»Ich habe Spargel, Birnen, Tomaten und Kartoffeln«

Er erfand das kleine Schwarze, dabei liebt er das große Grüne. Ein Gespräch mit dem Modeschöpfer Hubert de Givenchy über seine wahre Leidenschaft: französische Gärten.

SZ-Magazin: Monsieur de Givenchy, Sie teilen mit Modemachern wie Valentino oder Giorgio Armani das Hobby, Gärten zu kultivieren. Schneidern und Rosenschneiden – gehört das zusammen?
Hubert de Givenchy:
Aber ja. Wer in der Mode arbeitet, muss sich über Farben Gedanken machen oder über Formen. Vielleicht ist es gar nicht das Gärtnern selbst, sondern der Wunsch, sich mit Farbe und Schönheit zu umgeben.

Welcher Ihrer Gärten ist denn der schönste?
Es gibt ja nur noch den in Jonchet. Den Garten in Cap Ferrat, an der Cote d’Azur besitze ich nicht mehr. Ich habe ihn vor einigen Jahren verkauft, weil ich nur noch selten dort bin. Man kann die beiden aber nur schlecht vergleichen, schon wegen des Klimas, das im Norden ja ganz anders ist als am Mittelmeer. Außerdem ist der Garten in Jonchet untrennbar verknüpft mit der Architektur des Schlosses. Das ganze Anwesen wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen.
Es stammt aus der Zeit Henris IV., Anfang des 17. Jahrhunderts. Als es vor etwa 30 Jahren kaufte, war es in einem bedauernswerten Zustand. Mein Traum war es nicht nur, das Schloss wiederherzustellen, sondern auch die Parkanlagen drum herum. Nicht im Geist jener Zeit, aber, sagen wir, mit dem gleichen Gefühl.

Wie würden Sie dieses Gefühl beschreiben?
Ich mag es nicht, wenn etwas kompliziert ist. Das war schon in der Mode so. Niemand hat das besser verkörpert als Balenciaga, dessen Stil ich immer bewunderte, weil er bis zur Essenz, zur größtmöglichen Einfachheit vordrang. Nichts gegen englische Gärten, aber für mich sind sie ein Albtraum: zu viel Vielfalt. Ich brauche Ordnung, Strenge. Wie beim kleinen schwarzen Kleid: schöne Proportionen, klare Linien.

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Wie sind Sie bei der Restaurierung vorgegangen?
Eine große Inspiration war Italien. Der quadratische Aufbau, die geometrischen Buchsbaumeinfassungen – als Vorbild dafür diente San Giorgio Maggiore, ein Benediktinerkloster in Venedig. Die Einfachheit dieses Klostergartens passte perfekt zur schlichten Architektur des Schlosses. Mein Gemüsegarten mit den charakteristischen weißen Holzzäunen hingegen hat ein ganz anderes Vorbild, nämlich die Küchengärten von Thomas Jefferson in Virginia aus dem 18. Jahrhundert.

Ist das nicht ein Stilbruch?
Ein Garten aus dem 18. Jahrhundert schließt doch wunderbar an einen aus dem 17. Jahrhundert an!

Welche Gemüse bauen Sie dort an?
Ich habe Spargel, ich habe Birnen, Artischocken, diverse Salate, Tomaten und Kartoffeln und dazwischen immer wieder Blumen. Es gibt auch eine Orangerie, wo im Winter die Zitrusbäume eingelagert werden.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite:  Ich sehe meine Rolle eher wie ein Maler, der verschiedene Stile mischt.)

Was blüht denn zurzeit?
Jetzt war gerade Rosenzeit. Nicht zu vergessen Rittersporn, Aronstab und die gelben Steppenkerzen.

Es gibt ja auch eine pinkfarbene Givenchy-Rose …
Es gibt eine Givenchy-Rose in Kalifornien und eine in Frankreich. Und auch eine Givenchy-Tulpe.

Sind das Ihre Züchtungen?
Nein. Ich habe nur meinen Namen zur Verfügung gestellt. Für mich war das eine Ehre. Ich mag übrigens am liebsten weiße Rosen.

Gärtnern Sie auch selbst?
Nein. Meine Aufgaben haben sich immer nur auf das Design beschränkt. Ich sehe meine Rolle eher wie ein Maler, der verschiedene Stile mischt.

Wie viel Zeit verbringen Sie in Jonchet?
Fast jedes Wochenende. Und jetzt den gesamten Juli und August. Einer muss ja nach dem Rechten sehen, denn das ist die Zeit, in der alle Bediensteten und Gärtner im Urlaub sind.

Wie sieht so ein Wochenende dort aus für Sie?
Ich male, mache Collagen in meinem Atelier, ich schaue nach dem Haus. Manchmal gehe ich ins Dorf, kaufe mir Magazine oder widme mich meinen Büchern.

Ihr Anwesen ist sehr groß, gibt es dort auch Tiere?
Oh ja! Es gab zum Beispiel viele Schwäne. Doch sie zu halten erwies sich als schwierig. Immer wieder starben sie uns weg. Jetzt hab ich es aufgegeben. Ich glaube, der Fuchs hat sie geholt. Zurzeit habe ich Shetlandponys und Pferde, einige Araber, aber auch Hirsche und Wildschweine. Die Schweine wüten manchmal ganz schön. Dann müssen wir sie schießen.

Welche Jahreszeit ist Ihnen die liebste?
Besonders gern mag ich den Winter, wenn das Bassin und der Wassergraben rund ums Schloss zugefroren sind und die Sonne auf die zugeschneiten Anlagen scheint. Das ist ein Anblick von ewiger Schönheit.

Ein Wassergraben? Das ist ja wie im Ritterfilm...
Das Besondere an Jonchet ist, dass ich eine natürliche Wasserversorgung habe: Es gibt einen kleinen Fluß, der in einem kleinen Bassin mündet und einen Burggraben um das Schloss speist. Es ist ein schöner kleiner Fluss mit Forellen, deren Fleisch von ganz besonderer Güte ist, da sie sich von Flusskrebsen ernähren. Ihr Fleisch ähnelt ein wenig dem von Lachs.

War die Natur eine Inspiration für Ihre Mode?
Absolut! Denken Sie nur an meine Blumenprints, an die floralen Muster und Silhouetten. Ein Garten ist eine unendliche Quelle für Formen, Farben und Proportion.

Gab es in ihrem Elternhaus einen Garten?
Meine Patentante hatte einen riesigen Gemüsegarten nahe Beauvais im Norden Frankreichs. Natürlich musste ich damals auch mithelfen, da war sie sehr streng. Hol ein Paar Erdbeeren oder etwas Petersilie! Und ich durfte sie nie selber pflücken, dafür hatte Sie Bedienstete. Schon damals hat mich fasziniert, dass ein gut organisierter Garten jede Jahreszeit etwas Neues hervorbringt. Diese Nähe zur Natur hat mich geprägt.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Damals bedeutete Mode: Anmut, Eleganz, wundervolle Kleider. Nichts davon kann ich heute erkennen.)

Können Sie der zeitgenössischen Mode etwas abgewinnen?
Wissen Sie: Man muss seine Epoche akzeptieren. Ich hatte das Privileg, meinen Traumberuf auszuüben, und habe dabei mit so wundervollen Menschen wie Christian Dior, Cristóbal Balenciaga, Elsa Schiaparelli oder Audrey Hepburn arbeiten dürfen. Wahren Künstlern und großen Persönlichkeiten. Damals bedeutete Mode: Anmut, Eleganz, wundervolle Kleider. Nichts davon kann ich heute erkennen. Ich sehe nur Traurigkeit, Krieg und Armut. C’est la vie!

Wird die Haute Couture als Kunstform überleben?
Ich glaube nicht. Als Geschäft vielleicht, aber nicht als Kunst.

Was macht Sie so pessimistisch?
Die Kunden. Sie haben keine Zeit mehr für Anproben. Aber nicht nur das. Es gibt keine Richtung, keine Ikonen, an denen man sich orientieren kann. Heute macht jeder, was er will. Mode ist zu einer Industrie verkommen, in der es nur darum geht, immer mehr Taschen, Schuhe und Accessoires zu verkaufen. Und zwar schlechte Accessoires, denn es ist unmöglich, so viele Taschen und Schuhe jede Saison gut zu designen. Was also sollte mich daran interessieren?

Jetzt sind Sie ungerecht.
Die Magazine sind voll von Werbung, Sex und schlechten Kleidern. Das hat doch nichts mehr mit Kreativität zu tun oder Inspiration! Die Aufgabe eines Künstlers ist es doch, Schönheit zu kreieren. Darum sind Gärten so wichtig: um zu träumen und die Schönheit zu pflegen.

Sprechen wir ein wenig über die Schönheit von früher. 1953 lernten Sie Audrey Hepburn ihre langjährige Muse und Freundin kennen...
Ein Freund, der bei Paramount arbeitete, sagte damals nur: Miss Hepburn ist in Paris, sie möchte dich treffen, um mit dir die Kostüme für ihren Film „Sabrina“ zu besprechen.“ Ich dachte an Katherine Hepburn, die ich für ihren Stil sehr bewunderte. Doch dann ging die Tür auf und eine andere Hepburn kam herein. Ich muss sagen: Ich war ein wenig enttäuscht. Nach einem langen Gespräch und einem Abendessen hatte sie mich jedoch überredet. Es war der Beginn einer großen Liebe. Ich habe ihr viel zu verdanken, mit ihr kam der Erfolg. Alle wollten damals wie Audrey aussehen.

Sehen Sie heute irgendwo eine Audrey?
Nein. Als ich für Mister Arnault arbeitete, bat er mich, doch eine neue Audrey zu finden. Vergeblich. So was passiert nur einmal im Leben. Sehen Sie, ich hab ja auch Lauren Bacall, Marlene Dietrich oder Greta Garbo eingekleidet. Aber mit Audrey verband mich eine innige lebenslange Freundschaft. Wenn sie sagte: Ich brauch Dich hier, stieg ich in den nächsten Flieger. Ich war sogar bei der Geburt ihres Sohnes Sean dabei. Die Zeit mit ihr zählt zu den glücklichsten meines Lebens. Ein wunderbares Souvenir.

Vor kurzem ist Yves Saint Laurent gestorben. Wie wird er Ihnen in Erinnerung bleiben?
Wir kannten uns sehr lange. Vor vielen Jahren schrieb das Secretariat de la Laine (Wollsekretariat) einen Wettbewerb aus. Eine große Sache in Paris. Es gab über 1000 Einsendungen. Ich saß mit Christian Dior und Jacques Fath in der Jury. Zwei haben gewonnen: ein gewisser Yves Mathieu Saint Laurent und Karl Lagerfeld. Ich habe ihm damals den Preis überreicht: ein Scheck und eine Nähmaschine. Danach fing er bei Christian Dior als Praktikant an.

Hatten Sie zuletzt noch Kontakt zu ihm?
Gelegentlich haben wir uns Briefe geschrieben oder hatten das Vergnügen, uns über den Weg zu laufen. Natürlich hab ich ihn bewundert. Er war ein wunderbarer Mann, sehr scheu. Es tut sehr weh, einen wie ihn zu verlieren. Er war so unglaublich talentiert, und sah doch nie wie ein glücklicher Mann aus. In seinem letzten Brief fragte er mich: Wo ist die Mode, was ist passiert mit unserer Kunst? Wenn Sie sich die Kleider von Saint Laurent ansehen, wie stilvoll und exquisit sie gefertigt sind, die Stoffe, die Details – es bringt Sie zum Weinen, so schön ist das. Und jetzt: Wo ist Schönheit?

Hubert de Givenchy wurde 1927 in Beauvais geboren. Der Couturier und Modemacher kleidete Audrey Hepburn und Marlene Dietrich ein und gilt als Erfinder des kleinen Schwarzen. 1995 verabschiedete er sich vom Geschäft. Heute lebt er zurückgezogen in Paris und auf Jonchet, seinem Renaissanceschloss.

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Fotos: dpa und Robert Voit