Nicht nachlassen, Axel!

Unser Autor versucht, den Erwartungen seiner neuen klugen Armbanduhr gerecht zu werden. Und merkt dabei, dass er sich von seiner Smartwatch ganz schön herumkommandieren lässt. 

Illustration: Dirk Schmidt

Zur Ertüchtigung laufe ich morgens gerne durch den Park, oder ich fahre mit dem Fahrrad den Fluss entlang, auch schwimme ich im Bad oder See, wenn es Sommer ist. Bis vor Kurzem hatte ich mein Mobiltelefon dabei, für den Fall, dass Paola, meine Frau, mir in dieser Zeit eine Mitteilung zu machen hätte, und auch, um zu messen, wie lange ich schon unterwegs sei. Aber das Telefon ist schwer in der Laufhose, und ins Wasser sollte man es nicht mitnehmen. Sodass ich mich schließlich zum Kauf einer klugen Uhr entschloss. Mit der klugen Uhr kann man telefonieren und schwimmen, sie empfängt Mitteilungen, hat Zugang zum Internet, auch ist sie wasserdicht und sogar in der Lage, ein Elektro­kardiogramm meines Herzes … wie soll ich sagen? Zu erstellen? Durchzuführen? Sagen wir einfach: zu machen. Oder anzufertigen, das geht auch: Die kluge Uhr kann ein EKG anfertigen. Den Puls misst sie sowieso.

Ich weiß nicht, ob man ein Gerät Uhr nennen sollte, wenn es so vieles kann, was Uhren normalerweise nicht können. Aber man trägt es dort, wo man sonst Uhren trägt, also nennen wir es eben Uhr, eine kluge Uhr.

Was ich bald feststellte: Die Uhr lobt und kritisiert mich. Sie hat bestimmte Ziele für mich definiert. Ich soll innerhalb von zwölf Stunden am Tag pro Stunde jeweils eine Minute stehen, ich soll täglich eine halbe Stunde trainieren, ich soll ein bestimmtes Bewegungsquantum absolvieren. Tue ich das, schließen sich verschieden gefärbte Ringe, und ich lese auf dem Display: Du hast deine Bewegungsziele erreicht, fantastisch! Oder: So wird’s gemacht! Auch werde ich angespornt: Jetzt nicht nachlassen, Axel! Oder: Voller Erfolg beim Bewegungsring gestern, Axel! Schaffst du das noch einmal?

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Mitten in einer längeren Autofahrt ereilt mich die Aufforderung, jetzt aufzustehen, um mein Stehziel zu erreichen, ja, Stehziel schreibt die kluge Uhr, sie benutzt das Wort Stehziel, klingt das nicht wie eine seltene Pflanze? Der Stehziel, der nur in entlegenen Wäldern noch wächst? Ein Pilz?

Manchmal fordert mich die Uhr auf zu atmen, obwohl ich gerade atme, ich soll wohl bewusst atmen, aber ich tippe dann auf das Feld Heute keine Hinweise, dann ist Ruhe. Trage ich die Uhr einen Tag nicht, was oft geschieht, klagt das Gerät: Axel, der Bewegungsring war gestern etwas dürftig. Werde heute aktiv und schließe ihn! Das heißt, die Uhr hat nicht bemerkt, dass sie nicht getragen wurde, und jammert grundlos. Ist sie nicht süß? Und auch dumm, die kluge Uhr?

Ja, so denkt man über eine solche Uhr, nicht wahr? Man findet sie albern, dann auch wieder unangemessen im Tonfall. Hat eine Uhr das Recht, meine Aktivitäten »dürftig« zu nennen, obwohl sie, die Uhr, nicht einmal bemerkt hat, dass sie sich nicht an meinem Arm befand, sondern auf dem Tisch herumlag? Steht einem Apparat das zu? Ist es nicht das, was man dürftig nennen müsste, diesen Mangel an Erkenntnis: dass sie es war, die ruhte?! Nicht ich!

Andererseits: Ich möchte, dass meine Uhr mit mir zufrieden ist. War ich es nicht, der sie gekauft hat? Der all diesen Bewegungs-, Trainings- und Stehzielen zustimmte, als er sie in Betrieb nahm? Tun mir Bewegung, Training, Stehen nicht gut? Ich stehe also tatsächlich bisweilen auf, wenn sie mich zum Aufstehen auffordert. Ich bewege mich, um mein Bewegungsziel zu erreichen. Ich freue mich über Auszeichnungen, die sie mir verleiht (»Längste Bewegungsserie!«), wie einst über Urkunden bei Bundesjugendspielen. Ich trage sie an Tagen, an denen ich sie gar nicht tragen wollte, damit ich nicht dieses dürftig lesen muss.

Ich funktioniere, denn der Mensch ist simpel. Dann lehne ich mich auf gegen dieses Funktionieren, denn der Mensch will nicht simpel sein. Und so leben und funktionieren wir miteinander, meine kluge Uhr und ich, Tag für Tag und immer weiter so.