Es gibt Romanfiguren, die, bevor sie solche wurden, echte Menschen waren. Thomas Mann hätte Christian Buddenbrook nicht erfunden, wäre da nicht in der Familie Mann der schrullige »Onkel Friedel« gewesen: Friedrich Wilhelm Leberecht Mann. Der war die Inspiration zu Christian, dem wunderbaren Hypochonder, der immerzu über eine »unbestimmte Qual« klagt und darüber, auf seiner linken Seite seien »alle Nerven zu kurz«, verbunden mit dem Seufzer: »Ich kann es nun nicht mehr.«
Was viel seltener ist: dass Menschen aus literarischen oder filmischen Werken entspringen und in der Wirklichkeit weiterleben. Manchmal hat man einen Verdacht: Putin kommt einem bekannt vor, er hätte Großschurke in einem James-Bond-Film sein können – aber in welchem war das bloß? Oder Berlusconi ..., nein, da ist es anders, Berlusconi hat sich selbst, wie ein Theaterautor, eine Rolle geschrieben und sie dann im wirklichen Leben gespielt, die des Cavaliere, dessen Auftritt den Regeln der Commedia dell'arte folgt. In der erkennt man eine Figur am Namen, den Gewohnheiten, der Kleidung, den Harlekin zum Beispiel am Witz, der Verfressenheit und dem Flickenmantel. Berlusconi, hat der Autor Alberto Olivetti mal geschrieben, trägt deshalb immer blaue Zweireiher und Lackschuhe mit hohen Absätzen, auch wachsen ihm Haare in einem Alter, in dem sie bei anderen ausfallen.
Aber nun, aufgepasst!, lesen wir in Michael Wolffs Buch Fire and Fury über Donald Trump die Formulierung, er sei ein real-life fictional character, was man mit »lebende Kunstfigur« übersetzen könnte. Trump entspreche, so Wolff, genau dem Trump in Trumps eigenem Buch The Art of the Deal, eines der wenigen Bücher der Welt, die von ihrem Autor weder geschrieben noch gelesen wurden. Wolff vergleicht Trump mit dem ehemaligen Wrestler Hulk Hogan, der eigentlich Terrence Gene Bollea heißt, diesen Namen aber selbst vergessen hat, weil er sein Leben als Kunstfigur im Ring, im Fernsehen und zu Hause führt.
Trump ist also nicht in eine Rolle geschlüpft. Er ist tatsächlich eine vom wem auch immer erfundene Figur, die zu leben begonnen hat. Man denkt an Mary Shelleys Roman über den Doktor Frankenstein, der ein Monster schafft, das ihm dann entflieht; er begegnet dem Wesen später im Wald wieder und... ach, das führt uns hier nicht weiter.
Trump ist kein Monster, er ist ein Wrestling-Fan. Das Geheimnis des Wrestlings ist: Es sieht wie ein Wettkampf aus, ist aber keiner. Der Gewinner steht vorher fest, weil die Sache nach einem Drehbuch verläuft, in dem es simple Gegensätze von Gut und Böse gibt. Ganz offen-sichtlich denkt auch Trump so. Die Figur, als die man ihn geschaffen hat, ist die des Siegers; also hält er alles, was geschieht, für seinen Sieg. Er kann nicht anders, er ist so gebaut. Wrestling ist, so gesehen, nichts anderes als eine sehr einfache Form von Literatur oder Theater.
Vor allem aber, schreibt Wolff, sei seine Figur so mächtig, dass Trump von sich selbst oft in der dritten Person rede: Trump did this. The Trumpster did that. Und weil es eine Kunstfigur ist, kann er sie nicht einfach aufgeben (was er tun müsste, um President of the United States of America zu sein oder sich wenigstens so zu verhalten). Das war in der Konstruktion nie vorgesehen. Es geht einfach nicht. Trump kann nur Trump. Wenn Christian Buddenbrook Reichskanzler geworden wäre – es wäre auch nicht gutgegangen. Es geht nicht mal im Roman gut, sein Weg führt in eine Nervenklinik.
Eine fleischgewordene Kunstfigur als mächtigster Mann der Welt. Große Idee! Man würde es gerne lesen. Leider müssen wir's erleben. Oder sind wir auch nur Romanfiguren? Gestalten in einem Pageturner sondergleichen? Und irgendwelche Leute irgendwo seufzen: Du glaubst nicht, wie spannend dieses Buch ist, wie irre...
Illustration: Dirk Schmidt