Katar, ich wusste bis vor Kurzem über Katar so wenig wie über Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch, Weisendorf, Chaoyang oder Rurrenabaque, ich wusste, dass es Katar gibt, aber es war mir wurscht wie Kater Paule. Katar hörte sich nach Husten an und nach Apotheke, fertig.
Plötzlich aber vernimmt man alles Mögliche über Katar. Katar beteiligt sich an Hochtief, Katar gehören 17 Prozent von Volkswagen, Katar hat Harrods übernommen und zwanzig Prozent der Londoner Börse, außerdem soll es in Katar ein schönes Museum für Islamische Kunst geben, erbaut von dem Architekturstar I.M.Pei. Katar ist überall. Kürzlich wurde sogar bekannt, dass in Katar die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 stattfinden soll.
Das ist nun eine ernste Sache. Bei YouTube kann man unter dem Titel Worst Mistake Ever in Football History ein Video von einem Fußballspiel sehen, bei dem ein katastrophal schwacher usbekischer Verteidiger den Ball zu einem miserablen usbekischen Torwart zurückspielt, der das Leder nicht halten kann, sondern an einen gegnerischen Stürmer verliert, der, einen Meter von der Linie eines vollständig leeren Tores entfernt, gegen den Pfosten schießt. Das ist so ziemlich der schlechteste Stürmer, den ich je spielen gesehen habe, und es ist ein Stürmer der Nationalmannschaft von Katar. Er würde in der Knabenauswahl von Borussia Mönchengladbach nicht dem dritten Ersatztorwart die Schuhe schnüren dürfen.
Auch sonst gibt es keinen einzigen Grund, eine Fußball-Weltmeisterschaft in Katar zu veranstalten, es ist abartig heiß dort, kein Mensch interessiert sich wirklich für Fußball, das ganze Land hat weniger Einwohner als Hamburg. Das muss man ja auch erst mal schaffen, als Land. Trotzdem hat die FIFA die Fußball-WM nach Katar vergeben – warum? Weil es für einen Staat, der sich Harrods kaufen und Beteiligungen an Volkswagen erwerben kann, nicht schwer ist, sich auch die FIFA gefügig zu machen, eine Organisation, die nach Meinung vieler so zutiefst korrupt ist, dass es mit einer Reform nicht mehr getan ist. Die FIFA gehört abgeschafft, sie muss weg.
Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson hat, nachdem England bei der Bewerbung um die Fußball-WM 2022 Katar unterlegen war, zunächst erwogen, man solle einen raschen Militärschlag gegen eines der Länder führen, »deren lügnerische Vertreter England aufs Kreuz gelegt haben – einfach um die Luft zu reinigen«. Ersatzweise könne man die FIFA in Zürich mit Spezialeinheiten der Polizei überfallen. Das alles ginge vollkommen in Ordnung, finde ich, aber es bindet letztlich zu viel Energie. Außerdem sind unsere Politiker zu schwach für so was. Deshalb ist ein dritter Vorschlag Johnsons besser: Man sollte eine neue Weltfußballorganisation gründen, einen Verband jener Länder, die wirklich Fußball spielen, Argentinien, Brasilien, Spanien, Holland und so weiter. Dazu könnte England gehören, obwohl die englische Nationalmannschaft in den vergangenen Jahrzehnten nicht besonders abgeschnitten hat. Aber angesichts der Demütigung durch Katar müssen wir bereit sein, Unterstützungsarbeit zu leisten.
Wir können Trainer abstellen, die wir nicht benötigen, Lothar Matthäus etwa. Wir wären bereit, Oliver Kahn als Motivationscoach zu schicken. Wir wollen einen Weltfußballverband mit vom Volk gewählten Abgeordneten. Wir könnten einiges tun. Wir haben es nicht nötig, uns von FIFA-Blatter vorführen zu lassen. Wir hätten Beckenbauer als Präsidenten der neuen Union. Wir sind sehr wütend. Der Fußball gehört uns, nicht den Emiren. Sie sollen sich hinten anstellen. Ihre Stürmer sollen trainieren, aus ein, zwei, drei Metern das Tor zu treffen. Wir haben Leute, die erledigen das aus sechzig Metern, ich bitte sehr, wer sind wir, dass wir das Wort »Katar« in den Mund nehmen müssen?!
Ich hätte gute Lust, gleich noch ein paar Reformmaßnahmen für den Literatur-Nobelpreis vorzuschlagen, wird nicht auf der Stelle meinen Wünschen entsprochen. Sie entsprechen den in den Seelen unserer Völker verborgenen Vorstellungen.
Noch was? Ja. Herzliche Grüße an Clara Hoffmann.
Illustration: Dirk Schmidt