Seit dem 1. Februar hat jeder von uns zusätzlich zu seinen schon vorhandenen zahlreichen Problemen ein weiteres: Er muss sich seine IBAN merken. Die International Bank Account Number ersetzt die bisherige Kontonummer, wobei die alte Nummer Bestandteil der neuen ist. Aber was hilft das schon dem, der sich bereits die alte Nummer nicht merken konnte; die hatte oft auch schon zehn Stellen. Die IBAN aber hat 22. Und nur zwei davon sind Buchstaben.
Nun hat jeder sein eigenes Zahlenmerksystem. Es gibt Menschen, die tragen ihre IBAN aus Holz geschnitzt unter dem Arm, und wenn jede Ziffer nur fünf Zentimeter breit ist, und zwischen den Ziffern ein Abstand von jeweils zwei Zentimetern gelassen wird, hat man ein anderthalb Meter langes Zahlenbrett dabei, was in vollen U-Bahnen als störend empfunden werden kann. Andere lassen sich die IBAN unter die rechte Fußsohle tätowieren. Man erkennt sie daran, dass sie vor dem Bankschalter den rechten Schuh ausziehen, um nachzusehen. Vor dem Bankomaten entblößen sie den linken Fuß, dort steht die PIN-Nummer. Eine dritte Gruppe murmelt die IBAN wie ein Mantra vor sich hin, was das öffentliche Leben seit dem 1. Februar sehr verändert hat: im Wirtshaus, an der Ampel, im Zug-Abteil – überall Zahlenmurmler…
Es gibt auch Menschen, die werfen, wenn sie ihre IBAN benötigen, einen Blick auf ihre neue EC-Karte; da steht sie drauf. »Ist aber uncool«, stand im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, also lassen wir es. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als vom Wirtschaftsteil der FAS für uncool gehalten zu werden.
Da aber Wirtschaftsteile von den Menschen ihrer lebenspraktischen Ratschläge wegen geliebt werden, gibt das Blatt den Rat, sich an die Tipps des Gedächtnistrainers Oliver Geisselhart zu halten. Der empfiehlt, sich eine besondere Fähigkeit unseres Gehirns zunutze zu machen: Es kann sich besonders gut das komplett Abwegige und Unnormale merken. Ein kurzes Beispiel: Man solle, so der Trainer, sich die Zahl 8918649110 so einprägen: Ein 89-Jähriger (89) verliebt sich in eine 18-Jährige (18), hat mit ihr Sex (6) und zeugt vier Kinder (4). Das Traumauto der beiden ist ein Porsche 911 (911), dafür ist aber kein Geld da (0). Da sich nicht alle Zahlen zu einer so schönen und interessanten Geschichte fügen, hält Geisselhart eine zweite Methode bereit, bei der man sich zu jeder Zahl ein Bild denken muss: Die 0 ist ein Ei, die 1 eine Kerze, die 2 ein Schwan und so weiter, woraus sich dann für die Zahl 37050299 folgende Story ergebe, die natürlich dort spiele, wo man die Zahl brauche, in der Bank also: Man betritt diese Bank, haut mit einem Dreizack (3) auf eine Fahne (7) ein, dabei ploppt ein Ei (0) heraus, das man mit der Hand (5) auffängt. Das Ei (0) reicht man einem Schwan (2) der es ausbrütet. Heraus schlüpfen zwei Schlangen (99).
So läuft’s also! Und man bekommt einen erschütternden Eindruck davon, wie es in den Hirnen jener Erinnerungsakrobaten aussieht, die sich innerhalb von fünf Minuten hundertstellige Ziffern fehlerfrei einbimsen können: Es gibt da nicht selten eine Welt aus hochpotenten Greisen, kinderreichen 18-Jährigen und Schwänen, die Schlangen ausbrüten.
Eine IBAN hat 20 Zahlen und zwei Buchstaben, das sind hierzulande in der Regel D und E.
Wir sehen nun vor uns am Bankschalter Menschen, die nach dieser Zahlenfolge gefragt werden und antworten: Darf ich Ihnen dazu mal eine Geschichte erzählen? Und dann geht es los: »Ein 88-Jähriger …, also, nein, warten Sie, er war 89, oder? Also gut, ein 89-Jähriger heiratet eine 87-Jährige, nee, jetzt, Moment mal, die war doch jung! Ich muss meinen Mann fragen: Erich, wie alt war noch mal die Frau, die dieser alte Herr da heiratet und mit der er sich dann zusammen einen 3er BMW kauft? Was, es war ein Tiguan von VW? Ja, aber wo ist denn da die Zahl? Was sagst du? Was ich hier mache? Na, ich muss bloß schnell ein paar Rechnungen bezahlen, weißt du …«
Von Axel Hacke Illustration: Dirk Schmidt