04. Januar 2013Aus Heft 1/2013PolitikKeim der HoffnungBevor Afghanistan in Staub und Blut versank, war es ein blühendes Land. Aber wer hinter die zerbombten Mauern blickt, findet auch heute noch Orte des Friedens. Ein Besuch bei den Gärtnern von Kabul.Protokolle und Fotos: Lalage Snow Mohammed Kabir »Ich bin 105 Jahre alt und habe selbst miterlebt, wie König Amanullah Khan diesen Palast in den Zwanzigerjahren bauen ließ. Mit Pferden und Elefanten transportierte man große Bäume hierher, sogar aus Deutschland wurden Pflanzen für den Darul-Aman-Palast geliefert. Zwei Mal hat mir der König persönlich für meine Arbeit in seinem Garten gedankt, das ist meine schönste Erinnerung. Schon mein Vater war hier Gärtner; als ich 16 Jahre alt war, nahm er mich das erste Mal mit.«»Ich habe zwei Jahre unter den Taliban gearbeitet, bis ich in den Iran fliehen musste. Jetzt bezahlt mich die neue Regierung dafür, dass ich diesen Garten für die Soldaten anlege, sie sollen sich hier erholen. Sie sagen: ›Grün ist der Frieden und das Glück.‹ Leider bekomme ich nicht genug Geld für Samen, darum habe ich acht Pflanzen von zu Hause mitgebracht.«»Die Regierung lässt hier Gärtner ausbilden, aber sie hören nicht auf meine Ratschläge. Die Soldaten helfen mir beim Gießen, ich bin nicht mehr so stark wie früher. Es gab hier einst vier Brunnen, aber jetzt wird das Wasser in den Bergen abgeleitet und der Boden ist trocken. Man muss wissen: Für mich ist jede Blume ein Symbol für das Paradies.«Jolyon Leslie »Im Jahr 1989 bin ich mit den Vereinten Nationen nach Kabul gekommen – und geblieben. Seit 2002 helfe ich als Architekt mit, zerstörte Parkanlagen wieder aufzubauen.«»Mein Vater hat in Südafrika Wein angebaut, mein eigener Garten in Kabul war Teil einer Obstplantage: Quitten-, Apfel- und Aprikosenbäume waren schon da. Dazu habe ich wilde Rosen gepflanzt, die Menschen hier mögen lieber Zuchtrosen.«»Afghanistan hat eine reiche Gartentradition, die sich trotz aller Kriege gehalten hat. Aber natürlich müssen viele Menschen einfach Obst und Gemüse anbauen, um überleben zu können.«Abdul Latif Kohistani »Ich bin der Chef der Gärtner in Bagh-e Babur, dem größten Park Afghanistans. 13 Männer arbeiten für mich. Der Mogul Babur hat die Anlage 1528 errichten lassen, darum hat dieser Garten viele Geschichten zu erzählen. Nach 30 Jahren Krieg waren nur mehr Ruinen übrig. Als die Taliban vertrieben wurden, haben wir den Garten wieder angelegt. Wir haben über 5500 Planzenarten hier und ich kann sagen, dass ich die Pflanzung jeder einzelnen beaufsichtigt habe.«»Wir haben kein großes Problem mit Vandalismus, aber manchmal drohen Jugendliche damit, alles niederzubrennen. Aber dann kündigen ihnen meine Gärtner eine Tracht Prügel an, und sie hauen ab. Dieser Garten ist ein sicherer Ort, die Probleme wie im Rest des Landes haben wir hier nicht. Das einzige Problem ist die Luftverschmutzung in Kabul, die schadet unseren Walnussbäumen.«Dr. Zavi Mojadidi »Mein Vater war nach dem Sturz der Sowjets 1992 einige Monate Präsident Afghanistans. Weil wir im Bürgerkrieg nicht mehr sicher waren, habe ich einen Großteil meiner Jugend in den USA verbracht. 2006 gab es einen missglückten Autobombenanschlag auf meinen Vater. Mein Haus ist von vier Meter hohen Wänden mit Stacheldraht umgeben, an jeder Ecke stehen Wachen. Ich gelte als bedeutend genug, um Ziel eines Attentats werden zu können. Wenn meine Frau verreist und ich mich einsam und traurig fühle, finde ich im Garten Ruhe. Am besten gefällt er mir abends, im Mondschein.«»Meine Frau ist manchmal eifersüchtig und sagt, ich würde die Blumen mehr lieben als sie. Wissen Sie, ich habe Macht, ich könnte mich wie so viele bereichern, wie die Warlords, die Milliarden verdienen. Aber die Menschen zollen mir Respekt dafür, dass ich dieses Grundstück mit eigenem Geld bezahlt habe. Leider hat der Vorbesitzer einen 150 Jahre alten Baum zu Brennholz gemacht. Übrigens: Wenn es nicht geregnet hat, sollten Sie in Kabul nicht an den Blumen riechen – danach ist Ihr Gesicht voller Staub.«Rahim Walizada »Es ist schwer, in dieser Stadt noch Schönheit zu entdecken, darum ist mir dieser Garten so wichtig. Das Grundstück ist seit Generationen im Besitz meiner Familie, aber im Bürgerkrieg der Siebzigerjahre wurde es zerstört.«»Als die Russen einmarschierten, sind wir in die USA ausgewandert, dort habe ich Kunst studiert, aber ich wollte zurück nach Kabul. Der Garten war der Stolz meines Vaters, jetzt pflege ich sein Erbe.«»Inmitten der Granatapfelbäume, Rosenbeete und Jasminblüten fühle ich mich wie in einer Parfümfabrik.«Amir Khan »Ich stamme aus dem Shomali-Hochland nördlich von Kabul, in dem seit Jahrzehnten besonders hart gekämpft wird. Als die Kugeln über unsere Köpfe flogen und nach und nach unsere Häuser, unser Leben, alles um uns herum zerstört wurde, bin ich nach Kabul gezogen.«»Ich habe früher als Gärtner für die Russen gearbeitet, sie mochten meine Arbeit. Die Taliban haben mein Gehalt gestohlen und unser Haus zerstört, ich war froh, als sie aus Kabul weg mussten. Mein Lohn als Gärtner reicht heute kaum, um meine zwei Frauen und all die Kinder zu versorgen, aber ich liebe die Gartenarbeit, sie hält mich am Leben.«»Dieser Garten gehört mir eigentlich nicht, aber ich arbeite hier seit zehn Jahren, darum fühlt es sich an, als wäre es meiner, ich kenne ja jedes Blatt. Besonders liebe ich die Sonnenblumen, wenn sie der Sonne sanft zunicken. Die Jugend von heute hat dafür nichts übrig, darum wird unser Wissen darüber mit den Alten sterben.« Vorheriges Bild Nächstes Bild Rechte am Artikel können Sie hier erwerben. 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