»Ich bin ja letzten Monat 100 Jahre alt geworden«, witzelt Cher auf der Bühne des Greek Theatre in Los Angeles, »Okay, ich bin 70 geworden, aber das ist die gleiche Scheisse. Ich habe 11 Präsidenten erlebt, und als ich ein junges Mädchen war, wusste ich gar nicht, dass eine Frau überhaupt Präsident werden kann.«
Hillary Clinton und Cher sind seit 16 Jahren befreundet. »Ich kenne sie seit langem und egal, woher der politische Wind weht, ihr moralischer Kompass ist immer auf Würde, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit ausgerichtet«, wirbt Cher, die für Trump nur Flüche übrig hat. »Wenn ich Trump sprechen höre, möchte ich mir das Hirn wegblasen.« Als sich die zwei Cs hinter der Bühne treffen, breitet Clinton die Arme aus und ruft: »Meine Oscar-Gewinnerin!« Die andere, Cher, erwidert die Umarmung und ruft, genauso theatralisch: »Meine Präsidentin!«
Ein Love Fest. Chers Auftritt ist ein Überraschungs-Coup beim Fundraiser »She's For Us« im Open-Air Greek Theatre in Los Angeles. Minuten vor dem Konzertbeginn läuft über den Ticker der Associated Press, Clinton habe nun genügend Delegierte für ihre Nominierung als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. Die Nachricht sorgt für Jubelausbrüche im völlig ausverkauften Greek, und als Clinton auf die Bühne tritt, wird sie nicht als Präsidentschaftskandidatin angekündigt, sondern von Fernseh-Produzentin Shonda Rhimes in vorauseilendem Gehorsam bereits als »die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten« und als »Badass«. Ein historischer Moment ist es auf jeden Fall, wie von Schauspielerin Eva Longoria bis Basketball-Legende Magic Johnson alle ständig betonen: Schließlich ist zum ersten Mal eine Frau Präsidentschaftskandidatin einer Regierungspartei.
In Amerika ist ja alles gefühlt hundert Mal größer, länger, wichtiger, vor allem der Wahlkampf, der bisher vor allem ein Wahlkampf der Unterlative ist: unterirdischer, teurer und verrückter als alle zuvor. Der Zweikampf Clinton-Trump aber lässt Hollywoods A-Liga zur Hochform auflaufen. Meryl Streep hat sich gerade am Broadway mit einigen Litern orangefarbener Tunke und einem Toupet in eine täuschend echte und brüllend komische Trump-Parodie verwandelt, und in Los Angeles mobilisiert die Furcht vor dem hassspeienden Immobilien-Mogul das Kreativ-Potenzial der ersten Garde. Wenn alle Polit-Veranstaltungen so rhythmisch wären, könnte meinetwegen das ganze Jahr Wahlkampf sein.
Komiker Jamie Foxx feuert die Menge mit »Hil-la-ry«-Sprechchören an, Latin Pop Star Ricky Martin setzt seinen Hüftschwung im Open Air Theater ein, um »Drop it on Me« in »Drop it for Hillary« umzuwandeln, bis 6000 Menschen Salsa tanzen. LAs adretter Bürgermeister Eric Garcetti zeigt, dass er auch für eine Zweitkarriere als Latino-Tänzer geeignet wäre, und Christina Aguilera heizt trotz Erkältung mit ihrem »Fighter«-Hit ein, natürlich dem Star des Abends gewidmet: »Hillary, du bist die ultimative Fighterin«.
Die ultimative Fighterin, heiser vom Wahlkampf-Marathon, sagt das Übliche: »Genug mit der Wut. Genug mit der Bigotterie. Genug mit der Angst. Genug mit dem Bully-Gehabe. Jeder weiß, dass Donald Trump nicht dazu qualifiziert ist, Präsident zu werden. Lasst uns sicherstellen, dass als nächstes wieder ein Demokrat ins Weisse Haus einzieht.«
Dabei hilft, dass der zehnfache Grammy-Gewinner John Legend die Menge nicht nur mit seinen Nummer-Eins-Hits »All of Me«, »Glory« und »Ordinary People« von den Sitzen reisst, sondern auch eine stimmige politische Rede darüber hält, dass der sogenannte Krieg gegen Drogen in Wahrheit zu einem Krieg gegen die Armen wurde und dass Amerika die Massen-Inhaftierung von Schwarzen abschaffen muss - all das, während er gleichzeitig ganz fantastisch Klavier spielt. Seine Frau, Model Chrissy Teigen, macht sich darüber lustig, dass ausgerechnet ein »Kollege«, ein Reality TV-Star, es bis zum Präsidentschaftskandidaten geschafft hat, wo doch die Republikaner die Auswahl zwischen mehreren Gouverneuren und Senatoren gehabt hätten: »Wenn es wie ein Rassist geht, spricht und twittert, dann ist es auch ein Rassist.«
Es ist längst dunkel, als Stevie Wonder den Abend mit »Superstition« beendet und dem Refrain »Hillary Clinton, die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten«, bis das ganze Theater mitsingt. »Dies ist ein Kampf, ein spiritueller Kampf«, beschwört Wonder. »Wir dürfen Hass in Amerika nicht zulassen. Dies ist ein Amerika aller Menschen, aller Kulturen, aller Ethnien. Ich bete dafür, dass wir das begreifen und uns nicht verlieren.«
Es tut gut, endlich einmal eine Wahlkampf-Veranstaltung der Superlative zu sehen, die so dynamisch und mitreißend ist, dass sie einen Grammy wert wäre. Man stelle sich zum Vergleich nur vor, Merkel würde mit Bushido rappen oder Gabriel mit Rammstein rocken. Wahlkampf ist ohnehin großes Theater, aber selten war er größer als an diesem Abend.
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