Mit Bruno, meinem alten Freund, saß ich im Café. Wir lasen Zeitung und tauschten uns über Weltprobleme aus, über den Untergang des Euro, den Bürgerkrieg in Syrien, die Weltklimaveränderungen, all das, was der Mensch nicht in den Griff bekommt.
Dann las ich, in Garching bei München habe ein Riesencomputer namens SuperMUC den Betrieb aufgenommen, der viertschnellste Rechner der Welt. Er verbrauche so viel Strom wie ganz Garching, las ich da, und zwar sehr speziellen, extra aufbereiteten, supersauberen Strom. Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt. Eine Art Mineralstrom.
Dieser Computer, las ich weiter, sei so groß wie ein halbes Fußballfeld, das ist ja ein beliebter Vergleich, alles wird immer mit Fußballfeldern verglichen. Ich warte darauf, dass eines Tages jemand sagt, ein Fußballfeld sei so groß wie zwei halbe Fußballfelder, das würde jedem einleuchten.
Überhaupt wird man des Supercomputers anscheinend nur mit Vergleichen Herr, zum Beispiel sagte jemand, dieser rechne so schnell … Also, man müsse sich einen Taschenrechner vorstellen, der eine Million Rechenoperationen pro Sekunde ausführen könne, und dann müsse man sich weiter vorstellen, dass drei Milliarden Menschen eine
solche Art von Taschenrechner in derselben Sekunde benutzten – schon habe man die Kapazität von SuperMUC begriffen.
Mit solchen Apparaten, las ich, könne man komplizierteste Vorgänge simulieren, Wettervorhersagen zum Beispiel, auch Erdbebenprognosen oder die Entwicklung unseres Klimas – und wahrscheinlich, während man auf das Ergebnis wartet, noch eine Runde Moorhuhn schießen.
Aber es kam noch besser: Ein solcher Computer sei nach vier, fünf Jahren überholt, dann gebe es schon wieder viel schnellere und kleinere Modelle. Die Vision sei jetzt ein Supercomputer wie in Garching »in der Größe eines Würfelzuckers«, sagte eine Expertin der Firma IBM. Wobei ich übrigens vermute, die Expertin meinte Zuckerwürfel, nicht Würfelzucker, denn Würfelzucker ist ja sozusagen nur eine Gattungsbezeichnung wie Spülmittel oder Schokolade. Als Größenmaßstab gibt das nichts her.
Nachdenklich betrachtete ich den Zucker neben meiner Kaffeetasse und stellte fest: Es war überhaupt kein Würfel! Ein Würfel hat sechs gleich große Quadrate als Begrenzungsflächen und eben nicht unterschiedlich große Rechtecke. Das hier war ein Zucker-Quader.
War der Zucker aber nicht früher wirklich würfelförmig? Könnte ich schwören. Warum ist er es heute nicht mehr? Es ist jedenfalls einfach falsch, immerzu von Würfelzucker oder Zuckerwürfeln zu reden, wenn es diese so wenig gibt wie Fruckelwürze oder Urzweckfüler oder Wulf-Erzücker oder Wüzleck-Rufer oder Leckwürzufer oder einen Furzelwücker.
Ich steckte das Zuckerstück ein und maß später im Büro nach: Es hat sechs Außenflächen, davon zwei große mit 1,5 mal 1,5 Zentimetern und vier kleine von 1 mal 1 Zentimeter. Das heißt: Rund 15,8 Millionen Zuckerstücke, auf ihren großen Flächen nebeneinander gelegt, ergeben ungefähr die Fläche eines halben Fußballfeldes.
Was mich übrigens interessiert: Wenn man so ein Zuckerstück in den Kaffee wirft, löst dann der Kaffee den Zucker auf, oder löst sich der Zucker im Kaffee? Ich meine, wer ist hier aktiv und wer passiv, wer Täter, wer Opfer? Ob der Computer das weiß? Aber das nur nebenbei.
Würde man einen Supercomputer von Würfelquadergröße in eine Tasse Kaffee werfen, könnte man diesen Kaffee vielleicht fragen: Wie oft muss Arjen Robben noch einen Fußball berühren, bis der FC Bayern die Champions League gewinnt? Wann wird der Berliner Flughafen fertig? Aus wie vielen Gottesteilchen besteht der Papst? Wie viele Zuckerkörner stecken in einem Zuckerquader?
Und bevor man auch nur umgerührt hätte, würde der Kaffee antworten!
Bruno, sagte ich, ist es nicht irre, was der Mensch kann?
Ja, seufzte er und raschelte mit der Zeitung, aber genau angesichts dessen ist es doch noch viel irrer, was der Mensch alles nicht kann.
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Anmerkung der Redaktion:
Vom Bundesrechenhof hat uns die Meldung erreicht, dass die in dieser Kolumne beschriebenen Abmessungen eines Zuckerwürfels gegen die Gesetze der Geometrie verstoßen. Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung, die wir nächste Woche im SZ-Magazin präsentieren werden.
Illustration: Dirk Schmidt