Im Grunde ist das alles hier nicht zu fassen, von morgens bis abends. Man steht auf, bedient einen Schalter, das Licht geht an. Man geht ins Bad, dreht einen Hahn auf, Wasser kommt aus der Wand. Man begibt sich in die Küche, einige Handgriffe: Kaffee ist in der Tasse. Im Briefkasten liegt eine Zeitung, auf dem Tisch ein Computer. Dann der Hammer überhaupt: Ein kleiner Apparat fiept, aus ihm spricht die Stimme eines Menschen.
Wuff! Was es so gibt! Dass das funktioniert. Man käme aus dem Staunen kaum heraus, wenn - na, wenn der Mensch nicht ganz anders wäre. Er gewöhnt sich, und zwar schnell und zwar an alles. Marcel Proust hat das in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit beschrieben: Er wollte zum ersten Mal ein Telefonat mit seiner Großmutter führen, musste deshalb zur Post gehen, auf eine Verbindung warten, wie sie noch kurze Zeit zuvor undenkbar gewesen war; wir reden vom Ende des 19. Jahrhunderts. Und doch war es so, wie er schreibt, »dass ich, als die Verbindung nicht sofort zustande kam, einzig den Gedanken, die Sache sei sehr langwierig und unbequem, sowie beinahe die Absicht hegte, mich deshalb zu beschweren. Wie wir alle jetzt, fand ich, dass der an jähen Überraschungen reiche, bewunderungswürdige, märchenhafte Vorgang nicht rasch genug funktionierte«.
Wahrscheinlich sehnte sich schon der Neandertaler Stunden nach Erfindung der Keule nach einem eleganteren, besser schwingbaren Gerät mit schöneren Griffen. Und doch ist hier die Geschichte jener alten Dame, die, aus der chinesischen Provinz angereist, zum ersten Mal ihren Sohn in der Sechs-Millionen-Stadt Dalian in der Provinz Liaoning besuchte. Als sie zwei Monate da gewesen war, bekam der Sohn eine Wasserrechnung, auf der ein Verbrauch von fast 90 000 Litern verzeichnet war, pro Tag 1500, fast zwölf Mal so viel, wie ein durchschnittlicher deutscher Haushalt benötigt - und eine für China unvorstellbar hohe Zahl.
Mutter war, stellte der Sohn fest, wie gebannt von der Wasserspülung der Toilette gewesen. Sie hatte das noch nie gesehen, konnte es nicht begreifen und spülte alle fünf Minuten. Aus Leipzig nun Folgendes: Drei Studenten haben eine Flasche Bier auf eine Reise in die Stratosphäre und wieder zurück geschickt. Das geht anscheinend einfacher, als man denkt, man benötigt einen Wetterballon, gefüllt mit Helium, eine luftfahrtrechtliche Genehmigung, eine Versicherung und noch ein paar Kleinigkeiten. Das Bier haben die drei in Styropor verpackt, damit es nicht friert, die Flasche eingeschweißt, damit sie nicht platzt, haben das Ganze außen noch mit einer leeren Flasche dekoriert, einen GPS-Sender dazugetan - ab ging’s weltraumwärts.
Der Ballon flog 31 Kilometer hoch, dehnte sich - in zunehmend dünnerer Luft - immer weiter aus, platzte schließlich, worauf das Bier wieder erdwärts stürzte, am Ende gebremst von einem Fallschirm. Mit dem Sender fanden die drei ihre Flasche wieder, in einem Baumwipfel im Süden Brandenburgs. Weil außen am Bier eine Kamera befestigt war, kann man den Film der Reise im Internet anschauen. Erstaunlich, nicht wahr? Diese Gleichzeitigkeit. In weiten Teilen Chinas gibt es kein fließendes Wasser, bei uns schießen die Leute Bierflaschen in Richtung Mond. Wiederum an denselben Tagen stehen in unseren Fußgängerzonen irgendwelche mittelalterlich gesinnten Salafisten, verteilen den Koran, wollen Biertrinken verbieten und das meiste andere auch. Und China baut gerade Supercomputer und eine eigene Raumstation.
Man fasst es nicht. Was werden die Leute alles mit Wetterballons nach oben jagen, wenn sich das herumspricht? Das Meerschwein der Tochter, die Eheringe, ihre Mütter? Kann man überhaupt noch vor die Tür gehen, ohne Angst, dass einem ein Bier auf den Kopf fällt?
Im Internet habe ich dann entdeckt, dass es dort schon etliche Filme dieser Art gibt: Immerzu füllen Studenten Ballons mit Helium, lassen sie fliegen und jubeln nach
einigen Stunden, wenn sie per GPS das alles irgendwo weit weg wiederfinden. Großartig, diese jungen Leute!
Und, na ja, nach dem dritten Film: bisschen langweilig
Illustration: Dirk Schmidt