»Ich bin ein Rote-Bete-Freak«

Und genau deshalb ist der Berliner Michael Hoffmann der führende Koch der neuen Gemüseküche. Ein Gespräch, bei dem es ums Eingemachte geht.

SZ-Magazin: Herr Hoffmann, Sie nennen sich Koch und Gärtner.
Michael Hoffmann: Das steht in meiner E-Mail-Signatur, aber ich werde den Zusatz demnächst auch auf die Visitenkarte schreiben.

Weil Sie mit dem neuen Trend in der gehobenen Gastronomie gehen wollen und Gemüseküche anbieten?
Das ist kein Marketing-Gag, ich habe oft Erde unter den Fingernägeln. Aber die Gemüseküche ist wirklich ein Riesentrend, bei dem es nicht nur darum geht, sich vermehrt von Gemüse zu ernähren: Es geht inzwischen auch um die Ethik des Essens.

Gemüseküche heißt: politisch korrekt kochen?
Gemüseküche bedeutet für mich zunächst einmal: Ich habe seit eineinhalb Jahren neben einem Menü mit Fisch und Fleisch auch immer ein Gemüsemenü auf der Karte. Aber natürlich ist die Gemüseküche eine nachhaltige Küche, die ehrliche Werte aufleben lässt. Viele meiner Kollegen und ich, wir wollen uns wieder über den ersten Spargel und die ersten Erdbeeren freuen. Ich ziehe das in meinem Restaurant durch, Köche von großen Hotelrestaurants können das nicht so ohne Weiteres. Da führt am Beerenteller auch im Dezember kein Weg vorbei.

Sie kochen jeden Tag ein fünfgängiges Gemüsemenü?

Acht Gänge!

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Zum Beispiel?
Heute gibt es ein Selleriegericht, in Meersalz gegart, mit Sellerie-Gnocchi und Selleriecreme, Stangensellerie und Mandelöl. Emulsion von Sellerie, marinierter, roher Sellerie und kandierte Zitrone. Das Menü läuft sehr unterschiedlich. Am Wochenende sehr gut, ein Drittel Gemüsemenü, Tendenz steigend, da geht der Kulturreisende in Berlin gezielt zum Gemüse-Hoffmann. Es gab Tage, da habe ich gedacht: Wie kriege ich meinen Fisch und mein Fleisch weg? Wir haben auch schon mal einen Abend gehabt, da haben alle vegetarisch gegessen.

Ihr Restaurant »Margaux« wurde gerade wieder mit einem Stern ausgezeichnet, es liegt in bester Lage am Brandenburger Tor. Kommen auch Politiker zum Gemüse-Hoffmann?
Politiker, Prominente, zur Berlinale die ganze Filmszene. Aber ich rufe bei keiner Zeitung an, das ist vielleicht das Konzept vom »Borchardt«. Dort gehen die Leute auch hin zum Sehen und Gesehenwerden. Hierher kommen sie, um einen gepflegten Abend zu verbringen.

Einen gemütlichen, vegetarischen Abend, das geht?

Natürlich. Aber ich vermeide den Ausdruck vegetarisch, der ist negativ besetzt. In der Gemüseküche geht es weniger um Ideologie oder Dogmen. Ich esse zum Beispiel nur dreimal die Woche Gemüse und merke: Das tut mir gut. Ich arbeite viel, ich schlafe wenig, ich rauche. Mit mehr Gemüse fühle ich mich fit. Aber manchmal denke ich mir: och, jetzt eine Bratwurst! Es muss alles irgendwie verhältnismäßig sein.

Gemüse-Hoffmann isst Bratwurst?

Wer macht das denn nicht? Aber ich esse nichts, von dem ich nicht weiß, wo es herkommt. Kein Batteriehuhn, dann lieber Käsebrot. Ich finde, wir Spitzenköche sollten Verantwortung übernehmen. Ich habe keinen Tunfisch mehr auf der Karte, obwohl ich den gern esse, er soll ja supergesund sein. Auf Fische, die Laichzeit haben, oder Stopfleber verzichte ich ebenfalls. Ich weiß natürlich, dass ich durch mein Verhalten nicht die Welt verändere, aber ich kann doch nicht im Garten rumwühlen, mein Gemüse selbst anbauen und weiter kochen wie bisher.

Was ist so neu am neuen Trend?
Fisch und Fleisch werden in Zukunft zur Beilage werden. Selbst beim Fleischmenü habe ich bei den acht Gängen immer ein vegetarisches Gericht dabei. Und dann gibt es Makrele, Seeigel, Lachsforelle, Ente, und auch jedes dieser Gerichte ist gemüselastig. Meine Küchenmannschaft und ich haben uns auf Gemüse spezialisiert, das ist eine Riesenherausforderung. Nicht nur der Anbau. Mit Gemüse etwas kulinarisch Hochwertiges zu schaffen ist viel schwieriger, als ein neues Fisch- oder Fleischgericht zu kreieren.

Warum?
Man muss Geschmack und Kraft hineinbekommen. Zum Beispiel mit Gemüsefonds aus geröstetem Gemüse, riesenaufwendig. Und dann braucht so ein Menü einen Aufbau. Acht Gänge Gemüse – das ist nicht einfach. Ein Verbot habe ich mir selbst auferlegt: Kein Risotto, keine Pasta im Restaurant, das wäre mir zu einfach.

Wie funktioniert Gemüseküche im Winter?
Wir kochen jedes Jahr zwischen 3000 bis 5000 Gläser ein. Aber ich muss im Winter dazukaufen. Nur mit Kohl und Hülsenfrüchten könnte ich nicht arbeiten.

5000 Gläser – um Himmels willen, wie groß ist denn Ihr Garten?
2000 Quadratmeter, 60 Kilometer vor Berlin. Ich habe schon einige Zeit verstärkt Gemüse gekocht und kannte glücklicherweise einen Gärtnerfreak, Peter, der mich mit alten, vergessenen Sorten beliefert hat, die ich vorher noch nie gesehen hatte: Hörnchenkürbis, Haferwurzel, Neuseelandspinat. Als Peter irgendwann keinen Nachfolger fand, habe ich gesagt: Dann muss ich das wohl machen, natürlich mit Helfern. Seit einem Jahr verbringen meine Frau und ich die Sonntage im Garten hinter Potsdam, dreimal die Woche hole ich das Gemüse. Im Sommer kochen wir schon achtzig Prozent aus eigener Produktion.

Hat sich Ihre Küche durch den eigenen Gemüseanbau verändert?

Ja, durch die Arbeit im Garten entstehen unglaublich viele Zufallsprodukte: Wir haben Römischen Salat hochwachsen lassen, den wir als Dekoration statt Blumen ins Restaurant gestellt haben. Oder merkwürdige Schoten, die wir probieren und einmachen. Bei Axel aus Teltow, der mit den berühmten Teltower Rübchen, entdeckte ich vor drei Jahren Roten Grünkohl, hab ich alles aufgekauft, aber im Jahr darauf hat er den nicht mehr angebaut. Jetzt habe ich so was selber im Garten.

Ist es spannender, mit Gemüse zu kochen?

Es gibt kaum Literatur darüber. Was kannst du alles aus Sellerie machen? Oder wie kann man den Knollensellerie sous-vide, im Vakuum, bei welcher Temperatur garen? Mit Kalbfleisch macht man das seit fünfzig Jahren, mit Gemüse nicht. Mussten wir selbst testen.

Und? Mit welchem Ergebnis?

Sensationell! Meine Lieblingsmethode bei Gemüse ist das Garen in Salz. So wie beim Fisch.

Im Salzmantel?
Ja, wir garen Rote Bete in Salz, Sellerie, Fenchel, Kartoffel. Wir nehmen Meersalz, Bete rein, Salz drüber, in den Ofen. Und da bleibt sie, je nach Größe, zwei Stunden. Bei 200 Grad. Dann kann man den Deckel kappen und die Bete rauslöffeln wie beim Ei. Der pure Geschmack des Gemüses, das ist mein Liebstes! Dann eben die Sache mit dem Vakuum – da wird 16 Stunden lang so eine Sellerieknolle im Vakuum bei 80 Grad gegart. Da müssen wir mit der Temperatur höher gehen als bei Fleisch.

»Ich mach auch was aus Moos.«


Warum so lang? Haben wir nicht eben erst gelernt, Gemüse ganz kurz zu garen?

Die Knolle behält beim langen Garen im Vakuum-Verfahren ihren Geschmack dennoch besser, sie sieht auch viel schöner aus: ganz glasig. Oder wir nehmen die Uraltmethode: Das Grün vom Sellerie zupfen wir ab, trocknen und vakuumieren es in Weckgläsern, wir saugen die Luft raus. Mit diesen sechzig Gläsern, die Sie da hinten stehen sehen, arbeiten wir den Winter über, ohne zusätzlich Sellerie einzukaufen. Aus den Stielen vom Sellerie machen wir einen Selleriesud, ohne Fett, ohne Öl, gießen den in ein Weckglas, legen kleine Sellerieknollen hinein, die können Sie essen wie einen Apfel, eine Sensation, allein schon vom Aroma! Für ein neues Gemüsegericht muss ich mir richtig einen Kopp machen! Das ist viel schwieriger, als eine tolle Forelle schön zu braten.

Schauen Sie sich auch etwas bei Kollegen ab?
In der Spitzengastronomie wurde Gemüse lange stiefmütterlich behandelt. Aber natürlich spioniere ich, wo immer möglich: Alain Passard vom »L’ Arpège« in Paris hat ja schon vor Langem alles rote Fleisch von seiner Karte verbannt und sieben Gärtner in der Bretagne beschäftigt – der war für mich immer der Gemüse-Guru.

Sie kochen noch rotes Fleisch?
Ja. Von Passard fand ich das richtig mutig, Mensch, Meier! Im März war ich mit meiner Frau im »Noma« in Kopenhagen.

Das soll ja das führende Lokal der Gemüseküche sein.
Sensationell, 13 Gänge, alles ganz leicht, nur skandinavische Produkte. Ich habe da Dinge gegessen, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Danach habe ich mir vorgenommen, mehr zu experimentieren. Jetzt gucke ich auch mal im Wald, was da alles wächst. Zuletzt habe ich versucht, aus Moos etwas zu machen.

Sie sind schon etwas verrückt!
Keine Sorge, Moos steht noch nicht auf der Karte. Aber ich werde damit weiterexperimentieren und bin mir eigentlich auch sicher, dass sich daraus etwas Leckeres machen lässt. Nächstes Jahr werde ich das noch mal aufgreifen.

Was stellen Sie bei den Experimenten mit Moos an?
Man riecht am frischen Moos – das ist doch schon mal toll, oder?

Nicht alles, was gut riecht, kann man auch essen
.
Erst mal habe ich das Moos abgeschnitten, die Erde davon abgewaschen und es getrocknet. Den grünen Flaum oben habe ich abgerieben und damit ein Gericht gewürzt. Außerdem haben wir einen Extrakt aus dem Moos eingekocht und Wurzeln eingelegt. Haben wir stehengelassen. Mal sehen, was passiert. Wird es trüb? Wird es schleimig?

Welche Gemüseexperimente haben es auf die Karte geschafft?
Beim Ausbuddeln von Mangold habe ich mir mal die Wurzeln näher angeschaut und gedacht: Die müsste man doch essen können. Hab ich gemacht, war super! Jetzt haben wir ein Gericht auf der Karte: Süßkartoffeln mit gedünsteten Gartenwurzeln: vom Lauch, Fenchel, Mangold, mit Teltower Rübchen; die Nebentriebe werden abgeschnitten und knackig in Rapsöl gedünstet. Darauf kommt ein klassisches Süßkartoffelpüree, da stecken wir die Wurzeln rein. Oben drauf eine Sauce aus Karottensaft – ganz leicht gebunden, mit einer neuen Technik, die wir Ferran Adrià zu verdanken haben. Dazu rohe Karottenwürfel, frisch geschnittener Koriander aus dem Garten, fertig. Schmeckt den Leuten wunderbar, die Teller kommen immer leer zurück.

Gemüseküche haben Sie sich also selbst beigebracht.
Nicht ganz. Ich war sehr lange bei Eckart Witzigmann. Der ist für mich immer noch einer der größten Köche, weil er jemand ist, der ein unglaubliches Feeling für das Produkt hat und mit viel Herz kocht.

Hat er auch das Feeling für Gemüse?
Das war ihm immer wichtig. Wehe, mit dem Gemüse war etwas nicht in Ordnung, da konnte er böse werden. Die Zubereitungsart war immer einfach: Fingermöhrchen, schön glasiert, ein bisschen Spinat, angedünstet mit brauner Butter, Artischocken, schön langsam gebraten. Auf die Gabel eine Knoblauchzehe stecken und damit rühren, um ein leichtes Knoblaucharoma reinzubekommen.

Gab es in Witzigmanns legendärem Restaurant »Aubergine« ein vegetarisches Gericht?

Nee. Das war auch eine andere Zeit. Man darf nie am Gast vorbei kochen. Ich bin schon glücklich, dass es heute mit einem Gemüsemenü so gut funktioniert. Aber wenn wir ein reines Gemüserestaurant wären, würde der Umsatz einbrechen. Ich möchte zufriedene Gäste haben, die wiederkommen und gut über mich sprechen, damit ich mir das hier alles leisten kann.

»Wehe, einer fasst die Rübe falsch an!«


Was kostet mehr: Ihr Gemüsemenü oder das Fleisch-Fisch-Menü?

Das Gemüsemenü kostet weniger, müsste aber mehr kosten. Weil mehr Arbeit drinsteckt. Es ist ja nicht einfach damit getan, es aus der Erde zu ziehen. Auf einen unserer Paradeteller kommen 22, 23 Gemüsesorten. Allein das Putzen ist brutal; ein Stück Fisch filetieren, da lache ich mich kaputt drüber! Acht Gänge Gemüse kosten 140 Euro. Inklusive Wein, Wasser und Aperitif 210 Euro. Das ist ein tolles Angebot: acht Weine, acht Gänge.

Warum machen Sie das Gemüse nicht teurer, wenn es teurer sein müsste?
Bei gleichem Preis würden sich immer noch mehr Gäste für Fisch und Fleisch entscheiden. Man muss den Gast da langsam ranführen. Ich könnte mir gut vorstellen, irgendwann ganz ohne Fisch und Fleisch zu arbeiten. Aber das ist noch ein langer Weg. Siebzig Prozent wollen immer noch Fisch und Fleisch essen.

Was trinkt man zu Gemüse?
Wir haben vor ein paar Wochen ein Gericht mit Karotte und Wacholder gehabt, zu dem wir Sake angeboten haben. Im Herbst wird auch mal Gemüse auf dem Holzkohlengrill aromatisiert, da passt Bier. Ein perfektes Gericht für Rotwein zu finden fällt schwer, ohne Fleischknochen für eine kräftige Sauce. Wir haben jetzt einen tollen Rotwein-Rüben-Jus aus roten Zwiebeln, die wir zwei Tage lang in Rotwein auf dem Herd ziehen lassen. Der Wein verdunstet, die Zwiebeln geben Bindung ab, die Sauce wird sämig.

Und wo bleiben die Rüben?

Die ziehen parallel: mit Rote Bete, Kümmel, Lorbeer und einem Schuss Himbeeressig. Alles gepresst, der Saft mit den Zwiebeln auf die gewünschte Konsistenz eingekocht. Meine Lieblingssauce – schmeckt kräftig nach Rotwein, aber fein, ganz ohne Butter.

Und da trinken die Leute schweren Bordeaux dazu?

Dazu kann man sogar einen Margaux trinken.

Sind die Trinker großer Weine nicht allesamt Fleischfresser?
Leute, die große Weine im Restaurant trinken, werden immer weniger. Die ältere Generation liebt eher die Völlerei, da muss es schon Fleisch sein. Mit den jüngeren, aufgeschlosseneren Essern können wir machen, was wir wollen. Die gehen auch beim Thema Wein neue Wege. Meine Küche ist sehr Rieslinglastig. Wir verstecken jedes Jahr einige Rieslinge im Keller, damit die alt werden!

Haben Sie ein Lieblingsgemüse?
Ich bin ein Rote-Bete-Freak.

Können Sie sich vorstellen, Vegetarier zu werden?
Dafür esse ich Fleisch zu gern. Und ich habe es ja viel leichter als jemand, der ratlos vor grünen oder roten Kennzeichnungen im Supermarkt steht. Ich weiß, wo die Dinge herkommen. Ich kann mir zur Not selber ein Schwein schlachten und meinen Schinken machen. So wird Fleisch auch wieder etwas Besonderes, wie in unserer Kindheit. Ging doch auch, oder? Die Menschheit müsste wach werden. Aber es gibt Köche, denen ist das egal.

Gibt es Kollegen, die mit dem eigenen Gemüseanbau begonnen haben?
Einige fragen mich: Mann, Hoffmann, kannst du mir nicht was von deinem Neuseelandspinat abgeben? Ich komme hier um zwei Uhr nachts raus, fahre morgens um neun in den Garten, da kann ich jetzt nicht noch Kollegen beliefern. Ich könnte die wunderbaren Sachen, die ich ernte, gar nicht weggeben, ohne zu wissen, was aus denen wird. Geht nicht!

Weil die Rübchen Ihnen ans Herz gewachsen sind?
So ungefähr. Ich bin da auch ganz empfindlich. Wehe, einer fasst hier die Rübe falsch an!

Foto: Alexandra Kinga Fekete