fitnessoffensive betroffen. Andere Tricks sind schon näher an der Zielgruppe: Den Schrittzähler am Hundehalsband oder einem Akkuschrauber montiert, zwischen die Fahrradspeichen platziert oder auch nur beim Fernsehen mit der Hand in der richtigen Bewegung gezwirbelt? Läuft! Natürlich, jedes Kind weiß es, wer beim Training schummelt, betrügt sich selbst. Viel Spaß später, mit Herz-Kreislauf, Osteoporose, Diabetes und einer dicken Scheibe gefährlichen Bauchfetts. Aber sich deswegen heute von einem Armband Befehle erteilen und ein schlechtes Gewissen machen lassen? Eben. Unbarmherziger Computer gegen weichen Mensch - im Kino war man bei diesem Duell doch auch immer für den Menschen. Offenbar ist das aber anders geworden, denn die fitten Bänder wollen ja angeblich nur unser Bestes. Die wollen nur das Weiche wegmachen. Und wir bezahlen auch noch dafür.

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In der Frühphase der Fitness-Apps reichte es, so ein Ding mal kurz im Auto anzuschalten. Schon hagelte es digitale Glückwünsche und Rekordmeldungen, weil man gerade den Weltrekord über die 800-Meter-Distanz geknackt hatte. Klassischer Fall von Fake News. Aber so falsch das Lob des Gerätes war, es tat trotzdem ein bisschen gut. Der innere Schweinehund ist nämlich nicht nur faul, er lässt sich auch noch gern streicheln. Außerdem hatte man die Maschine veräppelt, ha!

Doch lange werden sich die Geräte das nicht mehr gefallen lassen, schon jetzt sind einige für das Schummeln mit Uhrpendel und anderen Hilfsmitteln zu schlau. Bald werden sie wohl alle am fehlenden Puls, an der Zellstruktur oder mit Kamera und Sensor erkennen, dass es nur ein Akkuschrauber sein kann, der gerade die 3,9 Kilometer zur Brücke galoppiert. Dann muss man zu besseren Tricks greifen: Dem wuseligen Kind so eine Uhr anziehen beispielsweise, so macht der tobende Nachwuchs Strecke, während die Eltern gemütlich auf der Spielplatzbank sitzen.

Doch ob so die geforderte Schrittmenge zusammenkommt? Eine aktuelle Studie mit schottischen Briefträgern lässt darauf schließen, dass man pro Tag nicht nur 10 000, sondern sogar lieber 15 000 Schritte machen sollte. Mehr als zehn Kilometer, jeden Tag! So viel geht ein durchschnittlicher Briefträger in Glasgow, um seine Arbeit ordentlich zu machen. Er wird dafür nicht nur mit zufriedenen Anwohnern belohnt, sondern auch mit verblüffend guter Gesundheit. Man braucht also durchaus kein Fitnessarmband, es genügt, Briefträger in Schottland zu werden. Oder eben eine wirklich große Standuhr zu kaufen.

Fotos: Stephanie Gonot