Das Beste aus aller Welt

Unser Autor erinnert sich an Spielzeugwaffen von damals wie heute und fragt sich, ob Gewaltprobleme zuhause nur durch Verbote zu lösen sind.

Luis wollte sich eine Waffe kaufen, vom Taschengeld. Eine Softair-Pistole. Softair-Pistolen verschießen mit Luftdruck gelbe Plastikkugeln, die blaue Flecken machen.

Ob er zu retten sei, fragte ich. Ob er wolle, dass wir jeden Tag um sein Augenlicht und das anderer Kinder fürchten müssten.
Ob ich nicht wüsste, dass alle anderen Jungs Softair-Pistolen hätten, fragte er. Sie würden sich damit in speziell geeigneten Hallen beschießen. Ob ich nie gehört hätte, dass sie Schutzbrillen dabei trügen, damit nichts passiere. Paul, mein alter Freund in Hamburg, erzählte, vor zehn Jahren habe sein damals vierjähriger Sohn einen anderen Buben mit einem Schneeball mitten ins Gesicht getroffen. Darauf sei der Vater dieses Buben (ein immer betont sanfter Mann, der andere mit gezwitschertem »Hallo, du!« begrüßte) bei ihm erschienen. Habe ihm vorgeworfen, es gebe in seiner, Pauls, Familie ein Gewaltproblem. »Heute ist es ein Schneeball, später ist es ein Baseballschläger«, habe dieser Vater gesagt.

Jetzt, zehn Jahre darauf, so Paul, sei die Brille seines Sohnes von einem Nachbarskind mit einer Softair-Pistole zerschossen worden. Der Täter: jener Junge, den sein Sohn damals mit dem Schneeball traf. Paul sagte, er habe überlegt, zu dem Vater zu gehen und ihm zu sagen, dass es in seiner Familie ein Waffenproblem gebe, und dann den Satz nachzureichen: »Heute ist es eine Softair-Pistole – und morgen?« Nur so,
rachehalber.

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Aber sein Sohn, sagte Paul, habe ihn bekniet zu schweigen. Dem anderen sei das Spielen mit Pistolen streng verboten. Da habe er die Sache auf sich beruhen lassen.

Ich dachte an die Zeit, in der ich dreizehn war. Ich las Karl-May-Romane, in denen Menschen die Kopfhaut bei lebendigem Leid heruntergeschnitten wird. Ich dachte an die Erbsenpistolen, mit denen wir uns beballerten, harmlos im Vergleich zu Softair-Pistolen, und an die Gummizwillen, die wir nahmen, um doppelspitzige Eisenkrampen zu verschießen – nicht harmlos. Und an das Luftgewehr meines Freundes, mit dem wir in der Jugendherberge auf Dosenstapel neben der Tür schossen, bis der
Herbergsvater in der Tür stand und in die Mündung des Luftgewehrs blickte.
Wir mussten dann woanders übernachten.

Ich dachte, dass ich es geliebt hätte, Paintball zu spielen, bei dem sich Leute mit Softair-Waffen beschießen und jeder Treffer einen Farbklecks hinterlässt. Wenn es Paintball schon gegeben hätte…Und dass ich dieses Spiel heute albern finde. Dass es aber gleichzeitig ein Schmarrn sei, es zu verbieten, wie es gerade eine Woche lang in Berlin diskutiert wurde, dachte ich, nur damit ein paar Leute durch dieses Verbot ein gutes Gewissen haben. Dass ich es andererseits auch wieder gut finde, dass über ein solches Verbot diskutiert wird.
Warum?

Es ist immer gut, wenn diskutiert wird. Alles Unglück auf der Welt kommt aus dem Schweigen. Ist meine Meinung.

Luis, Paola und ich hatten eine heftige Debatte über die Softair-Pistole. Wir sagten ihm, wie gefährlich die sei, wie täuschend sie echten Waffen ähnle, dass er sie nur unter bestimmten Bedingungen benutzen dürfe. Dann erlaubten wir ihm den Kauf.

Am nächsten Tag stand in der Zeitung, die Polizei habe Jugendlichen in einem Wald Softair-Waffen abgenommen, mit denen sie sich beballert hätten. Zwar sei der Besitz solcher Waffen erlaubt, aber nicht deren Benutzung in der Öffentlichkeit. Diesen Artikel lasen wir Luis vor.
Seitdem liegt die Pistole in seinem Zimmer. Manchmal, wenn ein Freund da ist, schießen sie aus dem Fenster auf eine Mauer gegenüber. Keine der Softair-Schlachten, zu denen er sich mit anderen hatte verabreden wollen, hat sich je ergeben.

Ob ich die Pistole mal leihen dürfe, wegen der Tauben auf meinem Bürobalkon, habe ich jetzt gefragt. Oh, es sei aber seine Pistole, hat er gesagt, das würde er gern selbst erledigen. (Tja, liebe Taubenfreunde, jetzt haben wir wieder Ärger miteinander, was?)

Illustration: Dirk Schmidt