Wer sich schwer damit tut, für 0,25 Liter Milchkaffee und einen zwei Finger breiten Zitronenkuchen 7,10 Euro auszugeben, was bis vor Kurzem 14 Mark waren, der wird der sogenannten Nespresso Bar Boutique nahe der Münchner Oper wenig abgewinnen. Wohl auch nicht dem Untergeschoss der Bar, wo zwei junge Männer in dunklen Anzügen kleine bunte Aluminiumkapseln verkaufen, gefüllt mit fünf Gramm Kaffee. Eine Kapsel kostet 33 Cent. Sie reicht genau für eine Tasse Espresso. Für ein halbes Pfund Espresso, das im Supermarkt für drei Euro gehandelt wird, zahlt man bei Nespresso also 16,50 Euro. Typisch München, der Laden?
Ausnahmsweise nicht. Die »Boutique« in der Residenzstraße war zwar die erste ihrer Art, aber seit der Eröffnung im April 2004 hat Nespresso ein Netz von weltweit 120 Filialen errichtet. Drei von vier Kapseln vertreibt die Tochterfirma des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns Nestlé jedoch über Internet und Telefon. Voriges Jahr waren es 2,3 Milliarden Stück, nebenbei verkaufte Nespresso 1,4 Millionen Espressomaschinen. Seit der Millenniumswende wuchs der Umsatz von Nespresso jedes Jahr um 30 Prozent, 2006 sogar um mehr als 40 Prozent auf 705 Millionen Euro. Branchenkenner schätzen, dass fast die Hälfte des Verkaufspreises einer Nespresso-Kapsel als Gewinn in den Kassen des Unternehmens verbleibt. Lang war Nespresso keine Erfolgsstory, sondern ein Zuschussbetrieb. Genauer gesagt: 20 Jahre. Schon 1976 hatten Nestlé-Ingenieure die entsprechende Maschine entwickelt. Sie wollten den Makel der damals gängigen Geräte überwinden, die ein Gebräu mal dünn wie Spülwasser, mal dickflüssig wie Schmieröl produzierten. Mit der Nestlé-Maschine sollte jedem noch so unbegabten Benutzer ein Espresso gelingen, der aussah und schmeckte wie beim Italiener: Man dockte eine Kapsel mit Kaffeepulver an das Gerät an, ein Knopfdruck, schon floss der Espresso. Die Nestlé-Manager, die bis dato nur löslichen Nescafé an die Supermärkte vertrieben hatten, wussten jedoch mit dem teuren Kapselsystem wenig anzufangen. Erst versuchten sie, es in Spitzenrestaurants zu platzieren, dann steuerten sie die Büroetagen an, wo bekanntlich am meisten Kaffee getrunken wird – ohne Erfolg.
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1988 wurde der Marketingfachmann Jean-Paul Gaillard Chef des Unternehmens. Er entschied, Nespresso als Luxusmarke für den Hausgebrauch zu etablieren. Das Zielpublikum: gebildete, junge Besserverdiener. Würden sie auf das teure System anspringen? Um das zu klären, errichtete Nespresso in fünf gehobenen Schweizer Kaufhäusern Verkaufsstände. Hundert Maschinen wollte Nespresso im ersten Testlauf unters Volk bringen. Es wurden nicht mal fünfzig. Wieder einmal stand Nespresso vor dem Aus.
Doch Gaillard, der Marketingfachmann, glaubte an das Produkt. Nicht jedoch an seinen Vertrieb über den normalen Handel, er suchte den direkten Draht zum Kunden: Nespresso sollte mehr bieten als nur Kaffeemaschinen und gutes Espressopulver, Komfort natürlich und ein bestimmtes Lebensgefühl. So entstand der Nespresso Club. Jeder Käufer einer Nespresso-Maschine wurde automatisch Mitglied. Die Vorteile: kostenloser Kundendienst, bei Ausfall der eigenen Maschine sofortiger Ersatz, Lieferung neuer Nespresso-Kapseln innerhalb von zwei Werktagen – weltweit.
1990 zählte der Club 2700 Mitglieder, 1997 bereits 220 000. Nespresso baute bei der Expansion seiner Kaffee-Sekte vor allem auf Mundpropaganda und gezieltes Marketing statt auf großflächige Werbung: Der teure Kaffee wurde etwa in der ersten Klasse der Fluglinien SwissAir oder British Airways serviert. Zu dieser Zeit, erzählt Kamran Kashani, Marketingprofessor am Internationalen Institut für Management in Lausanne, »reichte man in vornehmen Haushalten seinen Gästen Nespresso wie einen teuren Wein«.
Noch heute versieht das Unternehmen seine zwölf verschiedenen Kaffeesorten mit dem Etikett »Grand Cru«. Das heißt »großes Gewächs«, der Begriff stammt aus der Winzerei und unterscheidet den edlen Tropfen vom gewöhnlichen Fusel. Der Club der Kaffee-Connaisseure ist mittlerweile weit weniger exklusiv: Er zählt 3,4 Millionen Mitglieder. Nespresso sei heute »Luxus für viele«, habe den Übergang vom Nischen- zum Massenprodukt aber gut gemeistert, lobt der Marketingexperte Kashani.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Welche überraschende TV-Sendung das ideale Werbeumfeld für Nespresso bietet.)
George Clooney wurde als Werbebotschafter engagiert. Ein Fünftel des Kaffees stammt bereits aus ökologischem Anbau. So verschafft Nespresso seiner Klientel ein gutes Gefühl, rechtfertigt die Mondpreise und vermag den Genuss seines Kaffees weiter als exklusives Erlebnis zu verkaufen. Zweifellos hat das Unternehmen vom Trend zum Single- respektive Ein-Tassen-Haushalt profitiert und die Vorliebe moderner Konsumenten für Convenience, wie es in Fachkreisen heißt. Diese Vorliebe bedeutet, dass heute viele Menschen einfach zu faul sind, ihren Espresso mit einer herkömmlichen Maschine zu brauen.
Seit ein paar Jahren schleudern auch die anderen Firmen Ein-Tassen-Systeme auf den Markt. Selbst Nestlé macht Nespresso Konkurrenz. Weil die Luxusmarke im normalen Handel nicht vertreten ist, vertreibt der Schweizer Konzern nun »Nescafé Dolce Gusto. »Ein Café für Genießer, die mehr wollen«, verspricht die Webseite, hergestellt aus Bohnen, die aus den besten Anbaugebieten der Welt stammten. Ein Grand Cru, würde man bei Nespresso sagen.
Nur den Nespresso Club hat noch niemand imitiert. Und doch ist er in Gefahr: Je schneller er wächst, desto eher wird sich die auf Exklusivität bedachte Klientel naserümpfend abwenden – ein Dilemma, das jedes Luxusunternehmen kennt. Erste Verfallserscheinungen zeigen sich bereits: Vor zwei Jahren untersuchte eine Agentur in Deutschland die Frage, welche Fernsehsendungen für welche Kaffeesorten das ideale Werbeumfeld darstellten. Das Ergebnis für Nespresso? Kommissar Rex und Der Bulle von Tölz.