Keine Ahnung, wann und wo Sie diesen Text lesen, bei welchem Wetter – ich weiß es doch nun nicht. Ich habe diese Zeilen jedenfalls bei Regen geschrieben, bei strömendem Regen, und es war kalt, im Sommer war es kalt, zehn Grad plus. Ein kalter regnerischer Sommertag in Deutschland. Meine Bürobalkontür war immer noch undicht, der Regen peitschte herein, er sickerte durch Ritzen. Auf dem Parkett: Pfützenbildung. Das Wetter war so miserabel, dass selbst die Nacktschnecken in den Blumentöpfen auf dem Balkon in Hut und Mantel krochen.
So war das, als ich dies schrieb.In einer englischen Zeitung, dem Guardian, lese ich, die deutsche Bewegung für Freikörperkultur kämpfe mit Nachwuchsproblemen. »Es ist nicht mehr leicht, ein Naturist zu sein«, sagt Kurt Fischer, Präsident des Deutschen Verbandes für Freikörperkultur. »Die Zahlen fallen pro Jahr um zwei Prozent. Die Zeiten sind hart.« Warum?
Ich lese: Natürlich hat es etwas mit der Geburtenrate zu tun, die Deutschen werden immer weniger, zwar kommen sie noch nackt zur Welt, viele Deutsche hängen ja wie eh und je der Nudisten-Geburt an, aber dann werden sie bekleidet und bleiben es mit Unterbrechungen ihr Leben lang.
Kommt hinzu: Unsere Einwanderer und auch Sommergäste stammen aus Ländern, die der FKK-Bewegung nicht sehr intensiv verbunden sind. Kürzlich betrat ich zum Beispiel, vor einem Sommerregenschauer Zuflucht suchend, das Foyer des Karstadt-Kaufhauses Oberpollinger in München und fühlte mich jäh in ein saudisches Einkaufszentrum versetzt, alles voller Araberinnen und Araber.
Nichts gegen diese Leute, aber sie verkörpern nicht gerade die schönsten Hoffnungen der Nacktkörper-Kultur.
Anders als viele Zureisende meinen, ist es ja auch mit den Nackten im Englischen Garten nicht mehr weit her, schon sehr lange habe ich dort keinen mehr gesehen, nicht dass ich es vermisse, aber es passt ins Bild.
Man ist nicht mehr nackt, und außerdem fragte ich mich, als ich dies hier schrieb, wieso eigentlich lange nach weiteren Gründen für den Niedergang des Naturismus gesucht wird. Es ist doch offensichtlich, dass in Sommern wie diesem keiner mehr dauerhaft nackt sein kann. Was nützt einem die schönste Nacktheit, wenn man mit Lungenentzündung im Bett liegt?
Verblüffend ist nun aber: Immerzu wird irgendwo auf der Welt von nackten Menschen gegen irgendetwas demonstriert, das ist auch irgendwie logisch, je weniger Menschen nackt sind, desto mehr Aufmerksamkeit erregt wiederum Nacktheit.
Ein kurzer Blick ins Archiv: Nackte Models mit Gasmasken gehen in Bogotà gegen die Luftverschmutzung auf die Straße, nackte Radler wenden sich in Mexico City gegen die Umweltverschmutzung, nackte spanische Iveco-Arbeiter kämpfen gegen ihre Entlassung, nackte Wiener Radfahrer sind gegen den Autoverkehr, Nackte auf Barcelonas Straßen finden das Tragen von Pelz böse und schlecht, ein nackter Grieche in Saloniki verlangt mehr Radwege, nackte Berliner Studenten lehnen Sparpläne ab, selbst der jetzige Gesundheitsminister Bahr hat vor elf Jahren mal nackt vor dem Kanzleramt demonstriert, in einer Wassertonne hockend, aber nun sitzt auch
er gut gekleidet im Büro und verbirgt seine Nacktheit unter Anzügen.
So geht das tagaus, tagein, und man wartet wirklich auf die erste Demonstration von Nackten für mehr Nacktheit. Um meine Solidarität mit der FKK-Bewegung zu zeigen, hatte ich ursprünglich sogar vor, diese Kolumne nackt zu schreiben und »Das Nackteste aus aller Welt« zu nennen, aber das ging nicht, aus oben erläuterten Gründen.
Illustration: Dirk Schmidt