Schon Immanuel Kant tat sich nicht leicht mit ihm. Als der Philosoph bei einem Spaziergang im Königsberger »Dänhoff’schen Garten« bemerkte, wie zwei Gärtner einen Buchsbaum mit groben Scheren »in die Form eines Wichtels« zu bringen versuchten, notierte Kant, die rohe Szene habe »seine Bauchmuskeln zu einer antiperistaltischen (Brechreiz erzeugenden) Bewegung der Eingeweide gereizt«. Dem Schicksal des Buchsbaums galt fortan seine unruhige Sorge.
Sein Diener Lampe soll einmal angewiesen worden sein, ein beschnittenes Gewächs im Garten des Schlos-ses mit einem grauen Tuch zu bedecken, bis die Natur wieder zu einem »gütigen Ausgleich« gefunden hätte. Ob das Erfolg hatte, darf in Zweifel gezogen werden, schließlich fehlen bei keiner Beschreibung der Pflanze die bitteren Worte »schneidefreudig, doch schwachwüchsig«. Einschlägige Bücher nennen das südliche und westliche Europa als seine Hei-mat, doch man trifft ihn auch in Nordafrika, im Orient und etwas geduckt am Schwarzen Meer. Die Pflanzenfamilie der Buxazeen, die Buxaceae, schreibt das Botanikbuch, ist »von unsicherer systematischer Stellung«. Das hätte Immanuel Kant vermutlich nur klammheimlich gefallen.
Einer verlässlichen Theorie zufolge leitet sich die Herkunft des Wortes »Ausbüchsen« indirekt von der weltweiten Bewegung der Buchsbäume ab. Oder von der Verhinderung dieser Bewegung. Hier müssen jetzt einschlägige Begriffe wie etwa »Einfriedung«, »Wallhecken« und »Kübelpflanze« zur Sprache kommen. »Der Buchsbaum eignet sich hervorragend zur Einfriedung«, verbreitet das für mich zuständige Gartencenter, welches auch den Typus des »Pflanzenpartners« im Katalog führt.
Dabei war der Buchsbaum von seinem Schöpfer gedacht als ein Meister der Bewegung. Aus seinem Holz wurden die flinksten Pfeile geschnitzt, entstanden die anmutigsten Figuren unserer europäischen Bildhauer, die mitreißendsten musikalischen Instrumente. Ein Extrakt aus den Blättern und Früchten der Pflanze, im rechten Maß genossen, galt den Mönchen des Mittelalters als bewährtes Tonikum. Man schoss bisweilen über das Ziel hinaus, wie wir heute aus den Warnungen der Giftinformationszentralen wissen, die, als hätten sie Kant nur pathologisch interpretiert, von Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sprechen, wenn sie auf die schlimmen Folgen des Verzehrs jener »lederartigen« Blätter, Rinden oder Früchte aufmerksam machen. Schweinen, das ist verbürgt, bringt diese Diät den Tod, auch Hunde, Katzen und Nager sind gefährdet. Andererseits sind die Ausscheidungen gerade dieser Tiere des Buchsbaums böse Feinde; gut möglich, dass die Natur hier Konflikte austragen lässt, die sie selber angelegt hat.
Der Naturzustand, darauf haben Denker des größten Kalibers hingewiesen, ist ein bedrohlicher. Ständig lauert Gewalt, will der Stärkere über den Schwachen triumphieren. Dagegen hat der Mensch die Zivilisation erfunden, in unserem Fall das gestutzte Solitärgehölz, die Hecken in Knotenmustern, die geschnittene Kübelpflanze. Aus Buchsbäumen wurden grüne Pyramiden und Kugeln, Vogelnester (mit Vogel), stumme Frösche, unbewegliche, mithin sinnlose Schachfiguren und oft auch gefährliche Irrgärten, kurz: die bezwungene Natur.
Wird das gut gehen, und wenn ja, wie lange? Lässt sich der, wie er im Katalog beschrieben wird, »Hingucker im Firmengarten« tatsächlich auf Dauer domestizieren? Gärt es nicht irgendwann in den dreihörnigen, dreifächerigen, eiförmigen Kapseln, im schwarzen Samen des Buchsbaums? Gut möglich, dass die Körpersprache der seitenständigen Blütenköpfchen längst Warnungen ausgestoßen hat, die unsereiner schlicht nicht bemerkt. Denn auffällig ist es schon, wie sich diese Pflanze in den letzten Jahren von ihrem natürlichen Habitat, den Friedhöfen und Prunkgärten, davongeschlichen hat und immer häufiger in unseren Städten auftaucht. Vor Eingängen lauert, als käme gleich eine günstige Gelegenheit, ins Haus zu springen. Sich um die Terrassen von Wirtshäusern lagernd, um irgendwann den Gästen das Essen vom Teller zu wischen. Eng aneinandergedrängt, konspirativ. Und noch niemand, auch das sollte uns zu Denken geben, hat je einen Buchsbaum beim Schlafen überrascht.