Eine Brücke, die es noch gar nicht gibt, die sogenannte Waldschlößchenbrücke in Dresden, spaltete die Stadt und ihre Bewohner in zwei Teile: Die einen waren dafür, weil so eine Verbindung über das Elbtal endlich die Neustadt entlasten und den Verkehr entstauen würde. Die anderen dagegen, weil die 635 Meter lange »Monsterbrücke« das Flussufer-Panorama der Stadt zerschneiden und zerstören würde.
Es waren die Kritiker, die ganz Kulturdeutschland und die UNESCO auf ihrer Seite hatten: Die nämlich drohte der Stadt, den erst 2004 verliehenen Titel »Kulturerbe der Menschheit« wieder zu kassieren, wenn der optische Strich durchs Weichbild der Stadt Wirklichkeit würde. Die Dresdner entschieden sich dennoch für die Brücke. Lieber weniger im Stau stehen als Weltkulturerbe sein, mögen sie sich gedacht haben. Dass daraus vorerst nichts werden wird, hängt mit 650 Kleinen Hufeisennasen zusammen, höchst seltenen und bedrohten Fledermäusen, neun Gramm schwer, die den Eingriff nicht überleben würden. Erstaunlich, aber was die Drohung der UNESCO nicht vermocht hatte, schaffte vorerst die Fledermaus: Das Verwaltungsgericht Dresden folgte dem Eilantrag mehrerer Naturschutzverbände und stoppte die Bauvorbereitungen. Nun hätte der Seltenheitswert der Hufeisennasen allein sicher nicht gereicht, um ein so gigantisches Projekt gleich nach dem Start auszubremsen. Was also macht die Hufeisennase so gefährlich, so delikat? Sie genießt EU-Schutz. In der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-R) haben sich die EU-Staaten verpflichtet, europaweit vom Aussterben bedrohte Geschöpfe (fast) bedingungslos streng zu schützen. Missachtung kann teuer und peinlich werden. Ein anderes in Baubehörden gefürchtetes FFH-Tier ist neben Hirschkäfer, Wachtelkönig und Kammmolch der Feldhamster. Zwischen 1998 und 2005 gab es 24 Mal Hamsteralarm in Deutschland: kurzzeitig gestoppter Bau der A71 bei Erfurt; verzögerter Umgehungsstraßenbau bei Mainz; ein geplantes Ikea-Zentrallager in Seligenstadt wurde verlagert. Das Tierchen bekam Täterprofil. Braunschweig, dessen Baugebiet Lamme von dem Nager platzbesetzt war, entwi-ckelte sogar ein Hamsterschutzkonzept.
Nach Beobachtungen der Naturschützer waren es auffällig häufig FDP-Politiker, die das Tier zum Jobkiller hochstilisierten, obwohl bisher »kein Gewerbe- oder Neubaugebiet in Deutschland am Feldhamster gescheitert ist«, so Claus Mayr vom Naturschutzbund Deutschland. Aber vielleicht braucht eine kleine Partei immer mal wieder noch kleinere Gegner, um größer rauszukommen?
Die meisten Politiker und Bürger haben, wenn es um das hoch gehängte Ziel »Schutz der Artenvielfalt« geht, eine Vierbuchstaben-Antwort: Jein!
Ja! – Erhalt der Artenvielfalt ist wichtig … so allgemein, global, ähhh … irgendwie ethisch … und so.
Nein! – Tiere und Pflanzen dürfen bei uns nie und nimmer Bauvorhaben oder Arbeitsplätzen im Weg stehen. Bundesweit ist dieses »Jein« gut ritualisiert und in trockenen amtlichen Tüchern: Wenn wo was stört und auf der Roten Liste der aussterbenden Tiere und Pflanzen vertreten ist, sollen Ersatzbiotope die Lösung bringen. Das Prozedere kann zwar lästig sein – oft kommt es zu einer Planungsverzögerung – aber insgesamt klappt es prima. Aus der Sicht der Planer.
Nur manchmal darf die Natur ein bisschen mitsiegen: Als in den Neunzigerjahren beim Ausbau der ICE-Trasse Hamburg–Berlin das Überleben der hochbedrohten Großtrappen, einer Vogelart, fraglich schien, brachten Schutzwälle die Lösung: Bis heute gab es keine einzige Kollision zwischen dem schwersten flugfähigen Vogel Europas und dem schnellsten Zug Deutschlands.
Doch so glatt läuft es selten: Am Mühlenberger Loch in Hamburg zum Beispiel kam es zu einer harten Auseinandersetzung zwischen Naturschützern und denen, die schließlich die Airbus-Werkserweiterung in ein Süßwasser-Wattengebiet der Elbe durchsetzen konnten. Hier war unter anderem die Löffelente im Weg – 1000 Vögel fanden sich hier zur Zugzeit. Das umkämpfte Gebiet war schon 1992 als »Ramsar-Schutzgebiet« ausgewiesen worden und hatte damit den höchsten internationalen Schutzstatus, den ein Vogelschutzgebiet haben kann. Nicht hoch genug. Gerhard Schröder drängte den damaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi zur Ausnahmegenehmigung, die unter hohen Auflagen gewährt wurde. Besonders die Ente, so wurde verfügt, dürfe unter keinen Umständen den Löffel abgeben. Dem Opfertier bot man Ersatz an auf der Elbhalbinsel Hahnöfersand. Leider wollten die Enten auf Hahnöfersand nicht einsitzen »und die Hansestadt hat ein Vertragsverletzungsverfahren der EU an der Hacke«, sagt Manfred Braasch vom BUND/Hamburg. Freude kommt bei ihm deshalb nicht auf, denn einem fast ausgestorbenen Vogel und einem in Deutschland einmaligen Biotop nützen ein Verfahren und ein Bußgeld nicht wirklich.
Ob die Fledermaus Dresden vor irreversiblem Schaden retten kann? Wenn ja, sollte man doch eine kleine Fledermaus-Gedenkplatte im Eingangsbereich der Frauenkirche anbringen. Immerhin sind Fledermäuse Sendboten des Guten.
Foto: Tim Flach