Eine griechische Erklärung

Immer wenn während einer Kneipenrunde das Thema Analverkehr angeschnitten wird, gibt es einen unter den Anwesenden, der dämlich vergnügt auf mich schielt: „Da müsstest du doch Bescheid wissen, du bist doch Grieche!“ Zum Verständnis: Um das Wort anal zu vermeiden, nennen viele diese Sexpraktik griechisch, so wie sie zur Fellatio französisch sagen. Sexualwissenschaftler führen diese Bezeichnung auf die Athener Antike zurück, in der die sogenannte Knabenliebe gesellschaftlich akzeptiert war. Zum Beispiel schreibe Platon über den schönen Jüngling Alkibiades, der vergeblich versucht, den alten und hässlichen Sokrates zu verführen.

Wer sich aber näher mit Antike und Knabenliebe beschäftigen will, sollte die Gedichte von Straton aus Sardes lesen, empfiehlt eine Wissenschaftlerin aus Köln, die hier nicht namentlich erwähnt werden will. Straton lebte im 2. Jahrhundert n. Chr. und schrieb etwa hundert Epigramme zu diesem Thema, die sich „durch ihre formale Gewandtheit und eine erregende Ausdrucksweise“ auszeichneten. Weil Analverkehr aber lange als Tabu behandelt wurde, ist Straton fast zwei Jahrtausende ignoriert worden. Die erste komplette Übersetzung auf Englisch erschien im Jahr 2001.

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Heute ist griechischer Sex kein Tabu mehr. Eine Studie aus den USA hat erst neulich ergeben, dass jeder Dritte Analsex pflegt. Jeder Dritte! Also: Kurt Beck, Oskar Lafontaine oder Angela Merkel – einer von den dreien mag’s griechisch. Aber das ist reine Spekulation. Eigentlich ist der Erfolg des griechischen Sexexports wenig verwunderlich, schließlich hat der menschliche Körper – anatomisch betrachtet – nicht nur eine Öffnung, die die Penetration eines durchschnittlich großen Gliedes erlaubt. Und eine dieser Öffnungen ist nun mal der Anus.

Man stelle sich nur einmal vor, das Ohr hätte einen Schließmuskel. Wie würde man eine derartige Sexualpraktik wohl nennen? Im Altgriechischen heißt Ohr otós und Otoverkehr klingt – zumindest für mich – ein bisschen nach einem deutschen Vornamen.

Weiterführende Literatur:
Daryl Hine (transl.): "Puerilities — Erotic Epigrams of The Greek Anthology" (Lockert Library of Poetry in Translation).
Kenneth J. Dover: "Homosexualität in der griechischen Antike" (C.H.Beck Verlag)