Es war Nacht, ich saß in der Küche, trank noch ein Bier – oh, wie oft habe ich das geschrieben!, oh wie gern schreibe ich das! Bedeutet es doch, dass ich in München bin und mit Bosch reden kann, meinem sehr alten Kühlschrank und Freund. Dass ich nicht in fremden Städten bin, fremde Menschen nach fremden Wegen fragend…
Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, dass man – in welcher Stadt man sich auch nach dem Weg erkundigt – immer seltener Auskunft bekommt? Es spielt keine Rolle, ob die Stadt groß ist oder klein, ganz egal, die Leute haben keine Ahnung mehr von ihrer Umgebung. Kürzlich in Kassel: Ich suchte die Bertha-von-Suttner-Straße, aber wen ich auch fragte: Kopfschütteln, Murmeln, Weitergehen. Da ich vor dem Bahnhof Wilhelmshöhe stand, hätte ich einen wartenden Taxifahrer fragen können, aber immer scheue ich davor zurück, wartende Taxifahrer nach dem Weg zu fragen – ich denke, es ist deren Beruf, alle Straßen der Stadt zu kennen, also käme ich mir vor, als versuchte ich, unentgeltlich eine Leistung zu erschleichen. Das ist mir peinlich.
Wobei man darauf hinweisen muss, dass, rein vom Gefühl her, bereits zehn bis zwanzig Prozent aller Taxifahrer die gesuchte Straße per Navigationssystem finden – auch hier wissen immer weniger Bescheid.
Noch mal nach Kassel: Ich fragte einen wartenden Busfahrer, wo die Bertha-von-Suttner-Straße sei. Er schüttelte den Kopf. »Wir haben ja nur unsere Linien«, sagte er. »Fragen Sie einen Taxifahrer!«
Das tat ich. Es stellte sich heraus, dass wir praktisch in der Bertha-von-Suttner-Straße standen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Mit Salz kann man nicht reden. Es sagt auch nichts.«)
»Gibt es eine Boschstraße?«, fragte mein Kühlschrank.
»In München?«
»Wo sonst?«
»Die Boschbrücke gibt es, zwischen dem Patentamt und dem Deutschen Museum, eine kleine Isar-Brücke.«
»Die werde ich auch nie sehen«, murmelte Bosch.
»Übrigens ist das interessant«, sagte ich. »Die Boschbrücke ist neben der Ludwigsbrücke, wo vor 850 Jahren Heinrich der Löwe seine Brücke über die Isar schlug, um fette Zölle auf Salztransporte zu kassieren.«
»Was ist daran interessant?«
»Salz war sozusagen der Kühlschrank des Mittelalters. Weil man keine Kühlschränke hatte, machte man Lebensmittel mit Salz haltbar.«
»Aber nur haltbar. Nicht kühl, oder?«
»Natürlich nicht. Bier musste man in den Keller tun. Oder auf Eis legen«, sagte ich.
»Mit Salz kann man nicht reden. Es sagt auch nichts.«
Ich klappte meinen Laptop auf und gab die Suchbegriffe »Kühlschrank« und »Salz« ein. Da kam etwas über die Volxbibel, die Bibeltexte für Jugendliche verständlich machen soll.
Ich sagte: »Wenn es in der Luther-Bibel…«
»Hat Luther nicht gesagt: ›Hier stehe ich, ich kann nicht anders‹?«
»Ja.«
»Dem ging’s wie mir.«
Ich fing wieder an: »Wenn es in der Luther-Bibel hieß ›Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten‹, steht nun in dieser neuen Bibel: ›Ihr seid wie Kühlschränke für diese Welt, ohne euch würde alles Gute vergammeln. Wenn dieser Kühlschrank aber nicht mehr funktioniert, gehört er auf den Schrott, wo er verrotten soll.‹«
»Verrotten«, ächzte Bosch. »Verrrotttennn…«
»Nicht du«, sagte ich. »Du doch nie.« Klopfte ihm auf die Tür und ging schlafen.
Ich träumte von großen mittelalterlichen Ochsenkarren, auf denen sich sehr viele 850 Jahre alte Kühlschränke stapelten. Vorbei an Zöllnern zogen sie über die Boschbrücke ins Deutsche Museum hinein, aber vorher wurden die Kutscher vom Oberbürgermeister Ude persönlich kräftig abkassiert.
Illustration: Dirk Schmidt